Eurosonic 2025: Großbritannien gehört weiterhin dazu
Chloe Slater und Big Special räumen ab. Rap & Vogue beweisen, dass Belarus lebt

Lange Schlangen vor dem „Vera“ in Groningen. Nebenan ein kastenförmiger Übertragungswagen, den der WDR-„Rockpalast“ zum Eurosonic-Festival in die Niederlande geschickt hat. Maximum Aufmerksamkeit für Chloe Slater. Mit ihrem Wechselspiel aus Feedback-Gewittern und feinem Gitarren-Pop hat die 21-Jährige aus Manchester bereits eine stattliche Fanbasis aufgebaut.
Auf ihrer EP „You Can’t Put A Price On Fun“ wirft sie einen illusionslosen Blick auf die Post-Brexit-Ära in Großbritannien. Seit Jahrzehnten ist das ESNS ein zentrales Nachwuchs-Schaulaufen, das Booker und Agenten auf die kommende Festivalsaison einstimmt. Mit 320 Bands und Solisten natürlich ein kaum zu bewältigender Parkour. Zumal die Exportbüros verschiedener EU-Länder noch mit „Receptions“ und Sondershows locken. Überaus beliebt auch die „quick and dirty“-Auftritte tagsüber im legendären Plattenladen „Plato“. Ohne Laufplan, so das geflügelte Wort eines Kollegen vom Livebiz-Magazin „Pollstar“, irrt man durch die Groninger Gassen wie ein Huhn mit abgeschlagenem Kopf. Lost in Music.
Chloe Slater hat zumindest nicht das Problem, in der großen Auswahl übersehen zu werden. In überweiten Jeans und XL-T-Shirt, singt sie, befeuert von einer ultrajungen Jungsband, vom Klassensystem und der trüben Lage im Königreich. Songs wie „Nothing Shines On This Island“ sind keine Neuerfindung des Rock’n’Roll, sondern eher eine energiereiche Dröhnung, die Generationen verbindet. Nach ihrer kompakten Show stehen Selfie- und Autogrammjäger von 16 bis 66 an der Bühnenkante.
Blumenstrauß der Vielfalt, zwischen Latin Grooves und Pop Power
Der zentrale Award „Music Moves Europe” (MME) versucht mit Jury und Vorauswahl etwas Struktur in den europäischen Dschungel zu bringen. Die Klasse von 2025 bewegte sich wie im Vorjahr, als die Französin Zaho de Sagazin zurecht alles abräumte, auf hohem Niveau. Die spanische Songwriterin Judeline, der französisch-kamerunische Afro-Souler Yamê oder auch das irische Folkrock-Trio Kingfishr sind bereits viel unterwegs. Auch für das Stuttgarter Synthie-Duo Zimmer90 (die leer ausgingen) war es eine erfreuliche Wertschätzung für die bisherige Club-Karriere.

Doch wirkliche Zeichen setzen im Sinne von „the next big thing“ setzen konnte die Gala im stattlichen Theater Stadsschouwburg allerdings nicht. Zu bewundern war ein Blumenstrauß der Vielfalt, zwischen Latin Grooves und Pop Power. Die Preisgelder zwischen 5000 und 10.000 Euro dienen dem Festival- und Tour-Support. Unterstützung auf Achse, auf dem harten Weg ans Licht.
Die Exportbüros, die Bands und Künstlerinnen zum ESNS entsenden, wollen dabei auf keinen Fall gängige Klischees bedienen. So verzichtete etwa das umtriebige Island auf jegliche Elfen-Reverenz und schickte mit der Kraut-TripHoperin Sunna Magaret oder der Byrds-artigen Chorusband Supersport eigenwillige Ansätze ins Rennen. Portugal entsandte Raquel Martins und Marta Pereira da Costa als Soul/Folk-Heroinen in die weihevolle Atmo der örtlichen Konzertkirchen.

Ein beliebtes Venue dank seiner Doppelbühne im Cafe und im Großen Saal ist das „Maas“. Dort wurde das bärige UK-Duo Big Special, das bereits auf dem Rolling Stone Beach abgeräumt hatte, mit Zwischenrufen und Pogo-Wellen gefeiert. Ziemlich „outstanding“, und das nicht nur geografisch: Das Trio Rap & Vogue aus der belarussischen Hauptstadt Minsk in der Kunstschule Minerva. Mit ihrer theatralischen Performance „The Abduction of Europe“ spielen sie nach allerlei Euro-Soundklischees. Dabei singen sie auf Deutsch, Spanisch, (Weiß-)Russisch, Polnisch und Französisch. Eine extreme Elektropop-Revue mit schriller Performance.
Nachhaltig auf die Glocke gab es im multifunktionalen Kongresszentrum „Oosterport“, wo tagsüber in Panels und Vorträgen die Hintergründe der Musikszene ausgeleuchtet wurden. Hier war viel von zerbröselnden Gewissheiten zu hören. Die Runde „Superstar Economy & The Dynamics of Ticketing” zeigte eine wachsende Diskrepanz im Live-Geschäft auf. „Für die meisten von uns ist es eine harte ökonomische Situation“ fasste Rob Sealy von der Plattform „Open Stage” die Situation zusammen.
Tourbetrieb durch Bürokratie torpediert
Zu den krakenhaften Finanzinvestoren kommen politische Gefahren, deren Auswirkungen immer massiver werden. Codruta Vulcu vom rumänischen Festival ARTmania in Sibiu (Hermannstadt) wusste genau wie Michal Kascak vom Pohoda aus der Slowakei vom wachsenden politischen Druck rechter Politiker zu berichten, die Veranstaltungen verbieten oder in die Programmplanung eingreifen wollen. „Es kommt mir vor, als würden wir gerade wieder um 25 Jahre zurückgeworfen“, so Vulcu.
Doch nicht nur im östlichen Europa, wo viele Festivals erst entstanden sind, sind neue Kämpfe auszufechten. Das Panel „Post-Brexit Pop“ zeigte auf, welche Schäden die Ideologie der Abschottung gerade für die Musik angerichtet hat; genau fünf Jahre nach dem Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union. Dave Webster von der Gewerkschafts-Organisation „Musicians Union“ berichtete in zahlreichen Anekdoten, wie der normale Tourbetrieb durch Bürokratie torpediert wird. Seitenlange Formulare oder das Umladen von Tour-LKWs nach den Maßgaben der „Cabotage“, ein Hasswort für alle Logistiker von und nach Großbritannien. „Was sich gegen Migration richten sollte, macht letztlich Austausch und Handel kaputt“.