Facebook macht klicklich

Als IBM und die Winzfirma Microsoft Ende 1980 einen Vertrag über ein Betriebssystem für den geplanten IBM-PC unterzeichneten, sah die Sekretärin von Bill Gates ihren jungen Boss eines Morgens im dreiteiligen Anzug ins Büro kommen. Gates war gewöhnlich äußerst lässig gekleidet. Kurz darauf trafen drei Männer in Jeans und Sneakers mit dicken Aktentaschen ein und sagten, sie kämen von IBM. Die Ingenieure hatten versucht, sich an Gates‘ Stil anzupassen – und Gates sich an ihren. Aber den Leuten von IBM sollte bald das Lachen vergehen. Was sich angesichts der Riesenhaftigkeit des Unternehmens niemand hatte vorstellen können, geschah: IBM verlor die Marktführerschaft.

Auch die Titanen aus den 90er-Jahren, dem ers-ten Internet-Jahrzehnt, sind verschwunden. Die Firma Netscape, die mit dem ersten Browser das Fenster ins Web öffnete, ist heute eine kleine Portalseite bei AOL. Mit der Übernahme von Time-Warner hatte AOL selbst ein neues Zeitalter einläuten wollen, geblieben ist ein Schatten. Als Rupert Murdoch 2005 für 580 Millionen Dollar MySpace kaufte, schien klar, wo die neuen digitalen Leitströmungen verlaufen: Social Media! Zur selben Zeit wurde ein Online-Bas-telkasten für künstliche Welten zur schärfsten Erfindung seit dem tiefen Teller erklärt: Second Life. Alles versunken und vergessen. Heute ist die Veränderung der Zustand.

Angesichts der rasanten Turn-around-Zyklen fällt der Blick auf die Giganten der digitalen Gegenwart und deren neuerliche Riesenhaftigkeit etwas nüchterner aus – Facebook (bald 700 Millionen Mitglieder, geplante Bewertung für den Börsengang: 100 Milliarden Dollar), Apple (300 Millionen iPods, 80 Millionen iPhones, 15 Millionen iPads verkauft), Google (3 Milliarden Suchanfragen pro Tag, Gewinn aus Werbung 2010: 8,5 Milliarden Dollar) und Amazon (2010: 231 Millionen Dollar Gewinn; seit Frühjahr verkauft Amazon mehr E-Books als gedruckte Bücher). Sie alle wollen digitale Extrawelten errichten, die man nicht mehr anderswohin verlassen muss. Sie möchten uns aufs Freundlichste in der Gegenwart einsperren. Facebook ist die weltweite WG, seine Freunde hat man nun in der Jackentasche immer mit dabei. Apple verbindet Software und Hardware so hinreißend harmonisch miteinander. Google versucht zunehmend, Anfrager nicht mehr über Links auf andere Webseiten zu leiten, sondern ihnen direkt Antwort zu geben. Und Amazon möchte die einzige Mega-Mall sein, die man noch betreten muss. Klicklichsein heißt das zugehörige Hochgefühl der neuen Zeit.

Die Zukunft der Computerei wird jedenfalls handlich und mobil sein, vielleicht auch in dem Sinn sozial, der Facebook groß gemacht hat – fürs Erste. Falls sie bei Facebook auch mal damit aufhören, ständig ihre Nutzer zu überfahren und ihnen ungefragt neue Privatsphären-Einstellungen unterzuschieben, könnte der Erfolg noch ein paar Jahre anhalten. Mit der Cloud, der großen Datenwolke, die nun viele aufbauen – ob Amazons Elastic Compute Cloud, Googles App Engine oder Apples iCloud – geben die Nutzer neuerlich mehr Kontrolle über ihre Daten ab, in der Hoffnung, dafür wieder mehr Bequemlichkeit zu erhalten, in dem Fall Rechenleistung nach Belieben, regelbar wie an einem Wasserhahn.

Am Ende wird die Faulheit siegen, wie immer. Sie ist die eigentliche Macht. Dafür lassen sich viele Menschen auf den faustischen Handel mit ihren Daten ein. Das Fatale: Es tut nicht weh, wenn jemand ein digitales Verhaltensprofil von mir erstellt und es verkauft – und die Daten, die mir genommen werden, sind ja immer noch da. Faulheit ist der stärkste, am meisten unterschätzte Antrieb, wirkungsvoller als Sex. Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler sprechen etwas vornehmer von convenience. In der digitalen Ära geht es nun um eine Art von Bequemlichkeit, die mehr und mehr dem ähnelt, was in Märchenbüchern Zauberei heißt – ein Fingerzeig, und am anderen Ende der Welt geschieht etwas, das ich veranlasst habe. Das Sternenfunkeln am Ende des Zauberstabs.

Das Internet verwandelt sich gerade in die Jetzt-sofort-alles-Maschine – und wir selbst sind die Macht, die dahintersteht. Zum Glück für die Wirtschaft sind wir viel zu bequem, sie zu nutzen.

Peter Glaser, Schriftsteller und Journalist, gewann 2002 den Bachmann-Preis und ist Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs. Seinen Blog „Glaserei“ findet man unter http://blog.stuttgarter-zeitung.de.

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