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Fatih Akin über Xatar: „Ihn haben Dämonen getrieben“

Kaum jemand prägte den deutschen Gangsta-Rap so sehr wie Giwar Hajabi, besser bekannt als Xatar. Nun ist der Bonner im Alter von 43 Jahren verstorben. Ein Gespräch mit dem Regisseur Fatih Akin, der mit „Rheingold“ 2022 einen Film über sein Leben gedreht hat.

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Heute erreicht uns die Nachricht vom Tod des deutschen Rappers Xatar. Sie kennen ihn wie wenige andere Menschen, denn Sie haben seine Lebensgeschichte verfilmt. Wissen Sie noch, wann Sie ihn das erste Mal wahrgenommen haben?

Ja, das weiß ich noch ganz genau. Moritz Bleibtreu arbeitete damals an seinem Film „Nur Gott kann mich richten“ und er erzählte mir komplett euphorisch, dass er für den Soundtrack und eine Cameo-Rolle Xatar gewinnen konnte. Als ich ihm sagte, dass ich Xatar nicht kennen würde, hielt er mir einen langen Vortrag, wie bedeutend er für deutschen HipHop wäre und was für eine außerordentliche Lebensgeschichte er hätte. Moritz ist ja sehr tief in diesem Thema drin. Dann hörte ich mir die Musik an und war sofort begeistert.

Warum genau?

Das war so roh. Besonders sein Album „415“, was er heimlich unter der Bettdecke in seiner Knastzelle aufgenommen hatte. Für den Song „Interpol“ wurde ein Solidaritätsvideo gedreht, in welcher die halbe deutsche Rapszene auftrat. Man spürte gleich, dass da etwas ganz Besonderes passierte. Irgendwann schrieb ich ihn auf Instagram an und wir waren dann eine lange Zeit über Social Media down.

Dann haben Sie sich entschieden sein Leben zu verfilmen. Was war der Anlass?

Ich bat ihn irgendwann, mir einmal seine Alben auf Vinyl zu schicken. Das tat er. Ich war gerade in einer Drehbuch-Session, als da dieser riesige Karton voller Platten ankam. Die anderen fragten, was das denn für Zeug sei. Ich sagte: Leute, das ist Xatar. Dann begann ich ihnen von ihm zu erzählen. Dass er ein Flüchtlingskind war, die Eltern Komponisten, er einen Goldtransporter ausgeraubt hatte und eine spektakuläre Flucht hinter sich hatte. Und irgendjemand sagte: Darüber musst du einen Film machen. Und ja, dachte ich, das ist es. Darüber musste ich einen Film machen. Ich besorgte mir seine Autobiografie und wie im Zeitraffer erschien der komplette Film vor meinem geistigen Auge. Genauso, wie er später geworden ist.

Wann haben Sie sich das erste Mal persönlich getroffen?

Nachdem ich sein Buch gelesen hatte, wollte ich ihm die Filmrechte abkaufen. Er meinte, es gäbe da schon jemanden der Interesse hätte, er warte aber noch auf den Richtigen. Ich sagte ihm: „Bruder, ich bin der Richtige.“ Dann trafen wir uns in Hamburg, gingen in einem feinen Fischrestaurant essen und redeten über alles. Wir verstanden uns so gut, dass er danach noch mit zu mir nach Hause kam. Mein Sohn war damals 15 oder 16 und saß mit einem Kumpel vor dem Fernseher. Die beiden zockten. Dann stand plötzlich Xatar vor ihnen. Sie waren ziemlich beeindruckt (lacht). Aus diesem Abend folgte eine lange, tiefe Freundschaft.

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Sie haben einmal gesagt, die Geschichte von Xatar ist eine sehr deutsche Geschichte. Was genau meinen Sie damit?

Alle meine Filme sind Heimatfilme. Es geht mir immer um eine Auseinandersetzung mit Deutschland und um die Frage, warum ist meine Heimat das, was sie geworden ist? Eine Antwort ist, dass dieses Land ein Einwandererland ist. Und Migranten und Flüchtlinge es geprägt haben. Menschen wie Xatar haben die deutsche Kultur verändert. Deutscher HipHop ist – ähnlich wie auch deutscher Punk – mehr als nur eine Adaption von einem bestehenden Sound gewesen. Es ist etwas eigenes daraus geworden. Und er war dafür mitverantwortlich. Er war einer der eloquentesten Rapper, die ich kenne. Die Art wie er mit der deutschen Sprache umgegangen ist, war einmalig. Und sie hat Spuren hinterlassen.

Xatar ist gerade einmal 43 Jahre alt geworden, aber er hat in dieser kurzen Zeit wahrscheinlich mehr erlebt, als andere Menschen. Wie sind Sie vorgegangen, als Sie seine Geschichte verarbeitet haben?

Der erste Satz in seiner Autobiografie war: „Meine erste Erinnerung an mein Leben ist die Erinnerung an das Gefängnis.“ Wenn ein Leben so beginnt, dann wird es wahrscheinlich nicht in normalen Bahnen verlaufen. So auch nicht bei G. Sein Leben war eine einzige Achterbahnfahrt. Meine Vision war es, das auch genauso umzusetzen. Über die Deutschrap-Geschichte hinauszugehen. Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte, ein Heist-Film, ein Flüchtlings- und ein Familiendrama. Es ist alles zugleich. Und das wollte ich zeigen. Das macht es auch so einzigartig.

Sie haben Xatar gut kennengelernt. Was war bei all dem der Kern seiner komplexen Persönlichkeit?

Er war ein Getriebener. So wie Künstler immer getrieben sind. So wie auch oft Flüchtlingskinder getrieben sind. Er hatte Armut erlebt und wollte diese Armut nie wieder erfahren müssen. Ihn haben Dämonen getrieben.

Wie erinnern Sie sich an die Dreharbeiten?

So chaotisch wie sein Leben war, so aufgeräumt erschien er. Uneitel. Freundlich. Und respektvoll. Das ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Er hat mich einfach machen lassen, keinerlei Eitelkeiten gehabt, dass er besonders dargestellt werden wollte. Er hatte Respekt vor mir als Künstler. Er hat mich machen lassen. Das zeigt, wie schlau er war und was er für ein Gespür für Menschen und die Kunst hatte. Dabei war er aber auch immer präsent und hat seine Hilfe angeboten. Und er hatte ein Auge für das Detail.

Gangsta-Rapper Xatar.

Wie meinen Sie das?

Ich komme aus der Hood. Aber aus einer anderen Hood als G. Die Codes, die in seiner Heimatstadt Bonn vorherrschten, kannte ich nicht. Aber er wusste alles. Wie man dort einen Joint drehte, welche Schuhe man zu welchen Jogginghosen trug. Wie man dort die Schuhe zuschnürte. Das sind Feinheiten, Details, aber er hatte ein Auge für so etwas. Und wenn die Details passen, dann wird das Gesamtwerk meistens auch gut. So war der Film eigentlich eine Gemeinschaftsproduktion von uns beiden. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Und wir haben sehr viel gelacht. So wild sein Leben war, so humorvoll war er.

Was wird von ihm bleiben?

Er hat das deutsche Rapgame geprägt, wie kaum jemand hier. Aber auch seine Persönlichkeit war für viele eine Inspiration. Xatar wird für immer mit Deutschlands wichtigster Jugendkultur in Verbindung gebracht werden.

Paul Zinken picture alliance / dpa