Feine Sahne Fischfilet: Die Wuhlheide im Schein der Bengalo-Fackeln

17.000 feiern mit Bannern und Bierduschen ein derbes Jubelfest für den Ostsee-Punk

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Pyro-Nebel liegt über dem Kessel der Berliner Wuhlheide. Auswärtsspiel und Krönungsmesse zugleich für eine ehemalige Dorfpunk-Combo aus dem Hinterland der Ostsee. Im Vorfeld als „bislang größtes Konzert der Bandgeschichte“ annonciert, sollte dieser Sommerabend etwas Weihevolles und ganz Besonderes bekommen. Da spielt es keine Rolle, dass Feine Sahn Fischfilet bereits 2023 an gleicher Stätte gespielt hatten. Da war es vielleicht nicht SO ausverkauft.

Pyro, Pogo und Punkromantik

Die 17.000 im weiten Rund jedenfalls greifen den Happening-Charakter gerne auf. Als nach einem Klimperklavier-Intro der Vorgang fällt und der Titelsong des letzten Albums „Wir kommen in Frieden“ angezählt wird, startet der heftige Bengalo-Support. Nicht nur in den Farben von Hansa Rostock. Sänger Jan „Monchi“ Gorkow würdigt das Spektakel mit einem „Wie geil sieht das denn aus, Alter!“.

In einem auf Attacke gebürsteten ersten Songblock hauen FSF ohne Atempause neue und ältere Hymnen raus. „Zurück in unserer Stadt“ und „Alles auf Rausch“, wo teure Literbier-Pfandbecher mit Inhalt durch die Lüfte segeln. Zu „15 Jahre“ gibt Monchi vorab die viel erzählte Prügelattacke zum Besten, als er einst von Faschos vermöbelt wurde. Eine Liebesromanze am Strand mit fatalem Ausgang: „Ich suche meine Zähne im feuchten Sand“.

Die biografische Erzählung „Geschichten aus Jarmen“ von 2012 bildet weiterhin die Basis für ihren heftig-schlichten Mix aus Oi-Punk (mit viel Ohooohooo) und Ska-Punk (mit Trompete). Knallt gut ist ihr Gemüse. Virtuose Stilwechsel brauchen sie nicht.

Der politische Stachel sitzt tief

„Grüße ans Neanderthal“ von 2025 („Tausend Jahre Deutsches Reich, Crystal macht die Birne weich“) ist ein aktueller Song, welcher dem Nachbar ihres Studios gewidmet ist, der immer dann in seinem Vorgarten die Reichskriegsflagge hisst, wenn Feine Sahne Fischfilet dort im Proberaum sind. „Aus so einer Scheiße ein Lied zu machen“ faucht Monchy und dann ballert wieder das Punk-Stakkato.

„Besoffen Sein“ mit Bierbecher-Hochhalten und kaninchenhaft hoppelnden Mosh- oder Kreisel-Pits gibt es natürlich auch. Immer nur Nazis bekämpfen macht ja auch mürbe, und so ist Monchis universalistisches Credo, das er etwa zur Halbzeit verkündet: „Humanistisch bleiben!“

Gleichwohl wird wenig später für den „Neanderthal“-Song ein Banner hinter dem Schlagzeug gehisst: „Das Boot ist voll mit Nazi-Spacken und nationalen Jammerlappen“.

Zugabe mit Schlauchboot

Als der herzige Traditional „Wenn‘s morgen vorbei ist“ angespielt wird, zeigt sich noch mal die ganze Wucht dieser Bier-und Widerstand-Mixtur. Auf der linken Tribüne reckt eine Fan-Crew ein von hinten illuminiertes Banner in die Höhe: „Scheißegal, wir haben gelebt“ – der trotzige Leitspruch der Fischfilets. Verbunden mit der gerne gepflegten Routine, die emsige Supporter-Army auf die Bühne zu bitten und auch kistenweise Bier an die vordersten Reihen verteilen.

In der umfangreichen Zugabe durchbrechen Monchi und Co dann doch noch ihr Punk-Dauerfeuer. Erst mit der menschlich-verständlichen, aber musikalisch kitschig geraden Ballade „Haut an Haut“ (für seine Tochter), dann mit der souveränen Rap-Interpretation von Eminems „Without Me“ von Trompeter Max Bobzin, bevor es mit einem Bananen-Schlauchboot zur großen Kaperfahrt über die Publikums-Arme und -Köpfe hinweg geht.
„Komplett im Arsch“ als Schlusspunkt ist stimmig. Alle ausgepowert und biergeduscht. Monchi als großer Menschenfischer: „Das war Legende mit euch, Alter!“

Ralf Niemczyk schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.