Festivalitis 2015 – Wie viele Großveranstaltungen wollen die Fans?

Der Kampf um den Nürburgring hat zu einer heftigen Festival-Zellteilung geführt. Nach den ersten Vorverkaufs-Meldungen stellt sich die Frage: Gibt es im nächsten Jahr ausreichend Fans für alle?

Wer hätte je gedacht, dass ein Autozulieferer aus Düsseldorf die Landschaft der großen Musikfestivals in Deutschland umkrempeln kann!? Die Firma heißt Capricorn. Sie produziert Kurbelwellen und allerlei Zylinder-Teile. Im März 2014 übernimmt dieses Rennsport-nahe Unternehmen vom Bundesland Rheinland-Pfalz den Nürburgring, der nach einem über-ambitionierten Ausbauprogramm zum Hundert-Millionen-Euro-Grab geworden war. Wenig später kündigt Capricorn dem Veranstalter Marek Lieberberg  (MLK) den Vertrag für das Musikspektakel „Rock am Ring“, das jährlich rund 90.000 Besucher anzieht und 1985 zum ersten Mal stattgefunden hat.

Im Juni 2014 taucht mit dem Berliner Impressario Peter Schwenkow von der börsennotierten DEAG ein neuer Ring-Rocker auf, der das Traditionsfestival zu neuen Konditionen weiterführen will. Ring-Erfinder Lieberberg gefällt das nicht. „Spiegel Online“ spricht vom „Krieg der Festivals“. Es kommt zu gegenseitigen Vorhaltungen und einem Rechtsstreit, an dessen Ende die DEAG-Neuschöpfungen „Der Ring – Grüne Hölle Rock“ (am Nürburgring) , „Rockavaria“ (in München), und ein Umzug von „Rock am Ring“ auf den Voreifel-Flughafen Mendig steht.  Aus den beiden Rock-Traditions-Events (das Schwester-Pendant „Rock im Park“ findet unverändert auf dem Zeppelinfeld zu Nürnberg statt) werden also gleich vier. Oder sogar fünf. Wenn man das österreichische Pendant „Rock in Vienna“ dazurechnet, das vom 4. bis. 6. Juni auf der Wiener Praterinsel steigt. Diese müssen nun an zwei aufeinanderfolgenden Frühlings-Wochenenden locker 350.000 Musikfans bewegen, um erfolgreich zu sein. Ein spannendes Duell der Festival-Granden.

Doch damit nicht genug. Anfang November kündigt Janes-Addiction-Gründer Perry Farell an, dass seine Lollapalooza-Tournee zur „weltweiten Marke“ werden soll. Ein Joint Venture mit der Köln-Berliner Hörstmann-Gruppe (die bereits das Melt!, das Splash und das Berlin Festival veranstaltet) ist vereinbart. Der erste Alternative-Spektakel nach US-Muster soll nun am 12./13. September auf dem Berliner Flugfeld in Tempelhof stattfinden, dem ehemaligen Spielort des Berlin Festival (das als verkleinerte Elektro-Ausgabe auf einen Ende-Mai-Termin vor-rutscht). Und zuletzt steigt auch FKP Scorpio in den Ring (die auch den ROLLING STONE Weekender veranstalten), mit der neuen Kreation mit dem schönen (Shakespeare-)Titel „A Summer’s Tale“ – ein multi-kreatives Wohlfühl-Happening für etwa 10.000 Erwachsene, die in die Heidelandschaft in der Nähe von Lüneburg gebeten werden.

Soviel Aufbruch wie im kommenden EM- und WM-freien Sommer 2015 hat es in der bundesrepublikanischen Festival-Historie, die vor über 44 Jahren auf der Insel Fehmarn begann, noch nie gegeben. Man darf gespannt sein, ob diese Event-Inflation vom Publikum entsprechend goutiert wird. Der viel beschworene „Entertainment Dollar“ (also das Budget, das für Medien- und Popkulturnutzung zur Verfügung steht) wird im nächsten Jahr jedenfalls arg strapaziert. Die ersten Meldungen vom Verkaufsstart der „Grünen Hölle“ und ihrer Sidekick-Events versprechen jedenfalls mit 18.000 Karten eine erstaunliche Erfolgsstory im Vorverkauf. Noch ist unklar, ob das nur der „early-bird“-Effekt ist.

FKP-Scorpio-Chef Folkert Koopmans (auch Hurricane und Southside) hatte jedenfalls bereits im Juni 2014 im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ von einem „Blutbad“ beim Gagen- und Vertragshandel mit zugkräftigen Bands gesprochen. “Und dann fallen leider auch ein paar Blutspritzer auf uns ab, weil es bestimmt ein paar Bands geben wird, die wir auch haben wollen, und die dadurch im Preis-Ranking ziemlich nach oben gehen”, sagte Koopmans damals. Mit dem Lollapalooza-Einstieg in Europa wird die Feilscherei nun noch heftiger. Da wird manch Bandmanager sechsstellige Festgagen am Horizont funkeln sehen. Und selbst im Indie-Segment darf man sich auf gute Geschäfte freuen, Sanierung der Künstlerkassen im nächsten Sommer scheint angesagt.

Und schon jetzt ist abzusehen, dass unter diesem Elefanten-Kampf vor allem die mittelgroßen Veranstaltungen inhaltlich (und ökonomisch) leiden werden. Der Zusammenbruch der Veranstalterfirma Creative Talent, die nach der Absage des Greenville Festivals im Juli 2014 in die Insolvenz gegangen sind, mag ein Warnschuss sein. Durch die „Konkurrenz-Ausschlussklausel“ werden insbesondere Headliner schlicht vom freien Markt weggekauft. Es darf also gepokert werden!

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