Fit für den großen Traum

HipHop, Electro und Dub vermischt Santi White mit Santogold äußerst konsequent zu cleverem New-Wave-Pop. Wie Hits funktionieren, trainiert sie beim Songschreiben für Kolleginnen wie Lily Allen

Pop ist ein glücklichmachender Traum von unsagbar banalen Dingen. Junge Menschen mit frischen Gesichtern und komischen Frisuren drängen immer wieder neu ins Rampenlicht, um nichts Anderes zu tun, als ihre Neurosen zu kultivieren und so viel Spaß zu haben, dass alle begeistert mitmachen möchten. Manchmal ist es sogar tatsächlich… authentisch. In den komischen Nischen, in die kein A&R-Manager freiwillig reinkriecht, weil die Künstler nicht besonders gut aussehen und ihre Musik nicht in die großen Medienformate passt. In der Regel aber funktioniert Pop wie jedes andere Produkt: Zuerst einmal muss dafür gesorgt werden, dass es eine Nachfrage gibt. Das ist gar nichts Ehrenrühriges, zumindest, sofern die Qualität stimmt, denn Künstlichkeit gehört zum Pop wie spitze Schreie und Power-Akkorde. Das weiß auch Santi White.

Die Sängerin, Songschreiberin und Produzentin veröffentlichte im Januar unter dem Namen Santogold ihre erste Single, und selbst Madonna hätte dabei nicht smarter vorgehen können: „Creator“ war eine Zusammenarbeit mit Freq Nasty und Switch, zwei Großmeistern der ambitionierten Dance-Music. Switch hatte zuletzt M.I.A.s Album „Kala“ co-produziert — und genauso klang auch „Creator“: majestätisch rollende Bhangra-Rhythmen, kranke Störgeräusche und Santi Whites Vokalakrobatik, die sich bis zum Plagiats-Verdacht an M.I A. anlehnte. Auf der Single befand sich allerdings noch ein Song: „L.E.S. Artistes“ hörte sich völlig anders an, eher als wäre Cyndi Lauper jetzt mit Blondie als Backingband unterwegs. Cleverer und unverschämt eingängiger N ew-Wave-Pop, der selbst hierzulande im Radio laufen könnte. Da wollte jemand ganz offensichtlich seine Vielseitigkeit präsentieren. Und die Medien reagierten wie geplant: Sofort nach Veröffentlichung der Single wurde nicht nur etwas geschwärmt, es wurde sofort die ganz große Karriere prophezeit — vom wie immer hysterischen „NME“ („The queen of all pop in 2008“), bis Zum seriösen „Guardian“ (, A Star in the making“). Ein Auftritt vor Björk im Madison Square Garden und ein Beitrag zu Mark Ronsons Album „Version “ befeuerten den Hype um die Sängerin aus Brooklyn noch.

Eine ideale Ausgangssituation, um das Album verschiedenen Labels anzubieten. Doch die Rechte für Santogolds Debüt wurden von ihrem Management nicht global vergeben, sondern nur für einzelne Territorien. Eine smarte Methode, um den allerbesten Deal zu bekommen. In den USA erscheint „Santogold“ nun bei Downtown, im Vereinigten Königreich auf Atlantic, und in Deutschland kommt die CD über Lizard King in die Läden. Was immer die Plattenfirmen zahlten – musikalisch hat es sich gelohnt: Das Fundament des Albums bildet schneller New-Wave-Rock zwischen Devo und Siouxie & The Banshees. Songs wie „Say Aha“ surfen meist auf einer pulsierenden Basslinie und sind mit Bläsern, scharfen Gitarren-Riffs und allerlei elektronischen Details reizvoll arrangiert. Dazu finden sich aber auch Stücke für die coolen Metropolen-Clubs, der von DJ Diplo produzierte Hüpfer „Unstoppable“‚ etwa oder das vom Dub-Reggae geküsste „Shove It“, eine Kollaboration mit dem Rapper Naeem Juwan von Spankrock. In solchen Songs werden HipHop, Electro und Dub deutlich konsequenter und rauer zusammengedacht, als man das von grundsätzlich verwandten Künstlerinnen wie Gwen Stefani oder Madonna kennt, die immer auch an den biederen Teil ihrer Klientel denken.

Aber wer ist überhaupt diese Santi White, die vor plusminus 30 Jahren in Philadelphia geboren wurde? „Santogold ist schon sehr lange mein Spitzname. Es ist eigentlich eine Bezeichnung für billiges, minderwertiges Gold. Weil ich mit zwölf immer diese goldenen Ohrringe trug, nannten mich die anderen Santogold.“ White war ein aufgewecktes und „ultrasoziales“ Kid, die einzige Afro-Amerikanerin in einer noblen Privatschule. Ihr Vater, ein erfolgreicher Anwalt, nahm sie oft mit zu Konzerten von Nina Simone, Fela Kuti und James Brown. „Ich erinnere mich, wie ich meinen Vater gefragt habe: ,Was ist mit seinen Beinen los?, und er antwortetet: Er hat Soul.“‚ Ihrer Schwester verdankt Little Santi die Bekanntschaft mit Bands wie den Bad Brains, B-52S oder Talking Heads. Ein paar Jahre später studiert sie Musik an der Wesleyan University — von karibischen und westafrikanischen Trommel-Workshops über Jazz-Theorie bis zur klassischen Musik. „Ich hatte auch drei Monate langGesangs-Unterricht-bis meine Lehrerin behauptete, mit meiner Stimme sei etwas nicht in Ordnung.“ Mangelndes Selbstbewusstsein war allerdings nie ein Problem von Santi White.

Nach ihrem Studium beginnt sie einen Job in New York, in der A&PR-Abteilung des Sony-Labels Rutfhouse, wo sie bald eine alte Freundin, die Nu-Soul-Sängerin Rcs, unter Vertrag nahm. Obwohl White bis dahin gerade mal drei Songs geschrieben hatte, komponierte und produzierte sie mit an Res‘ Debütalbum „How I Do“. Leider ein ziemlicher Flop. Auch mit der eigenen Band Stiffed – in der auch ihr heutiger Haupt-Kollaborateur und Co-Produzent John Hill mitspielte – hatte Santi White wenig Erfolg. 2006 löste sich die Band auf, White und Hill starteten Santagold.

Über die Frage, was die sehr unterschiedlichen Stücke des Albums denn gemeinsam hätten, muss Santi White sehr lange nachdenken: „Hmmhhh… mich – ich bin überall involviert“, sagt sie lachend, aber auch etwas ratlos. Was die Songs aber wirklich auszeichnet — neben Santi Whites wandlungsfähiger Stimme —, ist die durchweg hohe Qualität des Songwriting. Unter all dem studiotechnischen Schnickschnack haben wir es hier mit echten Ohrwürmern zu tun, die nicht großes Kunstwerk sein wollen, sondern Begleiter im Alltag. Pop eben. Dieses Talent wurde schon früher erkannt – und genutzt: Santi White schrieb zwei Songs für das neue Album des Popsternchens Ashlee Simpson, auch an Lily Aliens „Little Things“ war sie beteiligt. „Für andere Leute zu schreiben, das ist wie Mathe oder wie in ein Fitnessstudio zu gehen: Niemand macht das gern, aber es hält die Fähigkeiten und Talente in Form“, behauptet die Expertin und formuliert dann, ohne groß darüber nachzudenken, das Konzept von Santogold: „Wenn ich mit Produzenten wie Pharrell Williams zusammenarbeite, geht es darum. Hits rauszuhauen. Und obwohl ,Hits‘ nicht unbedingt meine Sorte Musik sind, ist es doch ein gutes Training, Songs zu schreiben, die so catchy sind, dass sie auch im Radio gespielt werden. Ich bin so in der Lage zu beurteilen, ob ich einen Hit in meinen Händen halte oder nicht. Das ist ziemlich wichtig.“ Der ewige Traum vom glücklichmachenden, authentischen Pop braucht eben ein solides Fundament. Es ist das Leichte, das oft so schwer zu machen ist.

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