Franz im Glück

Obacht, revolutionäre Hänflinge: 2004 sind Franz Ferdinand vom Indie-Tipp zum Million-Seiler explodiert und haben so ein kleines Erdbeben ausgelöst. Jetzt folgt die Fortsetzung.

Sie zogen hinaus in die Welt – und wollten nicht weniger, als sie zu erobern. Niemand konnte ihnen entkommen, als sie angriffen, bewaffnet mir Kajalstiften und Second-Hand-Jackettchen nobody could run, nobody could hide!“ blökt die Stimme und steigert sich dann noch tiefer in die irre Tirade hinein: „Franz Ferdinand haben nicht nur Millionen von Trommelfellen gekidnappt, sondern auch die Kronjuwelen der Musikindustrie gestohlen: den renommierten Mercury Music Price und zwei Brit Awards. „Yet they are just regular Glasgow guys.“ Zu hören ist der japsende Lobpreis auf einem Glasgow-Audio-Guide im MP3-Format, einer Art Indie-Sightseeing-Tour. Zwischendurch schraubt sich die Stimme auch bei der Erwähnung von Orange Juice, Jesus & Mary Chain und Belle & Sebastian in euphorische Höhen – Aufhänger, roter Faden, schlichtweg the big thing aber sind Franz Ferdinand.

Was in den vergangenen zwei Jahren mit Franz Ferdinand passiert ist, ist eine dieser Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur. Ende 2001 in einer Küche gegründet, ein paar obskure Auftritte unter wunderlichen Umständen (in Mädchenschlafzimmern oder beleuchtet von Dutzenden Sonnenbänken), ein gerüttelt Maß an Indie-Fame über die Stadtgrenzen Glasgows hinaus, und schon balgten sich bei einem Konzert in ihrer Heimatstadt angeblich 40 Labels um die Ferdinandsche Unterschrift auf einem Plattenvertrag, dann eine Ladung Preise, und, bumm, drei Millionen verkaufte Debütalben weltweit.

Längst gelten sie als die Altvorderen der neuen Hot-Britannia-Rockwelle, deren neue Bands täglich dutzendweise vom Himmel fallen, und im November werden Franz Ferdinand, die gefühlt gestern noch Indie-Schätzchen mit schrulligem Arty-Eierkopfkram-Appeal waren, in der Hamburger Colorline-Arena spielen.

Noch mehr als Verkaufszahlen und Riesenvenues sagt vielleicht das kleine Detail über FFs in kürzester Zeit gewucherte Bedeutung und Größe, daß das Glasgower Tourismusoffice die Band in ihre Image-Broschüre aufgenommen hat. Ein schwitziges Konzertfoto neben pittoresken Glasgow-Ansichten. Jünglichen Besuchern legt man wärmstens den bereits erwähnten Indie-Audio-Guide ans Herz, der einen auf Franzens Spuren durch die Stadt fernsteuert: zum „I3th Note Cafe“ (wo Alex Kapranos mal als Booker arbeitete), einen Schlenker zur School of Art (wo Bob Hardys Studium und die leidige Nacktmodell-Karriere von Paul Thomson referiert werden) und sodann zum „Stereo“, einer Kneipe mit winziger Bühne (an deren Fassade Alex im „Darts Of Pleasure“-Video vorbeiläuft).

Im „Stereo“, wo FF vor gar nicht so vielen Jahren auch ihr erstes offizielles Konzert spielten, treten regelmäßig hoffnungsfrohe Glaswegian Bands auf, die The Ronelles oder Raising Kain heißen, kein bißchen wie Franz Ferdinand klingen, kein bißchen wie Franz Ferdinand aussehen, eifrig betonen, nichts mit Franz Ferdinand zu tun zu haben – und doch nicht umhin kommen, die Band im Gespräch ständig als Referenzpunkt und Reibungsfläche heranzuziehen. Sehr schnell sei das bei denen ja schon gegangen mit dem Berühmtwerden, den ganz großen Venues, jemand lispelt was von Sell-out, aber andererseits gründe man eine Band ja nicht, um die Nummer vier oder fünf der Charts zu sein, sondern die Nummer eins, drum Schwamm drüber und good luck to them, sagt Del von den Ronelles und erzählt dann noch schnell, wie er neulich eine Rangelei mit „diesem Gitarristen“ von FF gehabt hätte, „keine Ahnung, wie er heißt“, weil man sich nicht habe einigen können, wessen Band armseliger sei.

Ob man Franz Ferdinand nun mag oder nicht, so richtig vorbei kam man im vergangenen Jahr an ihnen nicht. Wenn nun ihr zweites Album „You Could Have It So Much Better“, eine der besten Platten des Jahres, erscheint, wird sich an ihrer massiven Präsenz nichts ändern (sie -wird sich eher noch nach oben korrigieren), ihre Musik wird sich weiter verkaufen wie geschnitten Brot, die Konzerte werden ausverkauft sein, und die vier engbehosten Herren aus Schottland werden weiter die Indie-Konsensband der Herzen sein, Millionenverkäufe hin oder her. Womöglich liegt das Franz-Geheimnis in der grundsätzlichen Widersprüchlichkeit dieser Band, ihrem mühelosen Zusammenführen von Extremen und Unvereinbarkeiten, ihrer Koketterie mit dem Dualismus.

Landhaus vs. Urbanität

Man mußte sich doch wundern, als vor ein paar Monaten die ersten Schnappschüsse der Aufnahmearbeiten für das neue Album auf der offiziellen Franz-Homepage erschienen: Fotos von Suppenschüsseln grünlich-gesunden Inhalts, einer sorgsam befüllten Spülmaschine und von Gitarristen an gurgelnden Wildbächlein. Franz Ferdinand hatten sich in das jüngst erstandene Landhaus von Alex Kapranos irgendwo in der schottischen Countryside zurückgezogen. Die Band, die für urbanen Schick und bohemisches Großstadtleben steht, machte eine gänzlich bürgerliche Landpartie und ließ alle daran teilhaben – Fans konnten per Mail Menüvorschläge und Rezepte für die nächsten Tage einschicken und mit ornithologischen Ratschlägen weiterhelfen, wenn einzelne Bandmitglieder sich mit der korrekten Bestimmung dieses rötlichen Vogels auf dem Gartenzaun schwertaten. „Die Leute glauben ja wirklich, daß wir ständig ein bizarres, verrücktes Leben voll Glamour führen“, sagt Alex Kapranos, „alles nur deshalb, weil wir guys in a band sind. Aber Menschen in Bands sind keine exotischen, alienhaften Wesen. Wir wollten einfach zeigen, daß wir leben wie alle anderen Leute auch.“

„Wir sind aufgestanden, haben den Garten umgegraben und dann ein Lied geschrieben“, erklärt Nick McCarthy die Tagesroutine. Daß die Musik, die dabei entstand, weniger dazu dienen dürfte, Milchmägde zum Tanzen zu bringen, ist für Kapranos kein Widerspruch: „Wir sind morgens vom Blöken der Lämmer aufgewacht, die sich gegenseitig über die Wiesen jagten, aber die Umgebung hatte keinerlei Einfluß auf die Musik – wir haben kein ländlich-idyllisches Schäferlyrik-Album aufgenommen, die Inspiration für die neue, eher düstere Grundstimmung zogen wir eher aus unserem Leben in Glasgow.“ Auch die Abmischarbeiten wurden in New York vorgenommen, einem denkbar konträren Setting zu Lämmchen und Wildbächen.

Arty vs. authentisch

Das romantisch angewitterte Kapranossche Landhaus könnte die Nachfolge des längst mythisch verklärten Chateaus antreten, jenes einstigen Franz-Ferdinand-Wirkungsortes in Glasgow, von dem einem niemand dort so recht sagen kann, wo es eigentlich liegt. Wie der Gründungsmythos um die Prügelei wegen einer Flasche Schnaps scheint auch die Kreation besonderer Orte Teil einer kunstvoll konstruierten Bandsaga zu sein. Alex Kapranos rudert wild mit den Armen und widerspricht. „Wir denken uns das nicht aus! Das ist alles ‚wahr! Ich erinnere mich an ein Interview in Amsterdam, bei dem das Mädchen richtiggehend wütend wurde und ankündigte, all diese Seifenblasen platzen zu lassen — die Sache mit dem Wodka, dem Chateau und so weiter. Kurz darauf wurde ich an einem russischen Flughafen aufgehalten, weil man mich mit einem Ml5-Agenten verwechselte – gelegentlich passieren uns Dinge, die zu verrückt scheinen, um ¿wahr zu sein.“

Auch wenn Franz Ferdinand also nicht willentlich an der eigenen Historie schnitzen, ist ihnen der Style-Aspekt ihrer Band jenseits der Musik doch wichtig genug, um Artwork, Bühnenbild, Kleidung und Videos komplett selbst zu designen. „Wir wollen jede Gelegenheit nutzen, um unsere kreative Identität zu zeigen“, sagt Alex. „Wie man auf der Bühne steht, sagt der Welt, wer man ist – die Entscheidung darüber sollte man nie anderen Leuten überlassen.“ „Manchmal muß man wirklich aufpassen“, sagt Nick. „Wir bekommen zum Beispiel viele Sachen von Dior, die reißen sich richtig darum, daß wir was von ihnen anziehen. Und dann haben wir uns letztes Jahr mal Fotos von uns angeschaut, als wir all die Sachen anhatten – und ich habe gedacht: „Hey, schau sie dir an, die geschleckten Hühner! Das war einfach nicht mehr unser Style.“ Um den authentischen Franz-Ferdinand-Stil zu wahren, gehen die Bandmitglieder auch gerne mal mitsammen einkaufen. „Wie vier alte Kaffeetanten“, sagt Nick. Nicht eher wie die vier „Sex & The City“-Girls? „Doch. Eigentlich eher so.“

Ein weiterer Punkt, der Franz Ferdinand bei aller gestylten Oberfläche im sogenannten echten Leben verankert, sind die vielen Bezüge zu realen, lebenden Charakteren in ihren Liedern.,.Manchmal habe ich ein richtig schlechtes Gewissen, daß ich für meine Texte den Leuten um mich herum ihre Erlebnisse und Gefühle klaue, sagt Alex Kapranos. „Für ,Outsiders‘ haben wir jede Menge Leute angerufen und Geschichten zusammengesammelt – es klingt vielleicht kitschig, aber die besten Stories findet man immer noch im Kleinen, im Alltäglichen“, sagt Nick Mc-Carthy. „Der Text von ,Do You Want To‘ zum Beispiel basiert auf einem Monolog, den ein Mädchen Alex mal auf einer Party ins Ohr geschrieen hat, das ganze Zeug: ,Oh, your famous friend, I knew him before you and 1 blew him before you.“‚

Haß vs. Liebe

„Take Me Out“, der idealtypische Ferdinand-Song, ist ein Elefant im Porzellanladen: Nonchalant stampfend zertrümmert er sorgfältig aufgebaute Gläserpyramiden, dreht sich unvermittelt um und schert sich einen feuchten Kehricht darum, was dabei alles zu Bruch geht. „Im Studio haben wir damals mit beiden Produzenten gestritten, weil sie dauernd sagten: Das ist gegen alle musikalischen Konventionen, das könnt ihr nicht machen“, erinnert sich Alex Kapranos, „und wir sagten nur: Natürlich können wir.“ Auch auf „You Could Have 1t So Much Better“ findet sich diese Liebe zum Zerdeppern von Konventionen wieder, auf musikalischer, deutlicher aber noch auf textlicher Ebene – schließlich bedeutet auch schon „to take someone out“ nicht nur, jemanden abends fein auszuführen, sondern auch, jemanden komplett auszuknocken oder gar zu töten. „Ich schreibe am liebsten über Gefühle, wenn es sich dabei um einen clash of emotions handelt. Widersprüchliche, verwirrende Situationen sind die interessantesten. Ein gutes Beispiel ist ,You’re The Reason I’m Leaving‘. Ich fuhr im Auto zur Beerdigung meines Freundes, draußen Sonnenschein, und im Radio kam ,Everybody Hurts‘ – ich mag R.E.M., aber ich hasse diesen Song, er ist einfach zu schmalzy. Und plötzlich mußte ich mit den Tränen kämpfen – wegen diesem Kitschkram! Da waren plötzlich so viele starke, miteinander konkurrierende Gefühle zu selben Zeit: die Trauer um meinen Freund, der strahlende Sonnenschein, und dann dieses Lied, das ich hasse – und ich war plötzlich wütend auf meinen Freund, weil er schuld daran war, daß ich wegen dieses Liedes weinen mußte, das ich doch überhaupt nicht mag. Man empfindet nie nur ein einziges Gefühl zur selben Zeit. Ich könnte niemals sagen: ,Ich bin jetzt im Moment glücklich, und zwar nichts als glücklich.“‚

Trademark vs. Innovation

„Bei den Aufnahmen zum neuen Album hatten wir zwei Dinge im Auge“, sagt Nick McCarthy, „wir wollten unserem Stil und uns selbst treu bleiben, aber auf keinen Fall noch mal dasselbe machen wie auf dem letzten Album. Darum haben wir frühzeitig aufgehört zu touren, um nicht zu unserer eigenen Karaoke-Band zu werden.“ Die Sony, bei der Franz Ferdinand in den USA unter Vetrag sind, hätte ihre Jungs zwar liebend gerne noch ein wenig durch das Land geschickt, „aber da mußten wir sagen, das geht auf keinen Fall.“ „Leider ist den meisten Bands der Abenteurergeist der 6oer Jahre etwas verloren gegangen“, sagt Alex Kapranos, „die Plattenfirmen erwarten von ihnen, daß sie eine Art Brand Identity entwickeln und sich dann sklavisch an die eigenen Vorgaben halten that’s bollocks! Wenn ich dagegen an die Modewelt denke, wo es vor allen Dingen um Weiterentwicklung geht, wünsche ich mir so etwas auch für die Popmusik: ein Designer kommt nie in Erklärungsnot, ¿warum er diese Saison enge Hosen schneidert, während er im letzten Jahr noch weite Säcke verkauft hat. Man sollte immer weitergehen, sich immer weiter entwickeln – und dabei allerdings nie vergessen, wer man ist.“

Sich verändern und doch derselbe bleiben, Wandel und Konstanz – damit berühren Franz Ferdinand dann tatsächlich die ganz großen Widersprüche des Lebens.

Nur einen größeren gibt es noch, den von Leben und Tod – und selbst dieser ultimative Dualismus findet sich indirekt auf „You Could Have It So Much Better“ wieder, berichtet Nick: „Als wir in Alex‘ Haus angekommen sind, war gerade die Lammzeit: Überall sind die süßen kleinen Schäfchen herumgesprungen. Dann haben wir zwei Monate lang am Album geschrieben und die Lieder aufgenommen, unsere Sachen wieder eingepackt, und sind nach Hause gefangen – da hat man dann gerade damit angefangen, all die Lämmer wieder zu schlachten.“

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