Frühreif und rebellisch

ARCHY MARSHALL IST nicht gerade ein nervöser Typ. Die Interviews, die Aufregung um sein gerade erschienenes Debütalbum „Six Feet Beneath The Moon“, das Lob der Kritiker -falls ihn das alles nur ein klein wenig unruhig machen sollte, dann zeigt er es mit keinem Deut. Er spielt das coole Street Kid: die gedehnten Silben seiner Sprache, die tief sitzenden Baggy Pants, die lässig nach vorne gekrümmte Haltung. Gesten, die er sich in Londons Südosten einverleibte, wo er aufgewachsen ist: „Du kannst dich vor dieser Stadt nicht verstecken.“ Zum Interview am frühen Nachmittag bestellt er Bier: „Cheers, man!“

Seine Musik ist ein kraftstrotzendes Gegenstück zur Person: Unter dem Künstlernamen King Krule ist er ein Dark-Wave-Troubadour von entwaffnend zeitgenössischer Gefühligkeit. In seiner rauen, kläffenden Stimme liegen Rastlosigkeit und Wut. Seine Soundgefüge schleichen gekonnt zwischen Jazz-Samples, brummenden Dubstep-Bässen, HipHop-und Post-Punk-Anleihen umher. Düster klingen seine Songs, auch sonderbar gequält und verletzlich. Einflussnuancen von Morrissey über Leonard Cohen bis hin zu Billy Bragg und Joe Strummer vermischen sich zu einem modernen Weltschmerz. So oder ähnlich klingt wahrscheinlich der Soundtrack der desillusionierten jugendlichen Seele ebenjener Briten, die 2011 London in eine Krawallorgie stürzten. „Ich verstehe, warum sie wütend waren, auch wenn ich selbst nicht mitgemacht habe.“

Dabei ist seine dunkle Liedkunst nicht wütendes Gebrüll, sondern vielmehr cleveres Synthie-Noir – in vielerlei Weise untypisch für einen Brit-School-Alumni. Auch weil seine Musik nicht auf typischen Erfolgsrezepten fußt. Eigentlich möge er alle Genres, sagt er: „Ich finde aus verschiedenen Perspektiven Zugang zu meinen Songs und umkreise sie immer aus vielen Richtungen.“ Mit acht Jahren fing er an Gitarre zu spielen, hörte die Pixies und Jimi Hendrix, HipHop von A Tribe Called Quest und Punkbands wie The Damned. Später mischte sich Dubstep, UK Garage und Grime dazu.

Das alles fließt in seinen Songs zusammen. Retro seien sie deshalb nicht, sagt er und schiebt wieder so einen lässigen Südlondon-Satz nach: „Ich mache mein eigenes Ding. Manchmal fühle ich mich wie ein Pionier meiner eigenen Musik. Die ist für mich ja auch neu.“

Sein Debütalbum ist für ihn ein wichtiger Schritt, auch wenn er viel zu entspannt ist, um sich selbst allzu ernst zu nehmen. Nach den umtriebigen Musikprojekten der letzten zwei Jahre -etwa elektronische Tanzmusik als DJ JD Sports, Rap als Edgar the Beatmaker und Zusammenarbeiten mit dem Elektro-Frickel-Duo Mount Kimbie -hat er seine Kraft in den vergangenen Monaten ausschließlich auf das Album konzentriert, das von Rodaidh Mc-Donald (The XX) produziert wurde.

In seinen Texten macht sich Archy Marshall viele Gedanken und erschafft mit -für sein Alter von 19 Jahren -verblüffender sprachlicher Gewandtheit auf „Six Feet Beneath The Moon“ sehr persönliche, abgründige Welten. „And I’m the only one believing/There’s nothing to believe in“, heißt es etwa im Song „Has It Hit“, der noch unter dem alten Pseudonym Zoo Kid entstand. Und in „Easy Easy“, einem Postpunk-Stück mit Einflüssen aus Psychedelia, Rockabilly und Rap, sprechsingt er mit heiserem Very-british-Akzent über die Mühen von „dead-end jobs“: „And now you spend your evenings searching for another life.“ Stets wabern seine Lyrics rätselhaft zwischen Lethargie und Ausbruch.

„Ich habe mich immer weniger als Sänger gesehen. Vielmehr als MC, im Sinne von Master of Ceremony, der seine Musik mit Worten ebenso orchestriert wie mit Instrumenten“, sagt King Krule. Das Album soll dem Publikum dabei helfen, das zu verstehen.

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