Für das Blue Note-Label spielte der Jazzgitarrist CHARLIE HUNTER Bob Marleys „“Natty Dread“ ohne Reggae ein

Alles Reggae-Klassiker in Versionen ohne Gesang? Schlimmer noch: ohne Groove. Und doch ein produktiver Skandal, angerichtet von einem Jazzgitarristen, der acht Saiten aufzieht, um mit seinem flinken Daumen den Bassisten überflüssig zu machen. Als Mietmusiker der einstigen HipHop-Jazzer Disposable Heroes of Hiphoprisy im Vorprogramm von U2 wurde Charlie Hunter nicht groß zur Kenntnis genommen, ganz zu schweigen von einer Tour mit Tracy Chapman, die er als „schlimmen Fehler“ bezeichnet. Aber TJ. Kirk hat ihn dann bekannt gemacht, eine Band, die ausschließlich bedeutende Kompositionen von James Brown, Thelonious Monk und Rahsaan Roland Kirk verschmilzt.

Dank des umgebauten Orgelverstärkers und seiner unkonventionellen Spielweise kann Charlie Hunter klingen, als spiele er auf einer Hammond B 3. Das kam ihm auch zugute, ab er Bob Marleys legendäres Album „Natty Dread“ von 1974 für das traditionsreiche Jazzlabel Blue Note coverte – von „No Woman, No Cry“ bis zu „Revolution“. Blue Note-Boß Bruce Lundvall setzt damit eine gewagte Idee um: Junge Jazzmusiker seines Stalls nehmen sich unter den klassischen Alben des Pop, Soul und Rock ihre Favoriten vor und interpretieren alle Titel in der ursprünglichen Reihenfolge neu. „Ein einzigartiges Konzept“, kann Lundvall mit Recht stolz behaupten, in bisher nie dagewesener Weise und konsequenter als ein Herbie Hancock, der sich Songs von Lennon, Prince & Garfunkel zusammensuchte, um „The New Standard“ zu schaffen. „Da muß man schon zum kompletten Album stehen“, sagt Lundvall. „Bei den Beach Boys zum Beispiel, mit denen ich ebenso geliebäugelt habe, fand ich keines, das mich durchgängig überzeugte.“

Mit Jazz ist Charlie Hunter nicht aufgewachsen – seine Jugend verbrachte er zwischen Led Zeppelin und Motown. So wurde auch „Superfly“ diskutiert, dessen Geschlossenheit lasse jedoch keine Neuerung zu, auch Stevie Wonder wurde verworfen, da sich „daran schon zu viele versucht haben“. Beim Reggae standen „True Democracy“ Von Steel Pulse und „The Harder They Come“ zur Debatte. Es machte schließlich Marley das Rennen, weil seine Songs sogar am Lagerfeuer funktionieren, trotzdem unabgenutzt sind und viel Freiheit bieten. Freiheit, auf Reggae zu verzichten: „Als Reggae hat das schon Bob auf ultimative Art rübergebracht.“ So hört sich Hunters J^atty Dread“-Album eher nach New Orleans an als nach Kingston, immer irgendwie funky, oft mit Shuffle-Feeüng. Die Arrangements sind auf raffinierte Weise simpel, was ja schon zu Marleys Stärken zählte. Die zwei Saxophonisten Calder Spanier und Kenny Brooks lassen nicht zweifeln, daß Hunters Hausband ein Jazzquartett ist, obwohl sie tight klingt wie R&B-Bands, und Schlagzeuger Scott Amendola eher an den minimalistisch-schrägen Joey Baron erinnert als an Swing-Trommler.

Es wundert nicht, daß Craig Street auf Hunter & Co. aufmerksam wurde, der schon bei Cassandra Wilson dafür gesorgt hat, daß Blue Note alle Puristenideale verbaschiedete. Puristen werden auch mit dem zweiten Opus dieser Runderneuerungsreihe wenig anzufangen wissen: Gitarrist Fareed Haque, der aus dem Umfeld von Joe Zawinul stammt, nahm sich den Hippie-Klassiker „Dejà Vu“ vor. Gerade sieben Jahre alt war der Babyboomer, als 1970 das Hauptwerk der Herren Crosby, Stills, Nash & Young erschien. Derart unbefangen verpaßte er dem Titeltrack einen afrokubanischen Touch. Die Folkrock-Ästhetik ging nicht völlig verloren, aber meistens war für ihn der frühe John McLaughlin stilbildend.

Umgekehrt ging Everette Harp vor, als der „What’s Going On“ von Marvin Gaye für die Billboard-Jazzcharts maßschneiderte. Meist sülzt der Saxophonist mit ewiger Überintensität nun, so wie man es von ihm aus dem Kreis AI Jarreaus und Kenny Loggins‘ gewohnt ist. So ist ihm doch ein Sakrileg gelungen: Zwar blieb er dem Original oberflächlich betrachtet am nächsten – entstellte es dabei aber mit jener Gewalt, von der bei Hunter & Haque keine Rede sein kann.

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