Fun-Punks, bis dass Die Ärzte kommen

Im harten Touralltag haben sich die Sportfreunde Stiller ein respektables Publikum erspielt. Mit dem Album "Der Stand der Dinge" setzen die positiven Spaßvögel aus München nun zum Steilpass an

Wie so scheinbare Kleinigkeiten doch zu Tretminen wenden können. „Oh, oh, oh, oh!“, Peter S. Brugget hebt die Stimme und den Zeigefinger zugleich, „Aber hallo!“ kappt Florian „Ho“ Weber die Vokalreihe. Das sei ein Riesenunterschied, da lägen Welten dazwischen.

So wie er das sagt, glauben wir sogar eher an Universen. Aber wir haben gar keine Zeit, lange zu glauben, denn jetzt naht Aufklärung und Gewissheit in großen Worten. „Also, der Sportsfreund“, sagt Peter und betont den Zischlaut in der Mitte ganz bewusst, „das ist so der Typ, der am Tresen sein Bier trinkt und sich die „Sportschau“ anguckt. Der Sportfreund hingegen“, diesmal zischt es nicht, „ist der, der sich selbst auf den grünen Rasen begibt.“ Begriffen soweit, klar. „Und der Sportfreund geht auch auf die Konzerte der Sportfreunde“, führt Flo uns weiter durchs linguistische Labyrinth – und übergibt dann das Staffelhob an Rüdiger „Rüde“ Linhof: „Und wer bei denen aktiv spielt, ist ein Sporti, während der Freund der Sportfreunde wiederum sowas wie ein passives Mitglied ist, wie der Sportsfreund ein passiver Sportler ist.“

Angeblich hat sich der Kreis damit geschlossen. Wirklich sehr erhellend, eines jedoch ist dennoch glasklar: Wer den Namen der Sportfreunde Stiller falsch schreibt (was den Opfern zufolge recht häufig passiert), redet von einer völlig anderen Sache. Wer hingegen den dummen Fehler vermeidet, muss sich deshalb nun nicht mit ein paar sehr juvenilen Spaßvögeln und Halodris aus München herumschlagen, sondern hat eine Band vor Augen, die eine echte Traditionspflege betreibt. Vom Punk über die Ärzte zu den Sportfreunden Stiller, das ist gar keine so krumme Linie. Den Toten Hosen übrigens wollen zumindest Peter und Rüde dabei keine Aufnahme in den Club gönnen, „dafür allerdings kannst du die Arzte gleich doppelt unterstreichen“.

Rüde war immerhin Fan der ersten Stunde, „die haben meine pubertäre Entwicklung ungemein geprägt, und außerdem bewundere ich ihr Durchhaltevermögen – und dass sie in all den Jahren keiner eklatanten Geschmacklosigkeit verfallen sind.“ Natürlich ließe sich darüber streiten, wie auch über die Behauptung, dass Campino in dieser Hinsicht nun echt nicht von jeder Schuld freizusprechen sei. Aber eine derartige Erbsenzählerei soll hier einfach mal genügen.

Kommen wir lieber zu Erfreulicherem, zu Witz und Humor, und stellen dafür heimtückisch das Fettnäpfchen mit dem Aufdruck „Comedy“ mitten in den Weg. Könnte es womöglich sein, dass die Familie Stiller sich diesem Genre ganz besonders verbunden fühlt, wenn doch schon der Pressetext zum neuen Album „DerStandder Dinge“ wie die heitere Biografie eines Drittligisten der Volkssport-Sparte Fußball gehalten ist? „Abo, wir nehmen uns sicher nicht so bierernst wie viele andere Musiker und sehen den Humor durchaus als wichtigen Teil vor allem unserer Shows“, analysiert Peter und lächelt irgendwie gar nicht mehr, „aber mit dieser konzeptmäßigen und aufgesetzten Form von Comedy“, fahrt Flo mit dem Gesicht eines Staatsanwalts beim Plädoyer fort, „wollen wir lieber nichts zu tun haben.“ Lustig sein ja, rumblödeln nein, man habe ja keinen Karnevalsverein gegründet Und ihre Texte seien immerhin Botschaften, und die sollten auch, bitte schön, ernst genommen werden. Ohne mindestens ein positives Lebensgefühl jedoch, so Rüde, könne man doch „unmöglich jahrelang zu dritt täglich so eng aufeinanderhocken.“ Und jetzt lachen wieder alle als würden sie sich am liebsten auf die Schultern klopfen, wenn das jedoch nur nicht immer so einen blöden Eindruck hinterließe.

Komisch, dass die Stillers ohnehin fast keinen richtigen Fehler machen in dieser Pop-Manege. Sie singen Songs, von denen sogar der phantasieloseste Werber noch behaupten kann, sie drehten sich um das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Keiner würde ihn deshalb in die Emigration treiben. Und wenn sie Rede und Antwort stehen, dann mischen Flo, Rüde und Peter wie nach einem Geheimrezept einige seriöse Statements mit einer Ahnung von Wildheit und jugendlicher Frische zusammen, und schon haben sie etliche Sympathiepunkte gesammelt. Sogar ihr Publikum können sie, entgegen branchenüblichen Gepflogenheiten, einigermaßen treffsicher definieren: „Da wir nie nach dem günstigsten Fahrwasser gesucht und uns auch keinen Trends angedient haben“, meint Flo oder hofft dies mindestens, „sind unsere Fans ein ziemlich gemischter Haufen.“ Das aber ist relativ: „Zu uns kommen junge Leute, die letzte Woche vielleicht noch zu Tocotronic gegangen sind, aber eben auch solche, die schon dreißig, manchmal sogar noch älter sind.“ Noch älter, nein! Nun, unter Sportfreunden ohne „s“ muß der Methusalem ja meist noch drei Dekaden auf die Rente warten.

Jedenfalls kommen diese Leute vermutlich nicht ohne Grund. „Ein Konzert“, weiß Newcomer Flo schon ziemlich abgeklärt zu erzählen, „bringt dermaßen viel Energie in den Saal – das kann eine CD zu Hause im Wohnzimmer natürlich nie schaffen.“ Auch wenn man mit „Der Stand der Dinge“ doch zumindest die Lücke habe kleiner werden lassen. Was selbstredend, und das haben ja bereits die Helden der ersten Stunde vor Jahrzehnten gewußt, nur echten Rock’n’Rollern gelingt. Als solche sehen sich auch die Stillers, „schon wegen der Art, in der wir unsere Songs auf eine Bühne stellen.“ Sehr trickreich nämlich. Damit das Trio nicht unbedingt und immer auch so klingt wie eines, versteckt der Flo neben seinem Schlagwerk noch eine Casio-Orgel. „Und ich“, rühmt Bassist Rüde den Weg der Band zu einem Sound der Überraschungen und Geheimnisse, „spiele sozusagen nebenher noch eine Fußorgel, für die Melodien.“ Sieht kaum jemand, hört aber jeder. Und wenn genug gestaunt ist, wird getanzt „oder auch mal mit vollen Bierbechern geschmissen“. Stilecht Sehr wahrscheinlich, dass irgendwann auch das Auditorium zum Chor wird. Überhaupt nicht klammheimlich haben die Sportfreunde schließlich von den pubertätsprägenden Ärzten und, auch wenn’s nicht jeder der drei gern hört, von Campino & Co. gelernt und bald jedem ihrer Songs einen Refrain verpasst, für den man keine Textblätter am Halleneingang verteilen muß. Ob trunkener Nonsens wie „Einmal Mond und zurück, garantiert glückliche Stunden und Sonnenschein beim Badespaß am Mondsee“ oder besinnlichere Zeilen à la „Fast wie von allein, jedoch niemals ohne dich mochte ich sein“, selten vergeht auch nur eine Minute, bis sich die Zuhörer singend in den Armen liegen dürfen. Und dann piept und ploppt es aus dem erwähnten, verborgenen Instrumentarium was fast so selig schön ist wie damals, als die Neue Deutsche Welle es schaffte, allen Schwermut aus der Poplandschaft zu spülen. Irgendwann bemüht Peter sogar italienische Vokabeln, und wir haben plötzlich ebenso einen erklärlichen wie unstillbaren Appetit auf Spaghetti Carbonara.

Die Sportfreunde Stiller bauen übrigens nicht bloß ihre Songs, sondern auch die Karriere auf feste, traditionsreiche Fundamente. „Unsere Strategie ist eine einfache“, erläutert Rüde, „sie heißt: touren, touren, touren! Mit dem Kopf durch die Wand, die alte Ochsentour.“ Anders werde man nicht bekannt im Lande, „und anders wäre es auch kein ehrliches Handwerk, für das wir aber unbedingt stehen wollen“.

Für dessen zeitgemäße Form jedoch, „denn dieses überholte Rock-Ding unter dem Motto ,Es kann nur einen geben‘ braucht niemand mehr. Konkurrenz mag gesund fürs Geschäft sein, aber wir sehen unsere Arbeit doch lieber als Leidenschaft.“

Und dazu gehöre dann und wann durchaus ein bisschen Imagepflege. „Uns sind Stilfragen schon wichtig“, sagt Peter, „man macht sich doch Gedanken über diese Rolle, die wir hier spielen.“ Und wirft sich gar nicht ungern mal vor dem Fotografen in Designer-Tuch: „Das ist cool, in solchen Sachen zu posen, die wir uns bisher ja noch nicht leisten könnten, das macht schlichtweg Spaß.“ Könnte schon sein, dass unsere Sportfreunde ihre Philosophie in absehbarer Zeit noch mal neu ordnen müssen. Wer sich aber selbst gerne als „Liebhaber von Trash“ beschreibt, darf natürlich alle bunten Farben im Repertoire fuhren.

Vor allem dann, wenn man Lokalkolorit für ein mindestens vertretbares, womöglich sogar prägendes Charakteristikum des eigenen Musikschaffens hält. „Wir erzählen zwar nun nicht jedem Dahergelaufenen, dass wir aus München kommen und dort eine Superszene haben“, sagt Peter und verschont uns doch wenigstens mit einer jetzt obligatorischen Schwärmerei von Biergärten und den kurzen (wenn auch von Staus verstopften) Wegen an den Gardasee. „Aber mal ganz ehrlich: Es lässt sich halt auch kaum leugnen, dass wir im Süden etwas frischer und temperamentvoller agieren als diese unheimlich gelassenen und immer etwas langsamen Norddeutschen.“

Eine Frechheit sondergleichen ist das, könnte man erwidern. Aber das ließe auf mangelnden Humor schließen, und wir wollen den Münchnern doch mindestens am Hinterrad kleben bleiben.

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