Gen Italien!

Nachdem er seine englische Heimat vor zwei Jahren zurückerobert hatte, begehrt Morrissey nun imperiale Würden. Natürlich sind es nicht bloß Licht und Luft und die Historie, die ihn nach Rom führten, und das auch noch just im Jahr 2005. Wandelte er nicht bereits im Pater-Gewand, „I Have Forgiven Jesus“ belcantelnd? Sind seine quasi-papistischen Anwandlungen nicht legendär? Und gleicht seine Hybris nicht Caesars Hoffart? 20 Jahre ist es her, daß dieser Mann in den Palast einbrach und dort der Queen begegnete, die bemerkte: „Eh, I know you, and you cannot sing“, woraufhin er zurückgab: „That’s nothing you should hear me playing piano.“ Andere Majestätsbeleidigungen, vor allem aber der Verdacht auf Xenophobie und übersteigerten Patriotismus trieben den Rebellen schließlich ins amerikanische Exil. Zwischendurch gefiel ihm auch Spanien, doch der dortige Umgang mit Tieren machte den weiteren Aufenthalt für den Autor von „Meat Is Murder“ unmöglich.

Aber nun Rom! Plötzlich entdeckt Moz den italienischen Sensualismus, das Dolce vita, sogar den Fußball. Schon trägt er die Rückennummer 10 und läßt sich „Mozalini“ nennen. Und für die neue Platte verpflichtete er einen Italo-Briten, den weithin für seine Arbeiten mit T. Rex und David Bowie bekannten Tony Visconti. Der gesteht nun, er habe bereits bei Morrisseys wüstem Glam-Rock-Album „Your Arsenal“ von 1992 Hand anlegen wollen, doch den Job bekam damals Mick Ronson, ein weiterer Bowie-Vertrauter. Jetzt brauchte Visconti nur zwei Tage, um nach Rom zu reisen, wo das von Morrissey angemietete Studio doch einige Unzulänglichkeiten aufwies. Immerhin hatten Morrisseys Musiker bereits einige Tracks aufgenommen. Auch von Morrisseys Songs zeigt sich Visconti beeindruckt: Statt bloß einer A- und einer B-Sektion machte er C- und D-Sektionen aus, sogar den kecken Einwurf eines E hält er für möglich! Zwar handelten die Lieder wiederum von „Tod und Liebe“, das jedoch mit „Ironie“, ja „Poesie“! Und damit seien ganz neue Morrissey-Stilmittel etabliert!

Der Italiener kennt solche Kunstfertigkeit freilich von Dante, Visconti (Luchino) und Gino Ginelli, aber wir greifen wehmütig zu einem Werk der Smiths, das nicht ohne Poesie ist und das zufällig vor zwei Jahrzehnten erschien. Alain Delon, hingestreckt auf dem Cover von „The Queen Is Dead“, hat so etwas Botticelli-Mäßiges, aber gar keine mediterrane Lebenslust braust in diesen grimmigen, zynischen, ketzerischen, romantischen, todessehnsüchtigen, einsamkeitstrunkenen Gesängen: „l Know It’s Over“, „Cemetery Gates“, „Never Had No One Ever“. Und dazwischen ist der Dichter auch noch frivol, albern und provokant: „Frankly Mr. Shankly“, „Vicar In A Tutu“ und „Some Girls Are Bigger Than Others“. Es waren ganz bestimmt die besten Texte der 80er Jahre, die Morrissey sich ausgedacht hatte, und Johnny Marr hatte die schönste Musik dazu geschrieben.

Von Andy Rourke, der bei den Aufnahmen von „The Queen Is Dead“ die Baß-Gitarre spielte, wissen wir, daß bei gemeinsamen Tourneen viele Eier gegessen wurden, denn Morrissey hatte Vegetarismus verordnet. Als Rourke sich einmal mit einem fettigen Frühstück neben den Lyriker setzte, verschwand dieser unverzüglich aus dem Raum. Rourkes Heroinkonsum blieb Moz lange verborgen, doch nach einer Verhaftung fand der Musiker einen Zettel an der Windschutzscheibe seine Autos: „Du hast die Band verlassen.“ Und doch erinnert man sich im Smiths-Lager gern an jene Tage, als die Platte fertiggestellt wurde und die Songs wie im Rausch entstanden. Undenkbar, daß heute in Britannien jemand derart Geniales und Unfaßliches dichtet wie „And now I know how Joan of Arc felt/ As the flames rose to her roman nose/ And her hearing aid started to melt“. Und daß daraus auch noch ein Hit wird.

Das neue Album wird „Ringleader Of The Tormentors“ heißen, und Morrissey erklärt auch schon, weshalb das so umständlich sein muß und daß die Platte seine beste sei. Seine Selbsterklärungen nehmen die Form der Bekenntnisse des Augustinus an, so gottverdammt betulich und prätentiös wirken sie. Am besten schreibt er alle Rezensionen selbst. Nun lieben wir ja unseren Morrissey, und ich fand vieles auf „Southpaw Grammar“, auf „Maladjusted“ und „You Are The Quarry“ sebr vergnüglich, anderes gescheit, manches wunderbar böse. Aber kein Satz war so aberwitzig komisch, so abgründig absurd und kindlich frech wie die Replik auf die Queen. Keine Melodie war so verführerisch wie Johnny Marrs „Some Girls Are Bigger Than Others“. Kein Foto war so gültig wie das der Smiths vor dem Salford Lads Club. Kein Vinyl war so grün wie das von „The Queen Is Dead“. Na, die alte Schachtel lebt ja auch noch.

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