Generation Porno

Früher war der Porno ein echt schmutziges Ding: Haarige Menschen fielen in billigen Kulissen schwitzend übereinander her – ungelenk, ungeschminkt, ungehemmt. Die Akteure trugen lächerliche Namen wie Long Dong Silver oder Vanessa del Rio, und der typische Connaisseur war meist ein stoppelbärtiger Schweinigel im fleckigen Feinripp-Unterhemd. Paul Thomas Andersons Film „Boogie Nights“ warf 1997 noch einmal einen träumerischen Blick zurück auf jene Tage, Terry Richardson veredelt noch heute oft Modefotos im Geist von John Holmes und dem Interieur seiner Filme. Doch die triebhafte Unschuld der 70er Jahre ging irgendwann verloren.

Heute ist alles irgendwie Porno: die verklemmten Orgien, die der einstige Musiksender MTV schon nachmittags sendet, Männer mit rasierten Genitalien, plastische Chirurgie, Paris Hilton, die RTL-Senderfamilie und das ganze verdammte Internet. 8,6 Milliarden Dollar Umsatz macht die Sexbranche in den USA inzwischen – und beklagt sich trotzdem über gigantische Verluste durch unerlaubte Downloads.

Ein Glück, dass die deutschen Medien inzwischen herausgefunden haben, wer den ganzen Bilderschwall in HD-Qualität aus dem Netz saugt: Die „Generation Porno“ ist schuld! Also 13- bis 15-Jährige, „deren Freizeit daraus besteht, sich im Internet Pornofilme anzuschauen oder auf ihrem Handy Rap-Songs von jemandem, der sich Frauenarzt nennt, zu hören“, wie der Berliner „Tagesspiegel“ erschüttert feststellte. „Just say no!“, schreit es den jugendlichen Triebtätern entgegen, die mit großen traurigen Augen in die Kameras blicken.

Aber könnte es nicht einfach so sein, dass es Initiationserlebnisse und Erfahrungen gibt, die jeder allein und für sich selbst machen muss? Teresa Orlowski heißt heute Sasha Grey, und aus der Asche abgegriffener Heftchen und schmuddeliger Sexshop-Kabinen entstand YouPorn. Sauberfrau von der Leyen predigt die Schrecken der „Einstiegsdroge Internetseite“ und weiß nichts von der Neugier und dem Forscherdrang der Jugend. Wie so oft wird nach totaler Kontrolle gerufen, anstatt einfach das Naheliegende zu tun: Medienkompetenz vermitteln, Aufklärung betreiben. Denn hoffnungsvoll stimmen die lustlos rammelnden und wie geklont aussehenden Hardbodies auch nicht gerade.

Unsere Gesellschaft ist längst pornografisiert und auf eine perverse Weise körperfixiert. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben behauptet deshalb zu Recht, es gäbe kein gemeinsames kulturelles oder historisches Projekt mehr, das uns als Individuen miteinander verbindet. Stattdessen: Einzelkämpfer, die ihre regressiven Bedürfnisse möglichst sofort befriedigen möchten. Der eigene Körper wird getuned und gepflegt wie ein Sportwagen. Und das, liebe Leistungsträger, ist kein Unterschichten-Phänomen! Mainstream-Fickfilme sind auch deshalb so öde, weil sie wie Fitness-Videos aussehen: hochgezüchtete Körper beim Langzeittest ihrer extremen Funktionstüchtigkeit. Das erinnert an die Live-Übertragung eines Marathonlaufs, ist aber wesentlich vorhersehbarer. Alles an diesen Filmen schreit: Kontrolle! Ich habe mich im Griff! Ich werde nicht anfangen zu flennen!

Nein, da sympathisiert man lieber mit schreibenden Beobachtern wie der charmanten Charlotte Roche, deren kalkulierte Tabubrüche sich an nette Mädchen aus dem Bürgertum richten. Und selbst die durch sexuelle Libertinage gekränkte Wehleidigkeit eines Michel Houellebecq ist verständlich – der Mann schreibt schließlich Romane für verunsicherte Geschlechtsgenossen, keine politisch korrekten Forschungsprotokolle. Überhaupt zeigt sich in der Rezeption von Porno schon seit einiger Zeit ein Trend zu Theorie und Diversifizierung. Was sicherlich auch an der kein Thema verschmähenden „Generation Kulturwissenschaften“ liegt. Und wenn die Neugier schon mal da ist, dienen Hollywood-Produktionen wie „Zack And Miri Make A Porn“ schnell als Einstiegsdroge. Der nächste Schritt in die Sex-Sucht wäre dann eine Mitgliedschaft bei „suicidegirls.com“, wo allerlei Punk-, Goth- und Slacker-Mädchen ihr gepierctes Anderssein vorführen. Angeblich sehr beliebt in der MySpace-Community.

Doch wer sich wirklich als Kenner und mit allen Gender Studies gewaschener Hipster präsentieren möchte, sollte sich den Namen Bruce LaBruce merken. Der kanadische Ex-Punk, Filmtheoretiker und Regisseur mixt in seine schwulen Pornos gerne mal ein paar Elemente des Zombie-Films. Im wunderschön betitelten „The Raspberry Reich“

wird sogar etwas prickelnder RAF- und Terror-Chic dazugegeben, ganz im Sinne von „Fuck me up against the wall, / motherfucker!“ In Berlin findet Mitte Oktober in den Kreuzberger Moviemento-Kinos das vierte „Pornfilm-Festival“ statt. Da sitzen ziemlich sicher keine einsamen Herrn mit der Zeitung auf dem Schoß, sondern ein hipper Haufen aus Lesben, Schwulen und Heteros. Filme von weiblichen Regisseuren und Fetische sollen dieses Jahr im Mittelpunkt stehen. Was mag Ursula von der Leyen davon halten, was der 16-Jährige aus Wanne-Eickel?

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