Geständnis in 24 Minuten

Der neue Fernseh-Trend heißt Crrime-Doku: Die Ermittler sollen authentisch wirken, die Fälle echt. Was selten funktioniert.

Tatort Deutschland. Tatzeit: Zwischen 16 und 20 Uhu gelegentlich auch später oder früher, im televisionären Polizeistaat wird das nicht immer so genau genommen. Auf jeden Fall sind überall Polizisten und Kriminalbeamte, Ordnungshüter und Privatdetektive. Manche heißen mit Nachnamen sogar Recht, keiner heißt Ordnung. Trotzdem folgen sie stramm dem Prinzip von Law & Order. Und die Kamera ist immer dabei Auch am Vorabend kurz vor halb sieben. Ein Mann mit fettigen Haaren schmiert einen eben aus der Nase befreiten Popel achtlos in die fliegerseidenen Faltengründe seines Jogginganzuges und presst sich noch ein wenig enger ans weiche Leder seiner gelben Couchgarnitur. Auf der Oberfläche des Sitzmöbels ziehen Mineralienreste weiße Streifen und legen Zeugnis von heißen verschwitzten Tagen ab. „Bring mir mal ’ne Flasche Bier oder es knallt“, rülpst er gen Küche, von wo seine Angetraute wie gewohnt das gewünschte Kaltgetränk apportiert.

Gerade will er seine Frau wieder einmal für den lauwarmen Zustand seines Getränks mit Schlägen bestrafen, da ist das Pärchen plötzlich nicht mehr allein, denn auf einmal drängen noch andere Personen in die nach mehrjährigem Sozialhilfebetrug muffelnde Wohnstatt. Vornweg ein stattlicher Herr im gepflegten Kamelhaarmantel. Er trägt einen akkurat ziselierten Schnurrbart, dessen Pflege pro Tag bestimmt 45 Minuten in Anspruch nimmt. Und er spricht Zauberworte: „Herr Schmitz, mein Name ist Ingo Lenßen, ich bin Rechtanwalt Sie schlagen und betrügen ihre Frau, haben eine Bank überfallen und einen Anschlag auf den Bundeskanzler vorbereitet. Meine Ermittler haben sie bei alldem beobachtet. Gestehen Sie und kommen Sie mit!“

Der Angesprochene erhebt sich blitzartig, zieht eine Pistole aus der Sitzfalte und weitet die Augen Richtung Unendlichkeit. Er brüllt etwas Unverständliches in den Raum und macht Anstalten, sich den Weg freizuschießen. Doch da ist Lenßen vor. „Mensch, machen Sie keinen Scheiß, wir haben Sie doch überführt“, brüllt er seinerseits, woraufhin seine Helfer den umgehend kapitulierenden Mann in einer Blitzaktion überwältigen und auf die Auslegeware befördern. Dort kommt es umgehend zu einem umfassenden Geständnis. „Ja“, wimmert der Überführte: „Ich brauchte doch das Geld, um die unersättliche Sexsucht meiner Freundin zu finanzieren. Deshalb war ich doch auch immer so geschafft und konnte meine Frau nur noch schlagen, und der Bundeskanzler ist sowieso ein Idiot.“

Während er abgeführt wird, regnet von der Zimmerdecke ein Abspann. „Herr Schmitz wurde wegen Raubes, Körperverletzung und nachgewiesener Blödheit zu einer Freiheitsstrafe von 1364 Jahren auf Bewährung verurteilt“, steht da (oder so ähnlich), und dann ist Schluss.

Dann hat Ingo Lenßen Feierabend, weil er wieder einmal in netto 24 Minuten Sendezeit dem Verbrechen gezeigt hat, wo der Hammer hängt. Lenßen kann zufrieden sein, denn nicht nur klärt er jeden Werktag mindestens ein Kapitalverbrechen bis zur Urteilsreife auf, er beschert seinem Arbeitgeber Sat1 auch noch tolle Quoten und eine ziemlich tolle Sendeplatz-Umsatzrendite.

Ingo Lenßen gehört zu den Pionieren in Sachen Crime-Doku. Er löst alle Fälle in 24 Minuten, die eine höchst lukrative Werbepause einbetten, die ein Vielfaches dessen einfährt, was die Produktion der sie umgehenden Billigbilder gekostet hat Crime-Dokus sind der aktuelle Massentrend im Fernsehen. Sat1 hat damit angefangen und schickt nicht nur „Lenßen & Partner“ auf den Sender, sondern auch „Niedrig & Kuhnt“, „Harry & Toto“ und die Kommissare von „K11“. Flugs hat das sonst nicht gerade für besondere Spontaneität bekannte ZDF ein Me-Too-Produkt auf den Markt geworfen und ruft um 16.15 Uhr „Einsatz täglich – Polizisten ermitteln“. Auch RTL, normalerweise immer Trendscout, dackelt nun hinterher und bittet um 17 Uhr zum „Einsatz für Ellrich“. Ilona Ellrich ist Kriminalhauptkommissarin und löst laut Sender „spannende, realitätsnahe Kriminalfälle“. All die Crime-Dokus laufen nach demselben dramaturgischen Konzept. Einer oder mehrere Fälle werden möglichst schnell dramatisiert, am besten im Beisein des Ermittlers, der eine Spur aufnimmt, die kurz vor Schluss zum dramatischen Showdown fuhrt, bei dem das Gute immer siegt und einsichtige Geständnisse die Regel sind. Gespielt werden die Ermittler teilweise von echten Kriminalbeamten, die aber keinesfalls Schauspieler-Qualitäten haben dürfen. Bei „Lenßen & Partner“ wird zudem mit Wackelkameras und grünlichen Nachtaufnahmen Realität simuliert. Das Ergebnis ist in der Regel visueller Oberschrott, der sich fügt ans schauspielerische Versagen und haarsträubende Dialoge.

Heraus ragt immer nur Ingo Lenßens Schnäuzer. Den fürchten Gangster inzwischen mehr als die GSG 9 oder andere Elite-Truppen, denn alle Ganoven wissen: Wo Lenßen draufsteht, ist Geständnis drin. HANS HOFF Print- PO P von Frank Schafe „Sterne und Straßen“

(Edition Tiamat, 12 Euro)von Franz Dobler versammelt Feuilletons aus zwei Jahrzehnten. Wie alle guten Schriftsteller hat Dobler nie einen Unterschied gemacht zwischen Literatur und Journalismus, und so durchströmt sein an Jörg Fauser und natürlich an den härteren Amerikanern geschulter Sound die Kritiken genauso wie die Erzählungen. Ich meine diesen abgefeimten, ja, meinethalben auch lakonischen, man könnte manchmal denken unironischen Ton, aber das stimmt nicht, seine Ironie ist nur nicht so versöhnlerisch wie bei den Axel Hackes dieser Welt.

Sowieso arbeitet sich Dobler, egal in welchem Genre, immer bloß an seinen Themen ab – die heißen: Country, Dobler, Bayern, Outlaws und Dobler. Am liebsten hätte er wohl selbst mal eine Bank ausgeräumt, aber da er als Schriftsteller gar keine Zeit für so etwas hat, schreibt er gern über die Renegaten, die Randständigen, die nicht ins Raster passen, nur in die Rasterfahndung. Sein Nachruf auf den Ludwigsmooser Ausbrecherkönig Theo Berger, der sich viermal widerrechtlich aus dem Knast zu Straubing entfernt hat und sich kurz vor der vorzeitigen Haftentlassung in seiner Zelle erhängt, gehört denn auch zu den schönsten Texten des Bandes. Eine Kurzgeschichte! Was kann Dobler dafür, dass sie stimmt? 3,5 „Eine Schachtel Streichhölzer“ (Rowohlt, 14,90 Euro)von Nicholson Baker ist eine filigrane Phänomenologie des Alltags. Der Ich-Erzähler, ein Lektor für medizinische Handbücher, leidet unter Schlafstörungen und bekommt sie in den Griff, indem er mit den Hähnen aufsteht. Im Zwielicht schleicht er sich ins Wohnzimmer, zündet den Kamin an und lässt seine Gedanken treiben. Kleine abschweifungsreiche Meditationen entstehen so Tag für Tag, Streichholz für Streichholz. Mit seinem besonderen „Frühmorgen-Bewusstsein

ausgerüstet, sieht er die Dinge noch einmal so, als sähe er sie zum ersten Mal. Es geht hier um fast nichts, aber das eben zelebriert Bakers Biedermeier-Ich, in der langen Tradition des Edel-Langeweilers Adalbert Stifter, als wäre es das Eigentliche, Wesentliche des Lebensl Wer Stifter kennt, wird sich allerdings wundern: Man kann dieses Buch tatsächlich lesen. Und auch den General-Vorwurf, der solcher Literatur immer wieder gemacht wurde – sie sei unpolitisch, affirmativ, stecke den Kopf in den Sand -, hebelt Baker geschickt aus durch die situative Vorbedingung des Buches: Diese kontemplative Gelassenheit, dieses völlige Einverständnis mit dem Sein und der Zeit und dem Universum gelingt eben nur morgens um vier, wenn die Welt noch in Ordnung ist. 4,0 „Säugetiere“ (Hanser, 17,90Euro)vonPerreMerot ist eine zwischen Sarkasmus, Larmoyanz und krudem Hass changierende Säufer-Suada. Die Familie, in ihrer vermeintlich normalen, intakten Form, mit dem hegenden, umsorgenden Muttertier im Zentrum, mit den strengen Aufzuchtsriten, die den Spross lebens- und gesellschaftstüchtig machen sollen, wird hier mit schöner Süff isanz haftbar gemacht für die charakterliche Deformation des Erzählers, des „Onkels“. Und der zieht seine Lehre daraus, verleugnet diese anthropologische Konstante, die Wiederkehr des ewiggleichen Familienmodells, und steigt aus, vielmehr ab, in die Puffs und Bars, in den dreckigen Teil des Nachtlebens, und lebt sein einsames bohemistisches Leben im Rausch. Seine Zerrüttung hat aber auch ihr Gutes. Wie jede Abweichung von der Norm schärft auch diese den Blick für die Absurditäten der angeblich Normalen.Und so weiß der Onkel, ob er nun seinen Wehrdienst in einem Marine-Museum ableistet, in einer Werbe-Agentur, bei einem Verlag oder als Lateinlehrer arbeitet, sein jeweiliges Soziotop zu sezieren und meistens auch sehr eloquent zu beschimpfen. Hier liegen aber auch die Schwächen des Buches. Vor allem in den Verlags- und Schulepisoden gefällt sich diese Prosa allzu sehr in satirischer Aufgekratztheit und verliert dadurch ihre Ernstebene, deren sanfte Melancholie zuvor einen feinen Kontrast abgab. 3,0 „Sad Movies“ (GermanPublishing, 9,90Euro) von Mark Lindquist erscheint hier zu Lande leider etwas verspätet, hätte aber wohlauchinden 80er Jahren weniger Furore gemacht als Bret Easton Ellis‘ „Unter Null“, obschon der Roman das Gleiche verhandelt. Hier gibt es ein klare Antwort auf das „spirituelle Problem“ jener Jahre, was denn das Leben in der Neon-Welt noch lebenswert mache, wenn alle Auswege (..Chemische Anästhesie, Selbstzerstörung, selbsterteilte Debilität… sado-masochistische Beziehungen und die Konsumhölle“) sich als Sackgassen erwiesen haben.

Die Liebe zu einem Mädchen ist es, tätä! Zeke, der sensible, gescheiterte und gerade äußerst suizidale Künstler, der sich als Werbetexter für eine Trash-Film-Company verkauft hat, sieht das am Ende ein und handelt entsprechend. Dass er seinen Job kündigt, gehört auch dazu. Ein schlanker, dialogreicher Roman, einem Filmskript gar nicht unähnlich, aber für eine Verfilmung dann doch etwas zu unspektakulär. Während sich Ellis‘ Protagonisten Snuff-Videos reinziehen, unterhält sich Zeke lieber über Sartre, Camus und Beckett und stellt den L.A.-Existenzialismus der 80er Jahre somit in eine gute, ehrwürdige Tradition. 3,0

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