Green Gartside, Kopf von Scritti Politti, findet als Querkopf auch die neue LP nicht gut

Die Sonnenbrille bleibt fest auf der Nase, trotz eines Kumuli-getrübten Himmels. Aber immerhin, er lächelt Dann sagt er: „Es ist alles ganz einfach. Das ist ja auch ganz einfache Musik.“ Ich sage nicht viel, vielleicht widerspreche ich mal ein bißchen, vielleicht denkt er einen Moment darüber nach, vielleicht sagt er: „Naja…“ Aber das ist auch völlig egal – denn: „Die neue CD ist nicht gut Ich bin damit nicht zufrieden. Ich bin mit keiner meiner Platten zufrieden.“ Auch nicht mit der ersten? Er schüttelt entrüstet den Kopf.

Das ist Green Strohmeyer-Gartside, der vor ca. 21 Jahren in Leeds eine miese Punkband gründete, dann wegen eines Herzleidens ein Jahr (’80) zu Hause verbringen mußte, dort wunderbare Popsongs schrieb, und damit aus einem musikalischen Sauhaufen eine der besten Popgruppen der 80er Jahre formte: Scritti Polita. Mit frühen Hits wie etwa „The Sweetest Girl“, „Faithless“ oder „Asylums In Jerusalem“ bewies der intellektuelle Kommunist, daß hohe Ansprüche und Qualität durchaus zusammengehen können. Und mit dem Debüt-Album „Song To Remember“ schuf er einen Klassiker des britischen Pop. Auch wenn der Mann etwas anderes behauptet.

Ganz im Gegensatz zu der Meinung des Künstlers ist auch das jüngste Album „Anomie & Bonhomie“ großartig – aber keineswegs einfach. Denn wer Popmelodien, Brettgitarren und Rap nahtlos verbindet, kann sich weder als gescheitert noch als Simpel betrachten. Leider fühlt sich der Mann aber trotzdem so! Überhaupt scheint das Leben für ihn nicht einfach. Denn was hat er die letzten acht Jahre so gemacht? „Ich war in meiner Heimat, in Wales. Ich habe allein gelebt, um zu mir zu kommen. Es gab in meinem Haus einen Raum, in dem all meine Instrumente standen, aber den habe ich nicht betreten. Ich habe überhaupt nichts getan.“ Wales ist schön, und Ruhe brauchen wir alle, aber an dieser Stelle keimt ein Verdacht: Depressionen? Für die Abkehr vom Poplife gibt es jedoch andere Gründe. „‚Cupid & Psyche‘ war das letzte Album, das ich mochte. Nein, mit dem ich zufrieden war. Nein, das ich nicht haßte. Das folgende Album ‚Provision‘ war leider furchtbar. Dennoch mußte ich dafür Werbung machen. Ich fuhr zu Radiostationen, um Interviews zu geben, doch ich hielt mir die Ohren zu, wenn sie die Platte spielten. Ich ertrug es nicht Und wenn ich aus dem Studio kam, saß da bereits der nächste Gast, noch so ein Typ wie ich, der auch für seine Platte die Trommel rühren mußte. Ich war unglücklich und frustriert Doch ich hatte andauernd einen auf,toller Popstar‘ zu mimen.“

Aber warum dann eine neue CD? „Ich liebe es ja, Platten aufzunehmen. Die Arbeit im Studio macht mir mehr Freude als alles andere.“ Und warum nun HipHop und harte Gitarren? „Ich habe lange nur block music gehört, aber auch viele Skater-Videos angeschaut Die haben nur Hardcore-Soundtracks. Irgendwann mochte ich das. Auf dem Album habe ich einfach alles, was mir gefallt, vermischt“ Und trotzdem ist es nicht gut? „Es ist zu simpel, nicht sehr komplex.“ Aber was wäre komplex? „Ich lese gerade ein Buch über philosophische Grundkonzepte. Jetzt bin ich beim Kapitel über das Trilemma, eine höhere Form des Dilemma. So etwas finde ich interessant.“

Ein intellektueller Green Gartside, wie man ihn seit jeher kennt Brillant! Aber glücklich? Man sagt selig seien die Armen im Geiste. Green Gartside ist diesbezüglich eher das Gegenteil.

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