Gülcan kills the Video Star

Es war irgendwann in den noch jungen Siebzigern. Ein ausstrahlungsfreier junger Schnösel mit dem Bewegungstalent einer eingliedrigen Holzpuppe hampelt durch ein Studio. Der Mann heißt Ilja Richter und sieht aus wie ein Dosenöffner. Und wenn Dosenöffner sich nur zu singen trauten, sie klängen auch so wie Ilja Richter damals sang. Womit auf ewig geklärt ist, warum Dosenöffner die Klappe halten. Richter tat das nie. Zwischen Middle Of The Road und Scott McKenzie versuchte sich der Mann in komischen Einlagen. Komisch, warum Moderatoren von Musiksendungen immer versuchen komisch zu sein. Richter war nicht komisch.

Obwohl ich ein gut gelaunter Teenie war, die ja bekanntlich über jeden Scheiß lachen können, habe ich mich für Ilja Richter geschämt. Höhepunkte des schlechten Geschmacks waren die Szenen, in denen Richter prominente Gäste einbezog. Nie vergesse ich den Abend, als mein Albert Hammond Opfer dieses hirnversagenden Humors wurde. Nur durch seine Gitarre geschützt und von Deutschkenntnissen unbelastet, musste er den Quetsch-Gesang Richters mit einem gequälten Lächeln adeln. Lange vor Künstler, die in der Lage ist, starke Momente live auf der Bühne zu bringen. Und natürlich braucht es Sendebeginn ahnte man schon Richters Kanonen-Gag: „… wenn Hemden eng sind, sind sie hemmend“. Wo sind Blutgerinnsel eigentlich, wenn man sie braucht? Anschließend habe ich „It Never Rains In Southern California“ unter Tränen im Garten verbrannt. Albert Hammond wechselte entehrt Geschlecht und Gattung und wurde eine Orgel. Einzig erinnerliche Worte aus Richters ewiger Sendung „Disco 70 – 80“ waren: Licht aus, Spot an! Wobei er weder sang noch spielte. Trotzdem saßen wir auch am nächsten Samstag vor der „Disco“ und schämten uns fremd. Wir hatten ja nichts anderes!

Okay, den „Musikladen“ gab es noch mit einer erstaunlich flotten Uschi Nerke. Aber auch mit einem erstaunlich brackigen Manfred Sexauer. Später folgte das ins Abendprogramm gescheuchte „Musik aus Studio B“. Eine Sendung, die den Rappern den Spitzeneinfall vorwegnahm, dass Musik mit Mädchen irgendwie besser ankommt. Die als Ballett getarnten Stangentänzerinnen waren mitunter so stoffarm gekleidet, dass mir als hormonschäumendem Jüngling regelmäßig wuschig wurde. An die Musik kann ich mich nicht erinnern. Anders verhält es sich da bei der „Hitparade“. Hier besaß die Musik einen enormen Abstoßfaktor, und so was verbindet. Die versammelte Schießbude des deutschen Schlagers gab sich in Berlin die Klinke in die Hand. Welch ein Hossa!, welch ein Hojaho! schallte da aus der Runde der Spießbürger. Frische Hits für den Partykeller, von leichter Hand serviert von einem Mann mit dem Charme eines grätigen Fischbrötchens. Dieter Thomas Heck war für uns ein Terrorist der guten Laune. Seine Begrüßung zackig: „Es ist 19:29 Uhr und 31 Sekunden, hier ist Berlin!“ hätte auch Flakhelfer zur Flugabwehr auffordern können. Sein Urteil unerbittlich: „Der Chris, der Roberts, dreimal dabei, bitte nicht wiederwählen!“ Wenigstens wollte er nicht witzig sein.

Anders Ingolf Lück in der voll angesagten WDR-Smash-Hit-fastschon-Videoshow „Formel Eins“. Der zappelte immer zwischen neonfarbenen Autowracks und brennenden Ölfassern und quasselte uns die Ohren ab. So stellten sich Festangestellte junge Menschen vor. Dazu versuchten sich günstige Künstler vergeblich am Vollplayback. Doch was wir nicht wussten: Lück und seine todlangweiligen Nachfolger bereiteten den Weg für Ray Cokes und Kristiane Backer. MTV war ja so was von hip! Jedenfalls solange man nicht alles verstand, was gesagt wurde. Video kills the radio star! Von nun an waren die Clips entscheidend für Charterfolge. Deshalb zeigte man im Musikfernsehen auch viele davon und viele sahen hin. Bis aus den Musikkanälen Fernsehsender wurden. Und aus Moderatoren Zirkusäffchen. Wer das keifnahe Gegacker einer Gülcan oder die Fontanellen sprengenden Kommentare einer Collien ertragen kann, der kauft auch Klingeltöne. Wer nicht, der geht ins Netz.“

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