Guns N‘ Roses: Der Unbeugsame

Axl Rose und die Ewigkeit von "Chinese Democracy".

Der größte Witz der vergangenen 15 Jahre ist nicht mehr lustig. Da uns der Himmel nicht auf den Kopf gefallen oder Universal Music plötzlich pleite gegangen ist, steht seit 22. November „Chinese Democracy“ im Laden. „Chinese Democracy“ im Laden! Offiziell zu kaufen!

In den USA erscheint das Album einen Tag später, exklusiv bei der Elektronik-Kette „Best Buy“. Der 23. November ist in Deutschland freilich Totensonntag, wäre also schon rein symbolisch ein eher ungünstiger Erstverkaufstag gewesen.

Was soll man nun erwarten von diesem Album? „Chinese Democracy“ kann niemals so gut sein wie erhofft – und niemals so schlecht wie befürchtet. Es ist natürlich auch kein Guns N’Roses-Album, sondern ein Axl-Rose-Album, aber das ist jetzt, nach all der Zeit, mit Verlaub – fucking egal.

Was manch Kritiker im Laufe der lächerlichen Jahre, in denen Axl vor allem durch schlecht sitzende Dreadlocks und meist mediokre Auftritte auffiel, vielleicht verdrängt hat: Es gibt gute Gründe, warum so viele Menschen schon so lange so sehnsüchtig auf „Chinese Democracy“ warten.

Ein kurzer Blick zurück (eventuell leicht nostalgisch verklärt): Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er Jahre waren Guns N‘ Roses nicht nur die größte Rockband der Welt, sie waren auch die aufregendste. Sie taten niemals, was man erwartete. Schon zwischen dem Debüt „Appetite For Destruction“ und dem nächsten richtigen Studio-Album lagen vier unfassbar lange Jahre.

Zwar rochen die Songs von „Use Your Illusion I“+ II“ dann kein bisschen nach dem grassierenden teen spirit, sondern gönnten sich noch mehr als einen Hauch des guten alten Glam-Metal. Die beiden Doppelalben, auch das mag ein wenig in Vergessenheit geraten sein, waren naturgemäß überladen (allein das Überdosis-Epos „Coma“ dauerte zehn Minuten), aber auch ein großes Abenteuer zu einer Zeit, als viele Guns N‘ Roses schon zum ersten Mal abgeschrieben hatten.

Es war die Maßlosigkeit, der Mut zum Exzess, der die Band so attraktiv machte. Alle waren irgendwie Alkoholiker oder drogenabhängig oder sonstwie derangiert, aber zusammen waren sie perfekt. „I’m a hard case that’s tough to beat“ sang Rose in „Paradise City“, es war kein leeres Versprechen.

Geschlagen hat er sich am Ende nur selbst, sogar die geduldigsten Kollegen hielten sein Geltungsbedürfnis und die Kontrollsucht bald nicht mehr aus. Schon 1991 verabschiedete sich mit Izzy Stradlin einer der Haupt-Songschreiber, 1996 ging Slash, 1998 auch noch Duff McKagan. Die neuen, stetig wechselnden Begleitmusiker kannten nicht mehr den Jungen aus Indiana, sondern unterstanden dem größten Tyrannen Hollywoods – Axl ersetzte Kollegen durch Diener. Eine schlechte Idee.

Im Jahre 2002 stellte die neue Version von GN’R bei den MTV-Awards schon mal den Song „Madagascar“ vor. Auf die Frage, wann das Album komme, gab Axl die legendäre Antwort: „I don’t know if ,soon‘ is the word.“ Es folgten Konzertabsagen und andere Peinlichkeiten, die Trennung vom Manager und eine erste Selbsterkenntnis: „To say the making of this album has been an unbearable long and imcomprehensible journey would be an understatement.“

Rose zeigte sich überrascht, dass, während er angeblich 15 Millionen Dollar im Studio verpulvert hatte, tatsächlich „over a decade in real life“ vergangen war. In dieser Zeit war ihm gelungen, was in Los Angeles sonst keiner sogenannten Celebrity gelingt: Er war praktisch unsichtbar, wenn er nicht gesehen werden wollte.

Im Sommer 2006 tauchte die Greta Garbo der Rockmusik dann bei „Rock am Ring“ entgegen aller Unkenrufe auf, wenn auch weit nach Mitternacht. Im Februar 2007 gab er bekannt, dass die Album-Aufnahmen nun abgeschlossen seien. Vorab konnte man auf www.gunsnroses.com nun bloß die Single hören, doch der eine oder andere „neue“ Song stand ja bereits im Internet. „If my intentions are misunderstood/ Please be kind/ I done all I should“, greint Rose in „This I Love“, und die Sehnsucht nach Verständnis und ein bisschen Liebe prägt dieses Album – so wie jedes andere GN’R-Werk, auch wenn das manchmal unter den Sex-, Drogen- und Radau-Teppich gekehrt worden war.

„There Was A Time“, „The Blues“ und „Better“ stellen Axls immer noch einzigartige Stimme am schönsten aus; die Instrumentierung darf man als klassisch bezeichnen. Man hört jedenfalls nicht, dass seit „Use Your Illusion“ 17 Jahre vergangen sind. An anderen Stellen findet er nicht den richtigen Bogen oder wenigstens ein Ende. Natürlich wünscht man sich spätestens jetzt Slash, Duff und Izzy mit ihrer relativen Bodenhaftung zurück.

Rose selbst schürt die Nostalgie, wenn er in „Madagascar“ noch einmal den Captain aus „Cool Hand Luke“ auftauchen lässt, der schon damals bei „Civil War“ so passend dazwischengnarzte: „What we got here is…failure to communicate. „Chinese Democracy“ ist vielleicht kein Wunder, aber es ist ein Wunder, dass es existiert.

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