„Guten Tag, liebe Beat-Freunde“

Vor 30 Jahren brachte der Beat-Club Musik auf die Mattscheibe. Doch die Geburt verlief nicht ohne Komplikationen

Dies ist eine Geschichte von den Verdiensten der einst bekanntesten und inzwischen wohl legendärsten Musiksendung des deutschen Fernsehens. Und es ist gleichzeitig eine Geschichte über Intrigen und Mauscheleien, Neid und Mißgunst – und wer hinschaut, bekommt auch noch einen kleinen Einblick in die Mechanismen der deutschen Musik- und Medien-Industrie.

Genau drei Jahrzehnte ist es nun her, daß mit dem Satz „Guten Tag, liebe Beat-Freunde, zur Eröffnung unserer neuen Sendereihe Beat-Club spielen die Yankees aus Bremen ihre eigene Komposition ,Halbstark‘ “ eine neue Ära im deutschen Fernsehen eingeläutet wurde. Am Mikrophon stand Gerd Augustin – er war der erste Moderator des von Radio Bremen für die ARD produzierten „Beat-Club“, mußte diese Position allerdings mit der weidlich ahnungslosen, aber leidlich hübschen Uschi Nerke teilen.

Der „Beat-Club“ startete im September 1965 und lief unter diesem Namen bis 1972. Als alles anfing, war Augustin 24 Jahre. Heute ist er 54 und hat zum „Beat-Club“-Jubiläum nicht nur positive Erinnerungen.

Bremen, 1963. Augustin ist zurückgekehrt aus Amerika, wohin er drei Jahre zuvor ausgewandert war, um nach einer kaufmännischen Lehre die Welt kennenzulernen. Doch gesehen und gehört hat er vor allem Musik – und die amerikanischen DJs, die sich selbst zum Mittelpunkt ihrer Show machten. Augustin nimmt zwei Technics-Plattenspieler und eine Verstärkeranlage, stellt sie in ein altes Bremer Tanzlokal, den ehemaligen „Zigeunerkeller“, und schon ist die erste deutsche Diskothek erfunden: der Bremer „Twenclub“.

Tanzschuppen und Musikläden hat es hierzulande natürlich auch schon vorher gegeben, aber die Art der Musikpräsentation mit DJ und Schallplatten ist neu. Durch Augustins Beziehungen in die USA und nach England laufen im „Twenclub“

immer die allerneuesten Scheiben der Laden wird die Attraktion in der Stadt, ja im gesamten Norden. Augustin: „1964 war ich in Bremen der populärste Mensch in der Szene.“

Doch das reicht ihm nicht: „Ich ging zu Radio Bremen mit dem Konzept für eine Live-Beat-Sendung. Ich wollte Beat-Radio machen.“ Die zuständigen Redaktionsleiter bei Radio Bremen, Hans Bachmüller und Werner Schumann, erkennen die Chance. Um eine neue Sendung inzwischen fürs Fernsehen geplant auszuarbeiten, bringen sie Initiator Augustin mit dem gerade aus Hamburg geholten Jungredakteur Michael Leckebusch zusammen, der sich zuvor als Dixieland-Trompeter und Regisseur am Thalia-Theater versucht hat. Man konferiert im Bremer Park-Hotel (anfangs noch mit Ernest Bornemann, der später der Nation als „Sexprofessor“ Vorträge halten wird) und entwickelt das „Konzept Beat-Club“.

Im September 1965 ist es soweit Die Yankees spielen „Halbstark“ live im „Ersten“ – und Deutschland hat seine erste „progressive“ Musiksendung: alle vier Wochen Samstag nachmittags, eine halbe Stunde lang. Und nun schalten wir sozusagen um ins Cockpit zu Herrn Augustin und erleben das Ganze in Auszügen noch einmal: „Mit Nerke war eine Frau in der Sendung gelandet, für die Englisch wirklich eine Fremdsprache war. Und Leckebusch hatte überhaupt keine Ahnung von Popmusik; er war halt Dixie-Trompeter gewesen. Er war durchaus ein interessanter Mann: ein Technik-Freak im visuellen Bereich und als solcher seiner Zeit weit voraus. Aber Dylan und Donovan konnte er nicht voneinander unterscheiden.“

Leckebusch galt dennoch bald und dies noch bis heute – als der große Macher des „Beat-Club“ und als „Lordsiegelbewahrer“ der Rockkultur im deutschen Fernsehen. Als der „Beat-Club“ 1972 unter Klagegesängen der Szene in den „Musikladen“ umgewandelt wird, schreibt etwa Eckhart Schmidt in der Süddeutschen Zeitung vom 9. September: „Leckebusch war auch einer der profiliertesten Kenner der internationalen Pop-Szene.“

Augustin kann darüber nur lachen: „Er war am Anfang mein Pop-Schüler. Aber er wollte um jeden Preis Karriere machen und folgte deshalb blind dem Trend. Und er folgte bei der Zusammenstellung einer Sendung auch nicht unbedingt nur rein musikalischen Kriterien.“

Gerüchte, daß Auftritte in „Beat-Club“ und „Musikladen“ gekauft werden können, werden Leckebusch im Lauf der Jahre hartnäckig begleiten, auch wenn sich heute keiner der Beteiligten an konkrete Fälle erinnern mag. Die Tatsache, daß sich Leckebusch später ein eigenes Fernsehstudio einrichtete, wo er – im Auftrag der Plattenfirmen – PR-Videos produzierte, die dann oft genug in seiner Sendung eingesetzt wurden, trug auch nicht gerade dazu bei, das Raunen in den Kulissen verstummen zu lassen.

Doch genug der Gerüchte. Der „Beat-Club“ kommt jedenfalls zügig in Fahrt, das Zuschauer-Interesse entwickelt sich geradezu phänomenal, internationale Musikmanager werden auf die inzwischen wöchentliche Sendung aufmerksam und etablierte Fernseh-Kollegen wie Dieter Thomas Heck vom ZDF, so Augustin, „verachteten uns neidvoll als Hippies und Underground“.

Typisch für den „Beat-Club“ gerade der Anfangszeit war, daß er sich mit der gleichen Unbeholfenheit und Naivität wie sein Publikum auf die neue und fremdartige Musik aus Angloamerika stürzte. Die Biederbundesrepublik war dankbar für alles, was man kriegen konnte. Und wenn man einmal den aktuellen Nr.-1-Hit aus London nicht auf der Bühne hatte, dann spielten eben Beat-Bands von nebenan das Ding möglichst „originalgetreu“ nach. So sangen dann etwa die Yankees „Help“ oder die Mushrooms „Get Off Of My Cloud“.

Auch sonst waren die ersten Sendungen, aus heutiger Perspektive jedenfalls, unvorstellbar arg- und anspruchslos aufgezogen. Während Ungetüme von Kameras immer wieder quer durchs Bild rollten, ständig Zuschauer vor das Objektiv stolperten und eine hilflos erscheinende Regie schon mal minutenlang bei ein und derselben unterbelichteten Einstellung verharrte, rumpelten die Bands durch ihre Songs. Augustin rang sich durch Moderationen wie: „Vor allem wurde von Euch eine Band gewünscht: Hier sind die vier Jungs aus Liverpool!“ Doch nicht etwa die Beatles kamen, sondern Ian & The Zodiacs.

Überhaupt, das Gestammel: Nerke, so Augustin, kam praktisch mit ihrem Standardsatz „So Jungs, was habt Ihr sonst noch drauf?“ über die Jahre. Was die eigenen Moderationen betrifft, wäscht Augustin seine Hände in Unschuld: „Leckebusch hatte die Texte nun mal genau vorgeschrieben.“

Und trotzdem: Die eigentliche Errungenschaft bestand eben darin, daß „die Jugend“ zum ersten Mal im deutschen Fernsehen überhaupt zu Wort, oder – wie es in einer Anmoderation des heutigen Tagesschau-Sprechers Wilhelm „Pit“ Wieben hieß – „zu ihrem Recht“ kam. Und der Beat dazu war immer rauh, schräg, scheppernd, die Stimmen überschlugen sich, die Soli zitterten – so hatte man das in deutschen Wohnzimmern noch nie gehört: wie in einem richtig siffigen Beat-Schuppen eben.

Nach und nach wird der „Beat-Club“ professionalisiert. Man überträgt nicht mehr nur aus dem Studio, sondern aus der Bremer Stadthalle, später auch aus dem „Marquee“ in London. Regie, Licht, Ton arbeiten reibungsloser zusammen; die Haare aller Beteiligten werden länger, die Klamotten bunter, die Gitarren elektrischer. Im Rückblick tauchen fast alle großen Namen aus den Sechzigern in der „Beat-Club“-Liste auf: Hollies, Who, Hendrix, Chicago (Transit Authority), Iron Butterfly, Ten Years After, Cream, Jeff Beck, Humble Pie und viele, viele andere. Doch zum Entsetzen aller ernsthaften „Beat-Freunde“

wird das ursprüngliche Konzept immer mehr aufgeweicht. Playback-Shows von Schlagersternchen verdrängen nach und nach die Live-Auftritte der schrägeren Rockbands. „Leckebusch“, so Augustin, „stand halt auf Titten – was ihm privat ja nun niemand zum Vorwurf machte. Zum Problem wurde es, weil er allmählich seine ganze berufliche Orientierung danach ausrichtete. Der Beat-Club – vor allem dann später der ,Musikladen‘ – füllte sich mit immer mehr dieser Titten-Acts, die gerade in Holland wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Und jeder in der Sendung wußte, daß Leckebusch in Wallung geriet, wenn wieder so ein Ding kam. Und es kam eins nach dem andern.“ So sei der „Beat-Club“ den Bach runtergegangen und „richtig neckermannmäßig“ geworden, sagt Augustin: „Es war keine ehrliche Sache mehr.“

Die Vermarktung der Sendung, die in späteren Jahren von Radio Bremen und dem WDR gemeinsam produziert wird, lief bereits zu ihren Lebzeiten bestens: Bis 1969, als der 50. „Beat-Club“ über die Bildschirme flimmerte, war sie bereits weltweit an 30 Fernsehstationen verkauft worden. An Augustin, der mit 500 DM pro Sendung entlohnt wurde, ging der warme Regen vorbei: „Einmal machte ich in der Türkei den Fernseher an – und sah mich plötzlich selbst.“ Der „Beat-Club“ sei als Exportartikel „ausgequetscht worden bis zum letzten“. Seit 1994 vertreibt BMG die Sendungen auch als Video. Auf dem Cover beginnt das Editorial mit den Worten: „1964 entstand bei Radio Bremen die Idee…“

Schlußakkord. Augustin macht es als „Beat-Club“-Moderator nur bis Anfang 1966. Schon seit geraumer Zeit haben Plattenmanager Leckebusch gedrängt, wegen der besseren internationalen Vermarktungsmöglichkeiten einen englischen Moderator einzusetzen. Als neuer Mann kommt DJ Dave Lee Travis vom Piratensender Radio Caroline. Mit ihm, der vor der Kamera wie ein Vorläufer von Ray Cokes wirkt, kommt Entertainment in die Show. Der Kontrast zum öligen „Musikladen“-Moderator Manfred Sexauer ist später um so krasser. Die Wege der „Beat-Club“-Hebammen haben sich derweil längst getrennt. Während Leckebusch nach „Beat-Club“ und „Musikladen“ noch „Extra-Tour“ (mit Margarete Schreinemakers!) aus der Taufe hebt, um dann mit „Euro-Tops“ als privater TV-Produzent in der Versenkung zu verschwinden, zieht’s Augustin wieder nach Amerika. Als Manager von Ike und Tina Turner ist er lange Teil des Rock-Jet-Sets; heute lebt er als Produzent und Medienhändler in München.

Gibt es so etwas wie ein Fazit? Auf der menschlichen Seite hält die Protagonisten nichts mehr zusammen. „Mir liegt nichts an einer späten Rache“, sagt Augustin, „aber 30 Jahre nach dem ersten ,Beat-Club‘ tut es mir noch immer weh, wie Leckebusch das Konzept verwässert hat.“

Unbestritten ist der feste Platz des „Beat-Club“ in der deutschen Rockgeschichte: „Er war für die alternative Szene eine wichtige Brücke, eine Brücke zur Welt, die die Gesellschaft in Deutschland mehr verändert hat, als viele sich vorstellen können.“ Sagt Augustin und lächelt.

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