Hammer-Göttinnen

Brauchen wir die Frauenband Lez Zeppelin - war Robert Plant nicht feminin genug? Schriftsteller Frank Schulz berichtet

Was soll ich bloß anzieh’n? Nicht, dass ich mir die Frage tatsächlich gestellt hätte; ich, ein sog. alter Sack, im Begriff, das Konzert von vier jungen New Yorkerinnen zu besuchen, die das Repertoire des Rockmachismo Led Zeppelins nachspielen, mit dem ich 35jahre zuvor initiiert worden war (und das im Original live zu erleben ich zweimal knapp verpasst hatte — ein Trauma). Trotzdem hübscher Auftakt, oder? Klingt da nicht schon das Thema an: Rollentausch und so?

Naja. Sagen wir, ich stellte mir die Kleiderfrage nicht ernsthaft. Nicht zu leugnen aber war der Impuls, mich, sagen wir: aufzubrezeln.

Gaga, klar. Erstens überhaupt, und zweitens: wie „aufbrezeln“, so wie 1972, als die Mädels noch Quark im Schaufenster waren, oder so wie heute? Oder was?!

Die Irritation über den albernen Affekt hielt noch in der „Fabrik“ an, wo ich einstweilen feststellte: Zu drei Vierteln sah das Publikum aus wie ich, wie du oder wie Brösel. Wänste, graue Barte, Pferdeschwänze und Oblahila-Frisuren (oben blank, hinten lang). Lederhosen, wenn nicht mit Bügel-, so mit Lagerungsfalten. Schirmmützen und, natürlich, Led-Zeppelin-T-Shirts. Und je voller der Saal, desto suspekter wurde mir das ganze Unternehmen. Was sind das für „Girrrrls“ (Flyer), die sich solch eine Klientel kreieren?

Eine kleine, muskulöse Lisa Brigantino als John Paul Jones. Als Jimmy Page eine langhaarige Steph Paynes (intellektuell wirkend trotz der Schmetterlingsapplikationen auf dem Hosenanzug, eine davon an der Stelle, wo Robert Plant einst den Union Jack trug). Als John Bonham ein Zwei-Zentner-Kaventsweib namens Helen Destroy. („She’s got balls!“ soll die heimatliche Presse diagnostiziert haben.) Bin ich schon bei seinem Anblick hingerissen, wie also erst bei Sarah Mc-Lellans! Was für eine ranke Pflanze!

Und hätten sie einen besseren Opener wählen können für den ersten Zep-Tribut, den sie auf europäischem Boden zahlen? The hammer of the gods will drive our ships to new lands, to fight ehe horde, singing and crying: Valhalla, I am Coming! Außerdem: Den Anspruch als Lead-Instrument definiert Plants Stimme in keinem anderen Stück deutlicher als im „Immigrant Song“, und so kann sweet Sarah von der ersten Note an klarstellen, dass sie den Altmeister keineswegs nachäfft. Stattdessen setzt sie ihr zwischen Sanft- und Tollheit schwirrendes Timbre ein, um den eindringlichen Wikingersingsang zu interpretieren. Auf respektvolle, doch ureigene Weise.

Wir sind sofort auf der Seite der Electric Ladies. Stück Nummer zwei: „Heartbreaker“, drei: „Ramble on…“, „Dazed And Confused“ und „Moby Dick“ mit Solo, ziemlich bonzogetreu (mit und ohne Sticks – yes, man: She’s got balls indeed!). Was soll ich sagen? Es scheint ihnen einen Heidenspaß zu machen! Sie genießen die Tempi, die Raffinements und Wucht der Klassiker sichtlich: desgleichen, mit unsichtbarem Augenzwinkern, die Mackerposen. Und wir erst! McLellan lacht vor freudiger Überraschungüber unsere Verve. „You like girls playin‘ Zeppelin?“ We love you! „Ich – liebe – dich“, antwortet die Frontfrau stockend und wehrt die Reverenzen an ihre Deutschkenntnisse bescheiden ab: „I’m learning.“

Oh ja, aber nicht nur Deutsch. Rasch hatte sie gemerkt, dass sie die horde gar nicht fighten muss. Wir haben uns erkannt, und sie braucht uns fortan nur um den Finger zu wickeln. Sie lässt ihren Charme mit all ihren angeborenen und perfekt gespielten Reizen an uns aus, zeigt den bildschönen Bauch unter dem knappen Hippie-Top. Sie lässt uns am langen Blick verhungern oder pickt sich per Fingerzeig jemanden aus der Menge, um ihn mit Kusshänden zu blenden, doch bevor wir uns Schwachheiten einbilden, ist das Stück zu Ende, wird sie wieder brav und lächelt das Lachen einer jungen Helen Hunt: Das hier ist ein Spiel, okay?

Folglich könnte man beinahe vergessen, wie sich beim ersten Lesen des Bandnamens die Idee aufdrängte, das „Lez“ stehe für lesbian. Sehen sprichwörtliche kesse Väter nicht anders aus? Und wo sind denn die Sapphistinnen der Hansestadt heut‘ abend?

Die Internet-Recherche belehrt (in einem FM4/ORF-Beitrag), die Lez-Zeps genössen zwar „mittlerweile große Verehrung in der Queer-Community“ und würden auch „immer wieder“ als „lesbische Band“ bezeichnet – allerdings „fälschlicherweise“. Was die vier Damen keineswegs störe. „Ein nicht unwesentlicher Anteil“ von Led Zeppelins Erfolg in den 7oern, so Gitarristin und Gründerin Steph Paynes, liege darin, dass „die Heten-Männer unter den Fans ihre unterschwelligen homosexuellen Fantasien projizieren und ausleben konnten. Ich meine, Robert Plant und Jimmy Page waren zu dieser Zeit sehr feminin in ihrer Art“.

Nicht die frischeste These. Ich bezweifle sie immer noch. Es geht mir nicht darum, schnöde den rosa Peter weiterzureichen – aber könnte man nicht mit derselben Überzeugungskraft argumentieren, die Heten-Frauen unter den Fans hätten, indem sie auf den behauptet effeminierten Gestus abfuhren, ihre unterschwelligen Fantasien projiziert? Ich bin, soweit ich weiß, nicht homophob. Aber wenn ich 1971/72 homosexuelle Fantasien zu projizieren hatte, dann müssen sie derart unterschwellig gewesen sein, dass selbst die angeblich so femininen Pages und Plants sie zu evozieren nicht in der Lage waren. Sicher.

das Interessante an 1971/72 war auch für mich die Mutation des konventionell Maskulinen – vor allem das Abgrenzungs-Potenzial, das in ihr lag. Was an Led Zeppelin zu entdecken uns 1971/72 in höchstem Maße interessierte, war die Eindeutigkeit eines Männerbildes-allerdings gerade in dieser seiner neuartigen, wilden Erscheinungsform. Tanzschule und Schlips mit Gummizug? Nein danke, nie wieder.

So viel ist sicher: Der Erfolg, den Led Zeppelin bei mir hatten, lag in der gewaltigen Ausdruckskraft und Identifikationsmacht hinsichtlich all des Testosteronjammers von uns Jungs, hinsichtlich des Drangs, ja ständigen Zwangs, Mädchen hinterherzuhecheln, und hinsichtlich dessen stets drohender Vergeblichkeit. Etwaige Homoerotik hätte dabei nicht nur null Trost gespendet, sondern, schlimmer noch, das Suhlen in der Sehnsucht empfindlich gestört.

Wie auch immer. Das Vertrackte an dem Phänomen nun, welchem ich beim zweistündigen Auftakt der dreieinhalbwöchigen Europatournee von Lez Zeppelin beiwohnte, war dies: aufweiche Weise uns alten Säcken die Sexualvektoren um die Ohren flogen. Letztlich war es natürlich eine melancholische. Bitte nicht mit Larmoyanz verwechseln: Dieser (dann ignorierte) Impuls, sich „aufzubrezeln“… entsprang er dem Wunsch, es möge in letzter Sekunde doch noch wahr werden der alte Pubertätstraum, die unio mystica zu erleben – die Versöhnung von Musik- und Mädchenliebe?

Was dann, vor Ort, übrig blieb, war eher eine Empfindung von der Art, wie sie die Väter der Kandidatinnen bei „Deutschland sucht den Superstar“ bewegen mag. Höchstens mit einem quasi-inzestuösen Einschlag. Tja.

Sie brachten nicht „Whole Lotta Love“ und nicht „Stairway to Heaven“. (Und nicht „Babe, I’m Gonna Leave You“.) Aber sie mussten drei Zugaben geben.

Wir sind ja längst bei Trost, erwachsen, reif genug, Fans des kleinen zu werden: Spaß hat’s gemacht. Ich werd‘ gleich mal „Thank You“ auflegen.

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