Heute wäre Elvis Presley 80 geworden: Wie alles begann – der Report

Vor 80 Jahren wurde der wichtigste Sänger des Rock'n'Roll geboren. Teil eins unser Serie über Elvis Presley und die entscheidenden Tage der Rockgeschichte.

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Vor gut 60 Jahren betrat ein schüchterner Teenager das Sun Studio in Memphis, um einen Song aufzunehmen, der „That’s All Right“ hieß. Als er es wieder verließ, war die Welt eine andere. ELVIS PRESLEY hatte den Rockabilly erfunden. Am 8. Januar wäre der größte Popstar aller Zeiten 80 Jahre alt geworden. Wolfgang Doebeling über die wichtigsten Tage der Rockgeschichte – und die besten Songs des Mannes, den sie den „King of Rock’n’Roll“ nannten.

Elvis Presley: Der junge König

Teil eins unsere Serie.

Es war ein Moment, der alles verändern sollte, ein Moment göttlicher Inspiration. Nein, protestierten die Lustfeinde und Exorzisten, der Teufel war’s, der dem Jungen aus Tupelo eingeflüstert hat, alle Hemmungen fahren zu lassen. Elvis Presley selbst, dem die Eltern Gottesfurcht und Höflichkeit anerzogen hatten, konnte es sich zeit seines Lebens nicht so recht erklären, was da über ihn gekommen war, an jenem Juli-Tag des Jahres 1954. „Es geschah einfach“, meinte er später. „Wie ein Blitzschlag.“

Die Akteure, die sich im Sun Studio zu Memphis/Tennessee eingefunden hatten, um dem 19-jährigen Burschen mit dem scheuen Grinsen und der billigen Gitarre zu präsentablen Tonaufnahmen zu verhelfen, waren auf einen Blitzschlag nicht gefasst. Dabei hatte Produzent und Studio-Eigner Sam Phillips auf eine solche Gelegenheit nur gewartet. „Hätte ich einen weißen Jungen, der wie ein Nigger singen kann, wäre ich im Handumdrehen Millionär.“ So oder ähnlich soll er sich damals geäußert haben in der Gewissheit, dass es ein unentdecktes Terrain zwischen den Polen Rhythm & Blues und Country & Western geben müsse, ein musikalisches Amalgam aus Race Music und Hillbilly, mit ungekanntem Massen-Appeal. Ein Zitat, zu dem sich Phillips stets gern bekannte, weist es ihn doch als Propheten aus.

Freilich leugnete er in späteren Interviews den Gebrauch des Wortes „Nigger“ – ein wohlfeiler Versuch rückwirkender Reinwaschung. Die anderen handelnden Personen bei den geschichtsträchtigen Sessions am 5. und 6. Juli waren Gitarrist Scotty Moore und Bassist Bill Black, beide nur ein paar Jahre älter als Elvis, aber schon ein wenig erfahren in Studioarbeit. Tagsüber gingen sie ihrem Broterwerb nach, Bill in einer Reifenfabrik, Scotty in der Reinigung seines Bruders, abends traten sie mit den Starlite Wranglers in lokalen Juke Joints auf. „Eine eigentlich recht gewöhnliche Honky-Tonk-Band“, beschreibt Moore das beschränkte Stilspektrum ihrer Amateur-Combo. „Es gab damals viele solcher Bands in der Gegend.“

Elvis verdiente seine Brötchen zu dieser Zeit als Trucker für General Electric, doch hatte er anders als Scotty und Bill Flausen im Kopf, fühlte sich zum Sänger berufen, wollte hoch hinaus. Sein Luxus-Problem war, dass er über fabelhaft wandlungsfähige Stimmbänder verfügte, eine auratisch klingende Stimme, mit der sich alles ausdrucksvoll singen ließ, ob Gospel, Blues, Country oder Pop-Standards. Im Sommer 1954 tendierte der Teenager zu Balladen, Dean Martin imponierte ihm. Gleichwohl ahnte der junge Presley, dass er als Crooner seine vokalistischen Möglichkeiten nicht annähernd würde ausschöpfen können. Er hatte seinen Stil noch nicht gefunden, und das machte ihn ungeduldig. „Etwas staute sich in mir auf, wollte raus“, versuchte er seine vage Ambition zu umreißen. „Aber ich hatte keine Ahnung, was es war.“

Die drei Musiker kannten sich noch nicht lange, verstanden sich aber gut, obwohl sich schon rein äußerlich eine Kluft auftat zwischen Elvis auf der einen und dem vergleichsweise biederen Backing-Duo auf der anderen Seite. „Ich lernte Elvis kennen, als er an einem Sonntagnachmittag zu mir nach Hause kam. Er trug ein pinkfarbenes Hemd, eine pinkfarbene Hose mit weißen Streifen an der Seite und weiße Schuhe“, beschrieb Scotty die erste Begegnung mit dem Mann, den sie den „King“ nennen sollten. „Ich dachte, meine Frau würde zum Hintereingang raus, so schockiert war sie. Because people weren’t wearin’ that kind of flashy clothes at the time. He had the sideburns and the ducktails – just a lotta hair.“

Trotz seines coolen Auftretens als Hillbilly-Dandy, trotz seines lässigen Ladykiller-Charmes war Elvis ein schüchterner, allzeit höflicher Junge, dem nichts mehr zuwider war als Rowdytum, nichts heiliger als das Wohlergehen seiner Eltern, Gladys und Vernon. Im August 1953 und im Januar 1954 hatte er als Geschenk für seine Mutter für ein paar Dollar zwei Acetates bei Sun aufgenommen. Zur Klampfe intonierte er bekannte Balladen wie „My Happiness“ und „I’ll Never Stand In Your Way“, die der Mutter Tränen der Rührung in die Augen trieben und Sam Phillips’ Assistentin, Marion Keisker, aufhorchen ließen. Sie brachte die Aufnahmen ihrem Boss zu Gehör, der hinter dem unsicher affektierten Gesang etwas hörte, das ihn bewog, den Sänger zu sich zu bestellen. „Sein Gesang klang aufgesetzt“, so Phillips, „aber ich konnte hören, dass der Junge Potenzial hatte.“

Und so kam es, dass an jenem denkwürdigen 5. Juli 1954 drei junge Männer antraten, um ohne Arg und ohne Absicht Musikgeschichte zu schreiben. Mehr noch, Kulturgeschichte! Denn die Initiation des Rockabilly war weit mehr als ein Fanal juveniler Aufmüpfigkeit, sie läutete nicht nur eine Musikrevolte globalen Ausmaßes ein. Rock’n’Roll erschütterte spätestens ab 1956 auch das gesellschaftliche Leben. Erstmals gab es eine Jugendkultur, die den Gehorsam verweigerte, Konventionen und Autoritäten infrage stellte und so Machtgefüge ins Wanken brachte. Rebels without a cause? Mag sein, wenn damit das Pfeifen auf Ideologie gemeint ist.

Die Wirkungsgeschichte des Rock’n’Roll umfasst eben auch die Libertinage von Körper und Seele. Doch so weit sind wir noch lange nicht – zurück ins Sun Studio vor gut 60 Jahren, dem Epizentrum des Bebens. „Wir waren eigentlich nur zur Unterstützung für ein Vorsingen gekommen, Bill und ich sollten dem Klang ein wenig Volumen geben und Elvis das gute Gefühl, nicht allein unter Beobachtung zu stehen“, erzählte Scotty Moore. „Elvis war ein Bündel nervöser Energie, es herrschte Konfusion“, ergänzte Bill Black. „Niemand schien recht zu wissen, in welche musikalische Richtung es gehen sollte.“

Sam Phillips hatte Leon Paynes schmachtendes „I Love You Because“ vorgeschlagen, mit rezitativem Mittelteil. Die Aufnahme geriet ordentlich, doch würde sie, darin waren sich die Anwesenden stillschweigend einig, niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Dann geschah etwas Unvorhergesehenes, etwas, das „die Tür in eine andere Dimension aufstieß“, so Sam Phillips, nicht überdramatisierend. Um Mitternacht hatte man eine Pause eingelegt, alle waren müde und wussten, dass sie früh aus den Federn mussten, um ihre Dayjobs anzutreten. Da sprang Elvis plötzlich auf, blödelte ein bisschen herum, begann zu tanzen, drehte den Verstärker hoch, griff zur Gitarre und jagte sie mit Karacho durch den Amp. In den Worten von Scotty Moore: „He beat the hell out of the guitar.“ Dann fing Elvis an zu singen, einen Blues-Song aus den Vierzigern titels „That’s All Right, Mama“ von Arthur „Big Boy“ Crudup, in halsbrecherischem Tempo. „Bill picked up his bass, started slappin’ it“, erinnert sich Moore.

„I joined in with just a rhythm vamp. Sam was in the control room, the door was open. He came out and said, ‚What are y’all doin’? That sounds pretty good.‘ We said, ‚We don’t know.‘“ Das war’s: „Was treibt ihr da? Klingt ja richtig gut.“ – „Keine Ahnung.“

Sam Phillips sagte: „Wenn ihr das noch mal so hinkriegt, lasse ich das Band mitlaufen. Mal sehen, wie es sich anhört.“ Es hörte sich an, als ob ein überdrehter Teenager am Mikro über die Stränge schlägt, zum Sound zweier geschwinder Gitarren und zum Beat eines drakonisch geschlagenen Standbasses. Kein Schlagzeug, obwohl Crudup im Original schon eine Snare knallen ließ, obwohl Drums in Jazz, R&B, Jump Blues und Western Swing gewöhnlich den Rhythmus vorgaben. Doch das hier war anders, etwas Neues. Das war Rockabilly. Ein Begriff, den es freilich noch zu erdenken galt, als das unbändige Ding beim Abhören des ersten Takes aus den Lautsprechern sprang.

Die Beteiligten wunderten sich selbst über das Resultat ihrer spontanen Verwegenheit, die kollektive Gemütslage pendelte zwischen Ausgelassenheit und ungläubigem Staunen. „Man, that’s good“, meinte Sam. „Yeah, what is it?“, gab Scotty zurück. Eine gute Frage, auf die keiner eine Antwort hatte. Elvis, wie immer die Bescheidenheit in Person, äußerte leise Zweifel, ob die Unerhörtheit außerhalb des Studios Gehör finden würde. „Verdammt“, warf Bill ein, „wenn das Ding jemals gespielt wird, dann jagen die uns aus der Stadt.“ Sie grinsten, aber nicht weil sie Bills Befürchtung für übertrieben hielten. Sam Phillips wusste, dass er Geburtshelfer für etwas Großes war, größer als Sun Records, größer als Memphis, womöglich größer als Tennessee. Bei ihm hätten sich alle Haare aufgestellt, behauptete er später, doch war der Labelbetreiber Geschäftsmann genug, um sich nicht fahrlässig einer Selbsttäuschung hinzugeben. Also bremste er die aufkeimende Euphorie und unterzog die wilde Nummer erst mal einem Realitäts-Check.

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