Homogenität trotz großer Vielfalt: der verkannte Pop-Dialektiker MALCOLM ROSS

Jetzt mal ganz ohne Nostalgie: Waren die Achtziger nicht, musikalisch gesehen, das aufregendere Jahrzehnt? Gab es in dieser oftmals verwirrenden Dekade nicht weitaus mehr Aufbruchstimmung als heute und Bands, die sich die Aufgabe stellten, den Pop neu zu erfinden (oder es zumindest versuchten)? Josef K., Orange Juice und Aztec Camera zum Beispiel waren solche Bands, und Malcolm Ross spielte bei ihnen zeitweise Gitarre.

Kalter Kaffee? Und wer ist Malcolm Ross? Na schön, da war es also wieder, Malcolms altes Problem: Edwyn läßt sich feiern – und er geht leer aus. Bis jetzt. Jetzt ist Malcolm ein „Happy Boy“. So heißt nämlich das zweite Solo-Werk des schottischen Gitarristen, der die 90er Jahre damit verbrachte, sich dem Studium der Musikwissenschaft zu widmen, während Ex-Orange Juice-Kollege Edwyn Collins Ruhm erntete. Als Quasi-Revanche präsentiert sich Ross nun mit einem Album, das die zurückhaltende Innovationswut der Achtziger mit implodierenden Paukenschlägen wiederbelebt. „Happy Boy“ ist ein Wunderwerk des Understatement, eine Geheimwaffe gegen die schwindelerregende Leere im Kosmos der Popmusik, die so antiplakativ und stilvoll daherkommt – eben wie ein Mann in weißem Hemd und schwarzem Anzug.

Ross, der ewig Mißachtete, hat sich aus Edwyns Schatten befreit. „Nichts gegen Edwyn, ich respektiere seine Arbeit, mag sie sogar“, beschwichtigt der schmächtige Schotte jeden aufkommenden Gedanken an Rivalität. „Es ist nur so, daß ich finde, er verzettelt sich bei seinem Versuch, möglichst viele Stile und Gimmicks auf seinen Alben unterzubringen. Da hat er dann plötzlich einen gut funktionierenden Dancebeat, und was tut er? Er quetscht ellenlange Textpassagen dazwischen, die sich nicht mit dem Fluß der Musik vertragen. Am Ende steht ein etwas verkrampftes Ergebnis.“ Welchen Song meint er? Doch nicht „Seventies Night“? Der ist doch fabelhaft! Mr. Ross, da setzen wir uns ja auf ein hohes Pferd.

Die Gegenprobe dokumentiert, daß auch Malcolm durchaus weiß, wie man ein Gitarren-Pop-Album am Ende des 20. Jahrhunderts gestaltet. Er hüpft von Pop zu Rock, vom Las-Vegas-Glamour zur schmachtenden Elvis-Ballade, vom knarzigen Folk zum scheppernden Analog-Sample in „Big Guitar“, einem Country-Flickenteppich, der Beck Hansen alle Ehre macht, ohne daß dabei der ruhige Fluß des gesamten Albums ins Krausem gerät. Homogenität bei größtmöglicher Vielfalt.

Country scheint im musikalischen Mikrokosmos des Malcolm Ross eine wichtige Rolle zu spielen, tönte doch bereits sein Debüt-Album „Low Shot“ vor drei Jahren wie eine Wüsten- und Kakteen-Oper. „Na klar, Country ist schließlich die Mutter aller Popmusik“, eifert er nach Vergabe des Stichworts, und doziert: „Nehmen wir an, die Beatles wären wirklich die Erfinder des Pop, wie uns Oasis u.a. weismachen wollen. Aber hinter den Beatles steckte bekanntlieh deren Vorliebe für den Harmoniegesang der Everly Brothers. Die Everlys und natürlich Elvis zogen ihre Wurzeln aus der amerikanischen Volksmusik, also enden alle Wege bei Hank Williams.“

„Happy Boy“ wird somit gleich auch zur Lehrstunde in Sachen popkultureller Dialektik. Humor, grinst Ross, sei nämlich seine eigentliche Stärke.

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