Posthumane Logik: Howie Lee über den Einfluss Chinas auf die elektronische Musik

Der DJ und Produzent Howie Lee ist der Wegbereiter einer hyperartifiziellen elektronischen Untergrund-Musik aus China

Einen ähnlich positiven Zukunftsglauben wie im China der Gegenwart gab es wohl zuletzt im amerikanischen „Space Age“ der 50er- und 60er-Jahre mit seinen eiförmigen Sofakapseln, seinen Ufo-Häusern und Atommodell-Lampen. Mit riesigen Investitionen in Zukunftstechnologien wie Robotik, künstliche Intelligenz und Raumfahrt will die Volksrepublik bis zum Jahr 2025 zur weltweit führenden Tech-Supermacht aufsteigen. Orwellsches wie ein Rating-System der Bürger oder flächen­deckende Gesichtserkennung kommt der Regierung in Peking und großen Teilen der Bevölkerung ähnlich wenig dystopisch vor wie den USA einst die Verheißungen der Atomkraft. Wo früher rotwangige Arbeiter das Rückgrat der Gesellschaft bildeten, sollen nun datensaugende Computerhirne das Land in eine goldene Zukunft führen – eine Zukunft, die auf den riesigen digitalen Bannern der Megastädte bereits angebrochen ist.

Howie Lee: First Rain

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„In China findest du dich schnell in einer digitalen Welt wieder, in der Propaganda und Werbung fließend ineinander übergehen. Ich finde das sehr inspirierend“, sagt Howie Lee im Pekinger Art-­Distrikt Dashanzi. Der DJ, Produzent und Videokünstler ist Schlüsselfigur einer neuen sinofuturistischen Underground-­Musik: Hyperartifiziell und auf verstörende Weise surreal scheint sie dem Unterbewusstsein einer künstlichen Intelligenz zu entspringen, die einer posthumanen Logik folgt, sich dabei aber noch vage an ihre chinesischen Ursprünge erinnert.

Im Video zu „Bei Hai“ lässt Lee Kampfroboter mit Pekingoper-Masken zum Klang verfremdeter Volkslieder über außerirdische Reis­terrassen fliegen. In „Bankers“ werden Yuan-­Scheine mit dem Konterfei Maos in einem strobo­skopartigen Computer-­Glitch zerschreddert. Ironisch oder kritisch sei das nicht gemeint, versichert der 32-­Jährige. „Für mich hat das mit Stolz zu tun. Was die Regierung mit der ,­Made in China 2025‘-­Initiative macht, beeinflusst mich genauso wie die Tatsache, in einer globalisierten Konsumkultur aufgewachsen zu sein.“

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Lee, der in London Sounddesign studierte, hat Remixes für Snoop Dogg und Charli XCX aufgenommen und in New York ein Boiler-Room-Set gespielt. Wenngleich seine Musik im Westen gut ankommt („Ihr steht eben auf exotischen Orientalismus“), sei es nicht sein Ziel, international bekannter zu werden: Er möchte helfen, Chinas Subkulturen so einflussreich zu machen wie jene aus dem Westen, die seine Generation zwar stark geprägt, auf eine Art aber auch „kreativ kolonisiert“ hätten. Seine auf dem 2012 von ihm gegründeten Label Do Hits veröffentlichten Tracks sind von Trap, zerklüfteter Ambient-Elektronik à la Arca und der düsteren Clubmusik der britischen Dubstep-­Pioniere von Hyperdub beeinflusst. Gleichzeitig halten sie dem fortschrittsgläubigen China der Gegenwart derart den Zerrspiegel vor, dass sie woanders nicht hätten entstehen können.

Erst der Anfang

Lees Cyber-Ästhetik findet sich mittlerweile auch bei anderen wieder, etwa bei dem Schanghaier Hipster-Label Genome 6.66 Mbp und den Asian Dope Boys, einem Party- und Performance-Kollektiv, das kürzlich im Berliner Berghain und dem Hamburger Kampnagel auftrat. Lee glaubt, das alles sei erst der Anfang. „Es gibt asiatische Popkultur, die überall funktioniert, zum Beispiel koreanische Boygroups und das Label 88rising, das asiatischstämmige Rapper und Produzentinnen wie Yaeji sichtbarer macht.“ Seine Hoffnungen setzt Lee ausgerechnet auf die Regierung, die Anfang des Jahres HipHop wegen seines schlechten Einflusses auf die Jugend aus dem Fernsehen verbannte. Das, so Lee, sei weniger Unterdrückung gewesen als ein hilfloser Versuch, amerikanische Einflüsse einzudämmen. „Dabei wird alles, was nach China kommt, früher oder später sinisiert. Das war immer so, vom Buddhismus bis hin zum HipHop.“

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Elektronische Musik werde durch das Fehlen von Texten von der Zensur als neutral wahrgenommen. Es gebe in China aber ohnehin genug Dinge, mit denen man sich künstlerisch auseinandersetzen könne – „­ohne immer diesen kleinen Bereich des Verbotenen auszuloten“, erklärt er leicht genervt. „Ich glaube, dass die Ausbreitung von Popkultur viel mit der Wirtschaft zu tun hat. In 50 Jahren wird China mächtiger und einflussreicher als die USA sein, und das gilt dann auch für die Kunst.“

 

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