Hüpfburg Ost

Mit virtuellem Balkan-Folklore-Dance hat DJ Shantel aus Frankfurt einen neuen Ost-Exotik-Trend erfunden

Es gibt Bilder, die sind einfach echte Hingucker: Da steht ein in Ehren ergrauter Kapellmeister vor einem wild zusammengewürfelten Balkan-Orchester und fuchtelt leidenschaftlich mit dem Taktstock. Aber halt! Zwischen all den Geigern, Bläsern und Akkordeonspielern hat sich einer eingeschlichen, der hier eigentlich nicht hingehört: ein DJ, der seine Plattenspieler auf einem antik aussehenden Holztisch aufgebaut hat. Wir befinden uns in Czernowitz, der Hauptstadt von Bucovina, einer Region, die heute zur Ukraine gehört. Czernowitz feierte 2004 zum ersten Mal den „Bucovina Club“, eine bei uns bereits etablierte Erfindung des Mannes hinter den Plattendecks: Stefan Hantel, genannt Shantel, Frankfurter DJ. Sein Club Lissania galt Mitte der 90er als extrem cool: Galliano, Kruder & Dorfmeister und andere wirkten hier im Rahmen intimer, fast schon privater Partys. Shantel veröffentlichte parallel dazu auch eigene Musik: zurückgelehnten, reich ausgeschmücktem TripHop; 2001 hatte er mit seiner Band sogar einen Auftritt bei „Rock am Ring“.

Im Keller seiner Mutter machte der Mittdreißiger vor etwa drei Jahren eine folgenschwere Entdeckung: einen Koffer mit Platten, die von den rumänischen Großeltern stammten. Musik aus der Vielvölkerregion Bucovina, eine Sammlung der unterschiedlichsten kulturellen Einflüsse, gebündelt im Sound wild trötender Blasorchester, sehnsüchtiger Frauenchöre und muslimischer Bauchtanz-Rhythmen. Das Problem: „Ich habe schnell gemerkt, daß man diese Musik, so mitreißend sie auch ist, nicht einfach in einem Club spielen kann. Die Beats sind zu fremd und ungewohnt, und obendrein fehlen der Musik, die in der Tradition türkischer Militärkapellen steht, schlicht die Bässe.“

Also hat sich Shantel daran gemacht, eine virtuelle Bucovina-Folklore zu erfinden, die man auf keinen Fall mit authentischer Volksmusik verwechseln sollte – auch wenn sie für ungeübte Ohren ähnlich klingt. Die beiden „Bucovina C/uö“-Alben sind produziert wie HipHop, die digital gefettete Tuba übernimmt die Rolle der Bassline. Anfangs waren es noch Remixe von Stücken traditioneller Bands inzwischen arbeitet Shantel überwiegend mit eigenem Orchester, das seinen Proberaum im Grazer „Volkshaus der KP“ hat. Den Sommer über wird man den DJ und seinen Musikantenstadl wieder deutschiandweit auf den Bucovina-Club-Parties bewundern können, zu denen bis zu 2000 Leute ins Frankfurter Schauspielhaus kommen. Eine besser gelaunte Packung popkultureller Ost-Exotik bekommt man nicht mal in der Russen-Disco.

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