„Ich bin Sklave meines Lebens“: Tristan Brusch im Interview zum neuen Album „Am Rest“

Mit „Am Rest“ ist das zweite Album von Tristan Brusch erschienen. ROLLING STONE hat mit ihm darüber gesprochen.

„Meiner Karriere hätte es vielleicht gut getan, nochmal sowas wie die ‚Fisch‘-EP oder nochmal ‚Das Paradies‘ aufzunehmen, damit die Leute checken, wer ich bin, aber das war für mich nicht möglich“, sagt der Sänger und Songwriter Tristan Brusch mit Blick auf den Entstehungsprozess seines neuen Albums „Am Rest“. Die Angst, nach seinem deutschsprachigen Debüt-Album „Das Paradies“ sein ganzes Pulver verschossen zu haben, habe auch ihn heimgesucht, als er oft verkatert in seiner Badewanne in die Tage hineinlebte, doch die Prokrastination wich dem genauen Gegensatz. Feste Zeiten, Internet aus, Schnuppern am Nine To Five. Tristan Brusch nennt seinen neuen Arbeitsansatz „akzentuierter“ und – so viel sei vorweggenommen – seine neuen Lieder geben genau dies wieder. „Lieder, die ich schreibe, sind immer Spiegel meiner Seelenreise und ich bin da fast wie Sklave meines Lebens“. Vergangenes zu wiederholen, war allein deshalb schon keine Option.

In kompositorischer Hinsicht führt „Am Rest“ den roten Faden in Tristan Bruschs musikalischer Handschrift fort, so viel ist sicher. „Wie ich Musik schreibe, hat ganz viel damit zu tun, wie ich aufgewachsen bin“, so seine Erklärung. „Meine Eltern waren beide klassische Musiker und es lief bei uns fast nur Klassik. Ich glaube, das kriegt man aus mir nicht raus. Die Melodieverliebtheit, dass es mehr als drei Akkorde gibt“. Wenn man also den ersten Hauptunterschied zu Tristan Bruschs vorherigen Veröffentlichungen sucht, findet man ihn ihm Sound des Albums. Weniger Synthesizer, konkreter in den Arrangements und mit einem wunderbaren Ohr fürs Detail – akzentuierter eben.

Tristan Brusch

Tristan Brusch geht auf Momentsuche

„Zu der Zeit, als ich ‚Am Rest‘ geschrieben habe, habe ich sehr viel Tom Waits gehört, vor allem das Album ‚Rain Dogs’“, erzählt Brusch. In einem New Yorker Keller im Herbst 1984 nahm Tom Waits das besagte Album auf, ohne die Songs mit befreundeten Musikern vorab ausgiebig geprobt zu haben. „Beim Lied ‚Time‘ hört man, dass der Bassist das Stück gerade das erste Mal spielt. Im Prinzip wollte ich sowas Ähnliches machen, nämlich mich auf so eine Momentsuche begeben.“

Beim Suchen half Tim Tautorat in den Berliner Hansa Studios, in denen die Songs innerhalb von nur vier Tagen ebenfalls ungeprobt festgehalten wurden. „Ihn umgibt eine Aura der Unantastbarkeit“, attestiert Tristan Brusch dem Produzenten ob seines stets akkuraten Seitenscheitels, den maßgeschneiderten Anzügen und der gewählten Ausdrucksweise. „Man muss eine Schicht darunter kommen, um zu merken, was für ein unfassbar lieber Mensch das eigentlich ist.“

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„Ich war davon hingerissen, mit welcher Zärtlichkeit und mit welcher Präzision er Anweisungen geben kann während einer Aufnahme.“ Im Gegensatz zu heute üblichen Laptop-Produktionen im heimischen Schlafzimmer entschieden sich Tristan Brusch und Tim Tautorat für einen Weg ohne Auffangnetz. „Wir haben das so richtig oldschool gemacht, indem die Band in einem Raum war und er war im anderen Raum. So wie man das aus einer kitschigen Filmszene kennt, genau so ist das entstanden.“

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Oldschool oder zeitlos?

Die Aussage, die Aufnahmen „oldschool“ umgesetzt zu haben, revidiert Tristan Brusch dann gleich wieder, der den Aufnahmeprozess Revue passieren lässt und dabei sehr bedacht spricht, um – so scheint es – jeden relevanten Aspekt zu erwähnen. „Ich sehe da Parallelen zu moderner Rap-Musik. Die Rapper bekommen einen Beat vorgeworfen und improvisieren darüber, da hab ich auch den Eindruck, dass es um einen Moment geht, der gesucht wird. Insofern empfinde ich das eigentlich nicht so krass als oldschool, sondern als zeitlos.“

Während Tristan Bruschs Musik auf „Am Rest“ gleichzeitig reduziert und doch ungemein voll, ja wohlig klingt, geht dies Hand in Hand mit den Texten, die er in nur wenigen Wochen geschrieben hat. In beiden Fällen hat man das Gefühl, direkt daneben zu sitzen. Neben dem genau richtig verstimmten Klavier in „Ein Wort“, neben der Band im Raum in Songs wie „So weit weg“ oder „Krönung der Schöpfung“. Und neben Bruschs Seelenreise. „Es ist ein Album, auf dem ich eine Trennung verarbeite“, erzählt er. Soweit nichts Neues, doch wenn Tristan Brusch davon singt, zwingt einen die Zerbrechlichkeit und gleichzeitige Brutalität zum Zuhören. Um wirklich beurteilen zu können, inwieweit er seine Umwelt durch diese Erfahrung anders wahrgenommen hat, müssten noch ein paar Jahre vergehen, sagt er. Somit bleibt es nicht nur im Musikalischen beim Festhalten eines Moments.

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„Das Album nährt sich von Erinnerungen“

Immer wieder singt Tristan Brusch von Tauben, sie tauchen in seinen Musikvideos auf und werden somit zur „Schutzpatronin des Albums“. „Tauben ernähren sich von Resten“, erklärt er. „Das Album ernährt sich von Erinnerungen und dem was übrig bleibt, wenn eine Liebe vergeht. Oder wenn irgendwas vergeht. Eigentlich ist es ein Album über das Ende von Dingen.“ Auf der einen Seite singt Tristan Brusch also über die Extreme, sei es in der Liebe („Am Rest“, „Einer liebt immer mehr“) oder von menschlichen Schicksalen („Schönleinstraße“).

Auf der anderen Seite finden sich Songs wie „So weit weg“ oder “Krönung der Schöpfung“, die durch die Beschäftigung mit der Abwesenheit von Gefühlsregungen und der absoluten Durchschnittlichkeit gewissermaßen den Gegenpol dazu bilden. „Ich hab noch nie was Gutes getan / Ich hab noch nie was Schlechtes getan / Ich hab noch nie irgendwas getan“ heißt es dort, begleitet von einem Upbeat, der so perfekt zum Text passt wie die Tauben zur Großstadt.

„Das ist eben die Ambivalenz, die wir in unserer Gesellschaft aushalten müssen. Dass wir in einer Welt leben, die in Teilen über unglaublich bösartige Mechanismen funktioniert, und es uns hier so gut geht in Europa und anderen vielleicht auch gerade deshalb gar nicht gut. Dass wir das wissen und trotzdem einen schönen Tag haben können. Diese Ambivalenz finde ich die Banalität des Bösen.“ Unweigerlich wird „Am Rest“ damit auch zu einem Album der Gegensätze, lyrisch wie musikalisch. Liebe und Trennung, laut und leise, schnell und langsam.

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„Müll, Schimmel und Reste“

„Müll, Schimmel, Reste, solche Stichworte hab ich gegeben. Daraus ist das Artwork peu a peu entstanden,“ berichtet Tristan Brusch, als sich das Gespräch mit der optischen Ebene des Albums befasst. Die Fotografin Steffi Rettinger und der Grafiker Mathias Fleck gestalteten das Cover, denen Tristan Brusch die gebührende Anerkennung dafür einräumt. Rettinger schoß das Foto und brachte die Idee ein, Brusch das gezwungene Lächeln zu verpassen. Tristan Brusch selbst habe indes keine absichtliche Joker-Referenz im Kopf gehabt, beteuert er, den Film habe er nicht gesehen. Weniger passend zur Musik wird das Motiv dadurch nicht. Und weiter: „Ich bin total dankbar dafür, mit was für simplen Ideen Mathias die relativ komplexen Texte, die ich schreibe, visuell auf den Punkt bringt.“

Tristan Brusch – „Am Rest“

Wo er mit dem Album hin möchte, lautet schließlich die letzte Frage. „Ich glaube, es verabschiedet sich immer weiter von Pop-Musik und geht immer weiter in Richtung dessen, was man Liedermacher nennen könnte, obwohl das ja ein sehr belasteter Begriff ist. Ich meine das in dem Sinne, dass es nicht einer Pop-Ästhetik entspricht, sondern dass es Geschichten sind, die erzählt werden.“ Und wenn Tristan Brusch etwas kann, dann ist es Geschichten erzählen.

„Am Rest“ erschien am Freitag (29.10.) auf dem Berliner Label BDKA.

Steffi Rettinger
Steffi Rettinger / Mathias Fleck BDKA
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