„Ich war nie in der Defensive“

EI IHREM ERSTEN GIG VERLETZTE SICH DRUMMER Brian Chase versehentlich an der Nase. Je mehr er blutete, umso frenetischer trommelte er – und je frenetischer er trommelte, umso unkontrollierter strömte das Blut. Es dauerte nicht lange, bis sein weißes Hemd praktisch rot war. „Und das war wahrlich nicht unser einziger Auftritt, bei dem sein Drum-Kit am Ende blutüberströmt war“, erzählt Sängerin Karen O. Mit ihren chaotischen Shows machte sich das New Yorker Trio jedenfalls schnell einen Namen. Karen O trug exzentrische Outfits (von ihrer Freundin Christian Joy entworfen) und spuckte gerne mal Bier von der Bühne ins Publikum. Doch im Laufe der Jahre waren es andere Qualitäten, die in den Vordergrund traten, nicht zuletzt das sehr eigene Songwriting, mit dem sie als Rockband Neuland betraten. Ihr exzellentes viertes Album überrascht nun mit einem Gospelchor und einem Gast-Rap von Dr. Octagon – und doch: Allen Neuerungen zum Trotz besitzt „Mosquito“(erneut von TV On The Radios Dave Sitek produziert; außerdem war James Murphy von LCD Soundsystem bei einem Track dabei) die gleiche elektrisch aufgeladene Intensität, für die The Yeah Yeah Yeahs mit Recht gerühmt werden.

Der Gospelchor auf „Sacrilege“ kommt aus heiterem Himmel – vor allem, weil er erst in den letzten beiden Minuten eingesetzt wird. Was reizte Sie an der Idee?

Ich hatte schon lange nach einer passenden Gelegenheit gesucht, aber bislang schien es mir immer zu radikal, einen großen Chor einzusetzen. Und um ganz ehrlich zu sein: Ich war mental überhaupt nicht darauf vorbereitet, dann den 24-köpfigen Chor diese Lyrics singen zu hören. Es war fast schon so was wie eine außerkörperliche Erfahrung.

Einige der neuen Songs scheinen Ihre Angstanfälle zu thematisieren. In welchen Situationen stellt sich die Panik ein?

Ich hab Probleme mit einer Menge alltäglicher Situationen, die andere Leute überhaupt nicht bewusst wahrnehmen – wie etwa in New York über die Straße zu gehen (lacht). Oder die U-Bahn zu benutzen. Ganz normale, zwischenmenschliche Sachen. Aber so übel das auch sein mag: Bei Nick (Zinner, ihrem Gitarristen) ist es doppelt so schlimm. Es ist gut, dass wir uns in verschiedenen Zimmern aufhalten, weil er immer nur im Kreis rumläuft und unartikulierte Laute von sich gibt. Was ist mit dem Mann bloß los?, denk ich mir dann immer. Wenn ich das Mikro erst einmal in die Hand genommen habe, ist die Angst aber normalerweise im Nu verflogen.

Wie hat sich Ihr Gesangsstil entwickelt? Es gibt niemanden, der so singt wie Sie.

Zwei Gründe: Die Sänger, die ich anfangs imitierte, hatten alle seltsame, schrille Stimmen – wie Neil Young oder Jeff Mangum von Neutral Milk Hotel. Wenn man zum ersten Mal Neil Young hört, denkt man sich: Wirklich? Und dieser Typ ist angesagt? Ich selbst hab von Natur aus eine ungewöhnliche Stimme, also dachte ich mir: Solange ich mir die Seele aus dem Leib schreie, kann ich das genauso gut wie diese Typen. Zum Zweiten sang ich anfangs durch ein Spielzeug-Megafon, das drei verschiedene Einstellungen hatte: Eine klang völlig verzerrt, die zweite wie ein extraterrestrisches Wesen und die dritte wie der Teufel persönlich. Irgendwann kam ich an den Punkt, wo ich das Megafon wegwarf und die gleichen Effekte nur mit meiner Stimme zu erzeugen versuchte.

Sie wurden in Südkorea geboren, Ihre Mutter ist Koreanerin. Haben Sie das Phänomen Psy mit besonderem Interesse verfolgt?

Mein Vater schickte mir schon letztes Jahr einen Link zu „Gangnam Style“ – und ich war so überwältigt, dass ich heulen musste. Ich war gerade auf dem Sprung nach Korea, um meinem Großvater die letzte Ehre zu erweisen, der gerade gestorben war. Ich habe ausgesprochen positive Erinnerungen an Seoul und Korea, weil ich mich mit meinen Großeltern bestens verstand.

Es gab viele Leute, die eher vor Lachen Tränen in den Augen hatten, aber bei Ihnen war’s wohl wirklich so etwas wie Stolz.

Ja, ganz sentimentaler Stolz. Als halb koreanisches Mädchen, das in New Jersey aufwuchs, wollte ich mich natürlich meiner Umgebung anpassen und als weißes Mädchen gelten. Aber gleichzeitig war da auch das Gefühl, als Halbblut etwas Besonderes zu sein. Ich hab lange darauf gewartet, dass Südkorea so etwas wie eine kulturelle Relevanz bekommt, und inzwischen scheint das tatsächlich der Fall zu sein.

Sie erwähnten einmal, dass Sie als Kind ein „weltfremder Dussel“ gewesen seien. Wenn wir uns die zwölfjährige Karen O vorstellen könnten: Was würden wir sehen?

Ach Gottchen. Wir sähen ein Mädchen mit Akne, Zahnspange und einer Dauerwelle. Es war einfach eine schlimme Phase. Ich war definitiv ein hässliches Entlein, aber ich war selbstbewusst, immer gut drauf und nie in der Defensive. Ich liebte die „Rocky Horror Picture Show“. Zusammen mit ein paar Freunden verkleidete ich mich als Transvestit und spielte die Szenen nach.

Sie haben kürzlich geheiratet. Wie darf man sich Ihre Hochzeit vorstellen?

Mein Mann und ich machten einfach die Biege. Einen Monat später schmissen wir dann eine große Party im „Russian Tea Room“ in New York.

Was für Musik wurde gespielt? Band oder DJ?

Wir hatten eine Allstar-Indie-Band. Ich sang „Empire State Of Mind“.

Sie sind seit Kurzem eine Blondine. Was löste die Metamorphose aus?

Die Wahl der Frisur ist eine wichtige Entscheidung – und ich hab mir darüber monatelang täglich den Kopf zerbrochen. (lacht) Ich hab mit Mode nichts am Hut, aber sehr wohl mit Style. Ich bin jetzt seit 13 Jahren in der Band – und der Schritt zur Wasserstoffblondine gab mir die Möglichkeit, viel von meinem bisherigen Image über Bord zu werfen. Glauben Sie mir: Mein Kopf kreist ständig um dieses Thema, auch um die Frage, wann ich wieder zu meiner angestammten Haarfarbe zurückkehren sollte.

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