Im Banne des Maestros mit der Peitsche

Eine schmale Wendeltreppe fuhrt in die erste Etage zum Hotel „Askanischer Hof“ am Berliner Kurfürstendamm, enge, verwinkelte Gänge dann zu Räumen, in denen die Zeit seit mindestens 40 Jahren stehengeblieben zu sein scheint. Man ist versucht zu erwarten, an der nächsten Ecke Heinz Drache oder Eddi Arent zu begegnen. Die Tür am Ende des Flures öflnet dann der Komponist Peter Thomas, dessen Musik den meisten vor allem aus Edgar-Wallace-Filmen und der Jerry-Cotton-Reihe in den 60er Jahren bekannt ist. Sein fast schon vergessener Avantgardismus, meist mit Bläsern und Orgel eine so stilvolle und sinnliche wie spannende und spaßige Atmosphäre zu kreieren, wird immer mehr von jungen Musikern aufgegriffen, seit seine Melodien zu der Serie „Raumpatrouille“ wiederveröffendicht wurden. Mit „Moonflowers & Mini-skirts“ veröffentlicht das Label Marina nun Songs, die ihn und sein Sound-Orchester mit Swing, Soul, Jazz und Funk als elegante Klangfuturisten ausweisen. Mit seiner mondänen Gattin Cordy lebt der Berliner heute in Lugano, Saint Tropez oder auf seinem Hof in Kitzbühel.

Herr Thomas, wann waren Sie das letzte Mal im Kino?

Das ist lange her… „Schindlers Liste“?! Ich mag Kino nicht so sehr.

Mögen Sie nicht den Kinobesuch oder auch keine Filme?

Früher war jeder Film ein Erlebnis. Man hat sich gut angezogen, ist ausgegangen. Und man konnte jeden Film im Original sehen. Heute stehen nur noch die Pariser in irren Warteschlangen eine halbe Stunde oder länger an der Kinokasse. Die Deutschen sind ja nicht so enthusiastisch.

Sicher hatten Sie auch nicht daran gedacht, mal Filmkomponist zu werden?

Ich hatte zuvor mit drei, vier Musikern in wechselnden Besetzungen jede Woche eine Kultursendung im Radio live begleitet. Vom Hubschrauber bis zu der Müllabfuhr wurde alles imitiert, mit Tuba und Vibraphon, einer mußte summen. Einmal gab es eine Sendung, als Thomas Mann gestorben war, und „König Hirsch“ von Hentschel hatte Premiere. Für die beiden Themen sollte ich eine Überleitung schreiben, anderthalb Minuten lang. Am Tag davor habe ich mir anderthalb Stunden „König Hirsch“ angehört und dazu Mann gelesen. In diesen Sendungen kam ich mir vor wie ein Tänzer auf dem Drahtseil, erlangte so aber eine irre Routine. Eines Tages wurde ich dann gefragt, ob ich auch Filmmusik schreiben könnte. JawolL antwortete ich, dazu brauche ich aber ein Symphonieorchester. So habe ich mit den Orchestern der jeweiligen Sender Dokumentarfilme über Israel und solche Themen begleitet.

Schließlich komponierten Sie für die Edgar-Wallace-Filme und Jerry-Cotton-Reihe. Ihre Musik war meist das beste an diesen kolportagehaften Streifen.

Da war man als Komponist ein Gebrauchsmusikschreiber. Aber ich hatte die Chance, für solche Unternehmen umzusetzen, was mir gefiel. Und es hat ja auch in diese Zeit gepaßt. Es gibt eine Ansicht, die besagt: Die beste Filmmusik sei die, die man nicht hört. Das ist absoluter Quatsch. „Der unheimliche Mönch“ beispielsweise war völlig lahm, ein Blödgängerfilm. Also nahm ich zwei Orgeln und vier Posaunen und plötzlich ging der Film hervorragend, der peitsche richtig voran. Man kann mit Musik viel machen.

Manche Ihrer Stücke aus diesen Filmen funktionierten ja wie Songs.

Ich hatte immer das Glück, daß die Regisseure oder Produzenten sagten: Für den Film ist es ja gut, aber zum Hören… Und nun kommt das Wunder, daß heute meine Musik losgelöst vom Film gehört wird.

Ihre Musik ist schwer in ein Genre einzuordnen. Wie nannte man sie damals?

Ich sag immer, es sind übersteigerte Harmonien. Ich habe versucht, Klangkombinationen zu schaffen. Die meisten Lieder kann man mit drei, vier Akkorden auf einer Gitarre spielen. Lieder, die ins Ohr gehen sollen, besitzen also einen ziemlich normalen Ablauf. Diese traditionell vorgegebene Liedhaftigkeit habe ich aufgebrochen. Für einen Durbridge-Fernsehfilm etwa habe ich die Baßgitarre die Musik machen lassen. Alle sagten, wie könne denn das anders gehen, als es üblich ist.

Und deshalb werden Sie ein „musical madman & daring sound innovator extraordinaire“ genannt, oder wie der Filmmusikrezensentjohn Bender im Booklet zu „Moonflowers&Miniskirts“schreibt: Nur Peter Thomas könne „crazy and bold enough „sein, eine Melodie aus Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ zu „exploitative sexadelia“ zu verbinden?

Ich war immer Avantgarde, ohne es zu wissen; ein bizarr denkender, exaltierter Harmoniker. Und kurioserweise wird meine Musik noch heute nicht als konventionell betrachtet.

Ab unkonventionell gelten auch viele der Musiker, die heute Ihre Musik wiederentdecken und sampeln.

Genau. Ich gebe ihnen die Komponente des alten Wissens vor, sie die moderne Technik dazu.

Aufgrund dieses alten Wissens sprechen manche über Sie wohl auch klassisch als „der Orchesterleiter“.

Ich habe Musik noch studiert. Jeder Ton ist niedergeschrieben, sonst gäbe es diese Musik nicht. Das erstaunt vielleicht. Denn viele Kids kennen heute kaum noch die einzelnen Instrumente, können nicht mal Noten lesen. Dabei sind sie neben der Schrift der größte Kulturschatz der Menschheit.

Das klingt kulturpessimistisch.

Nein! Ich finde es toll, was Musiker heute machen. Nur die Jungen können die Musik revolutionieren. Sie greifen zu den Mitteln, die sie beherrschen, finden eine Form und knackern los…

Indem sie immer häufiger Klänge aus dem Computer arrangieren oder vorher einprogrammierte Melodien variieren.

Manche spielen Musik, andere den Beleidigten. Auch wenn die modernen Apparate es selbst dem größten Dilettanten ermöglichen, Musik zu produzieren, ist das eine tolle Sache. Wenn allerdings nichts vom Kopf in die Tastatur fließt, nützt der klügste Apparat nichts. Man muß einen Einfall zur Tonfolge formen. Eine minimale Harmonik nur – heute scheint ja keine Zeit mehr zu sein für die langen Melodien -reicht, denn in Discotheken bewegt sich alles nur auf einer Harmonie. Zu 25 Prozent entstehen so tolle, revolutionäre Dinge. Der Rest ist nach meiner Meinung nicht hörbat Das trifft sicherlich auf jede Musik-Generation zu.

Das stimmt. So wie die Musik stets von jungen Verrückten vorangebracht wurde. In meiner Rhythmusgruppe haben immer junge Musiker gespielt, weil die den unbedarften, knakkigen Elan haben. Und die Bands, die auf dem nächsten Projekt „Warp Back To Earth“ spielen, machen mit meiner Musik das, was meine Rhythmusgruppe gemacht hat High Lamas, Momus, Stereo Total, Saint Etienne, Stereolab, Yoshinori Sunahara. Oder hier, Tortoise, über die hab‘ ich mal eine Kritik geschrieben. Das sind gute Leute, die können das. Dann gibt es ja die Herren Kruder & Dorfmeister als Erfinder des Drum’n’Bass oder wie man das nennt. Die vielen Titulierungen sind verwirrend. Naja, in zehn Jahren sieht man, was übriggeblieben ist.

Wie erklären Sie sich, daß Ihre Musik nach so langer Zeit wieder populär ist.

Weil ich ’n Liver bin und trotzdem irgendwie elektronisch klinge. Das Livespiel ist der eigentliche Akt der Musik. Daher sampeln mich all die Bands. Das kann man an keinem Computer nachmachen. Ich glaube, die Zukunft wird mit dem Knackerberger aus Computern als Basis…

Knackerberger?

Knack, also wenn es losgeht…

Der Baß?

Die Basis, die Basis. Die ist derart perfekt heute, das kann man live auch mit noch so gutem Schlagzeuger nicht derart präsent aufnehmen. Analog würde das übersteuern und alles andere erschlagen. Aber mit der heutigen Drum-Technik, den Loops oder was auch immer kann man die Basis so aufnehmen, daß sie ganz vorne ist und sie trotzdem mit Live-Sachen kombinieren. Dann ist es Futura, dann geht es weiter. Die Symbiose aus Plastik-Musik und natureller Musik, das ist die Zukunft.

Zumal viele Ihrer Stücke auch noch ungemein tanzbar sind.

Ich tanze nicht Gute Komponisten, glaube ich, können nicht tanzen.

Haben Sie ein komisches Talent?

Ich mache Musik mit lächelndem Herzen. Sehr poetisch, (lächelt) Ist mir gerade eingefallen, aber es ist wahr, ist wahr. Ich schreibe Musik bewußt und mit dem Wunsch, Humor zu erzeugen. Die Klassik ist so furchtbar ernst. Ein Orchester sollte uns zum Lächeln bringen. Mit mangelnder Ernsthaftigkeit hat das nichts zu tun. Der Ernst der Sache bleibt, aber man sollte diese Dinge etwas heiterer darstellen.

So wie die Wallace-filme?

Ach, diese Filme und die Jerry-Cotton-Sachen kleben an mir wie Jugendsünden . Ich denke stets an morgen.

Gab es die Musik daraus damals auf Platte, so wie heutige Soundtracks?

In Deutschland war das nicht angesagt Sehr erfolgreich war dann allerdings die „Raumpatrouille“. Und als nach 30 Jahren die Firma Phillips die Platten nicht mehr wollte, weil das ein alter Hut sei, hat Bunglow sie genommen. Eine junge Firma. Die veröffentlichten das auch in England. Eines Tages rief jemand an und sagte: „Tach, ich heiße Jarvis Cocker.“ Es waren gerade zwei Mädchen zu Besuch, und die brachen zusammen, als sie diesen Namen hörten. Jarvis! „Sind sie der Sohn von Thomas?“, fragte er, und ich antwortete: „Nein, ich bin der Vater.“ Das wollte er nicht glauben und sagte, er habe auf der Cassette eines Musikers einen Song gehört. Er spielte ihn mir vor. Es war „Bolereo On The Moon Rocks“. Ja, sagte ich, der ist von mir. Er benutzte ihn dann für „This Is Hardcore“.

Gefällt Ihnen die Musik von Pulp? Sie sind ja Meister großer Melodien.

Ja, toll, gefallt mir, gefallt mir.

Und Jarvis kann auch nicht tanzen.

Sehen Sie! Und nächstes Jahr will ich seine Platte neu aufnehmen.

Hat Donna Summer auch angerufen? Auf „Moonflowers & Mini-skirts“ singt sie ja ein Stück von Ihnen.

Damals hieß sie noch Donna Gaines und war Chormädchen. Olaf Kubier, mein Saxophonist, kam zu mir und behauptete: „Hör dir Donna mal an, die bringt’s.“ So hat sie ihren ersten Song aufgenommen, der dann im TV-Krimi „11 Uhr 20“ lief.

Sogar Senta Berger entpuppt sich als berückende Sängerin.

Wunderbar, so unbedarft. Und sie war überhaupt nicht zickig. Dabei bin ich musikalisch ein Diktator. Man sollte gespannt die Noten lesen, so spielen, wie es der Peter Thomas will, lachen und nicht fragen, wann es zu Ende ist Pause ist wenn ich müde bin.

Sind Sie Ihren Kollegen Morricone und Mancini begegnet?

Drei, vier mal. Mancini ist für mich immer der ganz Große gewesen. Vielleicht wäre ich in Amerika auch so groß geworden, oder ganz anders. In Deutschland durfte ich experimentieren, obwohl es pro Edgar-Wallace-Film nur 8000 Mark gab. Für 60 Minuten Musik in zwei Tagen mit zehn Musikern.

Da hat James Homer für seinen „Titanic“ -Soundtrack ungleich mehr kassiert.

Gewiß ein toller Erfolg, nachvollziehen kann ich es nicht „My Heart Will Go On“ ist schon gut, aber kein genialer Wurf. Ich habe den Film nicht gesehen und glaube doch, daß der Song alleine nicht diesen Erfolg gehabt hätte. Wichtig ist nur, daß Film und Musik eine Einheit ergeben.

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