Im Land des Lächelns

Kühle Blicke aus blauen Augen waren das Einzige, das die Sängerin und Songschreiberin der Band Ideal lange preisgab. Heute ist sie als Produzentin sehr erfolgreich, um einiges entspannter und doch etwas einsam. Für Christa Ritter, die als eine von fünf Frauen im „Harem" des Ex-Kommunarden Rainer Langhans lebt, resümiert sie nun ihren Lebens- und Karriereweg, der eine ebenso kreative wie schmerzhafte Emanzipations-Geschichte zweier ungleicher Schwestern ist: Notizen aus der Seele einer willensstarken, einst unnahbaren NDW-Ikone.

Sie sah mich aus dem TV ohne Faxen an. Trotzig, bare, nichts VerDincuicnes – coole Anmache. Als starker Mittelpunkt in der Band Ideal brachte sie lakonisch-trocken Ende der 70er Jahre zum Beispiel „Deine blauen Augen machen mich so sentimental“ rüber. Als erstes deutsches „Mädchen“ mit Pop-Musik: die Neue Deutsche Pfeile. Und mit einem Riesenerfolg von drei Alben, die sich zusammen 1,5 Millionen mal verkauften. Die Herbe produzierte ein paar Jahre später fast NDW-persiflierendkitschig die DÖF (Deutsch-Österreichische Freundschaft), und ihre strahlend lächernde Schwester Inga sang von der Blumenschaukel: „Kodo, ich düse, düse im Sauseschritt und bring‘ die Liebe mit.“

Nach der DÖF-Zeit hat Anette es mit Inga noch mal versucht. Das lief nur nicht mehr ganz so gut und hieß: „Humpe & Humpe“ und „Smmming fVitk Sharks“. Trotz ihrer Erfolge war bei Anette noch immer kein Anflug eines Lächelns zu entdecken. Warum so trotzig? Später las ich: Anette wechselt entschieden zwischen vor und hinter der Kamera. Die zweite Runde dreht sie inzwischen mit Auszeichnung (’95 der „Echo“-Award für die erfolgreichste Musik-Produzentin) als Selbständige und kümmert sich seit Jahren erfolgreich um den Nachwuchs in den Charts. Und nun auch um den eigenen, denn mit späten 42 bekam sie ihr erstes und einziges Kind, einen Sohn. Das Heiraten hatte sie vermeiden können. Ihr jüngstes Musik-Kind erblickte soeben die Welt: Abiturienten aus Berlin, die HipHop-Gruppe Die Allianz.

Als ich sie anrief, kein Zögern oder verstecktes Nörgeln, sondern forsch:

„Mir geht es zum ersten Mal rundum gut. Eigendich fehlt mir nichts.“ Sie hat es also geschafft: die neue Klassik, also Karriere, Kreativität und Kind. Kein Verzicht auf nichts? Einige Sätze später dann ein kleines Stolpern: „Über euch ist ein Buch herausgekommen?“ Sie wolle es lesen, unbedingt: Wie man zu fünf Frauen mit einem Mann als virtueller Harem lebt. Fast 25 Jahre lang. Und als wir uns dann in ihren offenen Zimmerfluchten (viel Licht, viel Sonne und Altbau mit Garten, wenig Möbel) im schönsten Hamburg am langen Holztisch bei Salat und Erdbeeren anstrahlten, war dieses alte Trotzige für einen Augenblick weg. „Ich zieh zu euch,“ verkündete sie ohne Federlesen. „Ich lebe allein nicht, möchte irgendwie doch mit anderen…“

„Ich bin vorbelastet, aus einem Frauenhaus“: Anette reißt die Augen aufblau, groß, offen, und ich muss lachen. Der Harem… „Meine Mutter, meine Schwester, meine Oma und ich. Mein Vater war dazugezogen, stand weich in der Ecke.“ Die Eltern kümmerten sich vor allem um die Konditorei. Nebenbei machten beide Musik, ihre Mutter als Organistin in der Kirche. „Mit meiner Oma habe ich 16 Jahre lang im Ehebett geschlafen.“ Die war deutschdepressiv, nach dem Motto: „Wenn’s einem gut geht, muss man teuer dafür bezahlen. Und ich gebe nichts. Lieber bleib ich arm.“ Anette war ein schwieriges Kind, war vielleicht als Älteste ersatzmännlich und zu vernünftig. Ihr Vater sorgte sich: „So kriegst du nie einen Mann!“ Wozu brauche ich denn einen, trotzte Anette dagegen an. „Kann ich alles selber, ihr Blödmänner!“

Was war das Problem? „Mein eigener Wille. Ich wollte nichts Schönes

anziehen, weil ich mich sowieso nicht leiden konnte.“ Sie sah das als ein Zugeständnis an diese traurige, alte Oma. „In meinem Kopf hieß es immer: Will ich nicht, find ich blöd, ist doch doof. Ich war knurrig und schlecht gelaunt.“ Sie war dann nach fünf Jahren nicht mehr allein: Inga, eine Schwester. Sie überlebten die Provinz mit Klavierspielen. „Die Hitparade rauf und runter, anfangs vor allem die Beatles.“ Dabei stellten sie sich vor, wie sie später Paul McCartney heiraten. „Aber mindestens so schön wie Paul fand ich Rudi Dutschke.“ Sie war richtig verknallt in ihn und fand: ein Popstar. „Diese Haare, das Feuer im Blick.“ Anette sah ihn sexy. „Zuhause wurde ich deshalb verarscht Mein Vater rief: ,Da ist dein Freund im Fernsehen, komm mal, der Rudi.'“ Immer mit demselben gestreiften Strickpullover…

Anette und Inga gründeten eine eigene Band und spielten auf Familienfesten. „Ich wurde ein richtig sperriger Teenager.“ Die Schwester dagegen eine strahlende Süße. „Inga stand da mit ihren roten Locken und freute sich. Alle wollten sie umarmen.“ Je schöner die kleine Schwester, umso schlechter die Laune der Alteren. „Ich hatte verkniffene Zöpfe und vorstehende Zähne.“ Sperrig vs. knuddelig, ein viel zu enges RollenspieL „Meine Klassenkameradinnen waren schnell verliebt, geküsst und verlobt, und ich war das alles nicht. Auch meine Schwester kenne ich nur in Begleitung.“ Ihre Rettung war die Erotik ihrer musikalischen Begabung: „Meine Idee war: Irgendwann muss mich ein ganz berühmter Musiker heiraten, und heimlich schreibe ich ihm seine Lieder. Gott sei Dank hat mich keiner geheiratet.“ Anette spöttisch: „Erst später dämmerte mir, dass ich selber ein Star werden könnte.“

Ihrer Mutter zuliebe begann sie 71 in Köln ihr Musikstudium. Klavier, klassische Musik. Und die Schwester studierte nebenan Schauspielerei in der Max-Reinhardt-Schule. Die Schwester hatte Freunde, Anette hatte „die Pest“. Dachte sie. „Bis ich mit 21 meine Jungfräulichkeit an einen Musikprofessor verlor.“ Ein tiefer Seufzer. „Ein Schlauer sollte es schon sein.“ Sie verzieht das Gesicht. „Dann brachen wir beide alles ab, gingen nach Berlin und spielten in Bands.“ Für das WG-Zimmer, Pizza und Pommes kellnerte sie und gab unmusikalischen Kindern Klavierunterricht. „Das war mir lieber, als zum Beispiel regelmäßig als Lehrerin aufzutreten.“ Von einer Band zur nächsten – offensichtlich atemlos – sechs Jahre lang. Darunter Pink Wave: lauter Transvestiten, Anette die einzige Frau. Sie amüsiert sich: „Das war typisch. Jeder Transi dort war weiblicher als ich. Ich saß da wieder als der Mann™“ Später hieß sie mit Inga Neonbabies: Die Neue Deutsche Welle lief gerade ganz langsam an. Irgendwann war es so weit Der richtige Mann aus der Branche saß vor der Bühne, ein „verschissener Vertrag, der uns über den Tisch zog“ als Lehrgeld musste sein – und das erste Ideal-Album (ohne Inga) entstand. „Nach sieben Jahren Üben hätte ich alles unterzeichnet, nur um eine Platte zu machen. Endlich eine Trophäe für’n Sims™“ Die war aus Platin: Eine Million mal hat sich das Album mit Songs wie“Ich steh auf Berlin“, „Hundsgemein“ und eben „Blaue Augen“ verkauft. Sie war eben Power. „Damals war die Zeit für meine spröde Ausstrahlung reif.“ Mädchen mussten damals grimmig schauen, wenn die Tür aufgehen sollte.

„Ich kam dann auf viele Titelbilder, konnte damit aber schlecht umgehen“, sagt Anette. Sie schämte sich für den Erfolg, als hätte sie dafür nichts Wirkliches getan. „Geld und Wichtigsein, damit kam ich nicht klar. Ich sah es als Zwang in meinem Leben.“ Zum Beispiel vor der Fernsehkamera., Jch fand schon damals Fernsehen unterirdisch beknackt.“ Auftritte als Promotion verursachten ihr körperliche Schmerzen. Wo blieb der Spaß? „Mehr am Herstellen der Musik, Stücke schreiben, Studioarbeit oder live. Ich fand mich nicht schön und deshalb störte jede Kamera.“ Bis heute… sie liebt sich nicht? „Natürlich wollte ich auch das, was Inga spielte, sie auch meins.“ Die Schwestern zerrissen sich in Streits und elendem Gezänk., Jch bin nicht nur Birne und Macher, sie ist nicht nur Schnuckelhase. Sie war ja nicht blöd, schrieb gute Songs.“ Das Ergänzende der beiden wurde immer mehr zum eigenen Klotz am Bein. “ Es gab ja auch Leute, die mich gerne anguckten.“ Die Schwesternpower zeigte Fratze. Trennung? „Das tat uns beiden weh: loszulassen. Nicht mehr Klammern: Du bist meine Schwester und gehörst mir. Oder wie Inga es sagen würde: Du versprichst mir die große Schwester, machst dann aber die Mutter und das schlecht.“ Ihnen wurde klar: Jede musste anfangen, ihr eigenes Leben zu erfinden.

Inga zog in Berlin mit einem Freund zusammen, Anette zog nach Hamburg. Die Distanz tat ihnen gut. „Wir konnten endlich über vieles ruhiger reden.“ Und die Schmerzen machten sie weicher. Oder konnten sie jetzt manches nur besser übersehen? Anette brachte die nächste Platte allein heraus: „Solo“. Sie sagt: „Heute gibt’s keine Eifersucht mehr, nur Liebe, alles vom Feinsten.“ Die Schwester wurde zur besten Freundin? Kann das stimmen? „Wenn sie jetzt aus Bangkok anriefe, würde ich meinen Sohn zu Bekannten bringen und ins Flugzeug springen.“ Inga macht inzwischen Filmmusik in Berlin. Jeden zweiten Tag telefonieren wir. Sie weiß von mir alle Geheimnisse, kennt auch meine Stinkeseite und liebt mich trotzdem. Sie ist, Gott sei Dank, auch meine schärfste Kritikerin.“

„Im Gegensatz zu Inga hatte ich, was Männer betrifft, oft lange Durststrekken.“ Denn sie wollte auch niemanden ganz nah an sich heranlassen. Anette lakonisch: „Es gab auch niemanden, der mich mit Rosen beworfen hätte.“ Sie habe sich nie vorstellen können, zu Füßen eines Typs zu sitzen, der ihr erzählt, was sie machen soll. Keinen Ehemann: Morgen gibt’s Nudeln, übermorgen Mallorca.« Sie sei sicher: Ein kluger, gar ein weiser Mann wolle das auch nicht. Aber: Hochfahrendes hat seinen Preis. Anette fühlt sich nie gut genug. „Vbr allem den Ehrgeiz, das Verbissene von mir möchte ich loswerden.“ Auch deshalb meditiert sie manchmal, flog mal zu einem Retreat nach Indien, macht Therapien. „Aber für dies angestrengte Gestrampel hat meine Psychogruppe bisher nur Mitleid.“

Sie sagt: Die Verletzung von Eltern und Lehrern, die nicht an sie glaubten, von Männern, die sie übersahen, hat sie stets in die Musik gepackt. Ihr „Solo „-Album geriet aber viel zu depressiv, die leichtfüßigen Achtziger wollten anders unterhalten werden: „Nur mir gefiel das gut.“ Das Album floppte. Sie versuchte sich mit Freunden am eigenen Plattenlabel ACT. Flop. Die dazugehörigen Freundschaften – Flop. „Mit 40 wusste ich, ich bin nicht Tina Turner und will auch keine Hildegard Knef werden.“ Ein Macht- und Egoverlust suchte sie heim., Jch spürte schon lange, dass mein Platz eigentlich nicht in der ersten Reihe ist.“ Anette fiel in ein tiefes, schwarzes Loch und kam als selbständige Musikproduzentin an der anderen Seite langsam wieder raus.

Wie arbeitet sie? Geldgeber ist eine Plattenfirma, Anette ist sozusagen der Regisseur des Interpreten und seines Produkts., Jch visualisiere akustisch die Musik und mache ein Konzept.“ Mal bietet sie das einer Firma an, oder die kommt zu ihr. „Ich glaube, ich weiß wie Gruppen und ihr Sound funktionieren und habe ein gutes Gefühl für das, was läuft.“ Nur die nötige Magie sei unberechenbar. Trotzdem eine hohe Trefferquote. Deshalb geht sie von Anfang an ins Risiko. „Ich pokere gerne.“ Heißt: Sie arbeitet zunächst fast

kostenlos, bekommt aber beim Erfolg statt Honorar eine hohe Beteiligung pro Tonträger. „Davon habe ich inzwischen insgesamt sechs Millionen verkauft und bei der Gema 120 Titel laufen.“ Rio Reiser („König von Deutschland“/“Über Alles“), vier Alben mit den Prinzen, Lucilectric, Nena (Jamma nicht“ co-produziert)_ Viel auf dem Konto? „Entspannend…“

Für die Spätzünderin passte es wie die Faust aufs Auge, als sich erst mit 41 Anton ankündigte. Sie wollte ja eine allein Erziehende sein: „Ich habe immer alles selbst verdient und mich in meiner Selbstständigkeit eingerichtet. Ich kann mir nicht vorstellen, sie je aufzugeben.“ Inzwischen ist Anton sechs Jahre alt, geht in die Schule und ist ihr wichtiger als jede Produktion. „Er ist mein größter Hit. Keine Platte gibt mir einen Kuss.“ Daß sie inzwischen nach einer Art gleichgesinnter Family sucht, mit der sie in einer kreativen Nähe leben möchte, hat auch mit Anton zu tun. „Damit sich mein Einfluss auf ihn relativiert und ich auch von anderen Feedback und Hilfe bekomme. Wie ist das in München bei euch?“

„Ich bin eine Gelegenheits-Meditiererin“, sagt die milde Raucherin. Sie steht um Viertel vor sieben auf, Anton geht in die Schule. Dann in Ruhe Tageszeitung und Kaffee. Danach per Fahrrad ins Fitness-Center: „Manchmal Zappelkursus, immer 30 Minuten Bergsteigen bis das Wasser läuft, Gewichtheben für die Arme und einen Saunadurchgang.“ Auf dem Rückweg einkaufen. „Und um elf sitze ich wieder bei mir, führe Business-Telefonate und was sonst anliegt.“ Gegen ein Uhr kommt Anton und sie essen zu Mittag, oft Bio-Zeug, nicht unbedingt vegetarisch. „Am Nachmittag ist er eine Weile dran.“ Währenddessen erledigt eine Haushälterin den Rest Wichtig für Anette: Anton lernt das Klavierspielen. „Ich glaube, er wird es mir später danken, dass ich da ein bisschen gedrückt habe.“ Wenn sie eine Musik-Produktion hat, wird nur tagsüber gearbeitet Des Sohnes wegen. Nicht bis in die Nacht rein wie früher.

Erst Karriere, dann Kinder? „Finde ich für Frauen besser“, ist Anette überzeugt „Ich kann mich jetzt endlich entspannen. Zumindest übe ich.“ Hinter ihrer Stirn ein Brett im Kopf: „Relax.“ „Ich möchte meine Musik aus freien Stücken, aus einem inneren Rhythmus machen. Ich muss nicht mehr auf jeder Hochzeit..“ Gleichzeitig fange sie an zu begreifen: Du kannst dich auf gar nichts verlassen. Unruhe ergreife sie. „Außer dass ich sterben muss, gibt es für mich immer weniger Gewissheit.“ Daher taucht schon mal die Frage auf: Wie wird man in Würde alt? „Wisst ihr da was?“ Sie will bald kommen. „Oder ihr. Ich biete gern drei Gästebetten.“ Anette weiter, eher skeptisch: „Durch meine Arbeit bin ich ja in ziemlich jungen Klamotten unterwegs.“ Andererseits möchte sie sich nicht verstellen. „Aufs Make-up achten und die Falten zählen, welche Anstrengung!“ Sie bemerkt kleine Veränderungen: Heute kommen die Dinge auf sie zu, wenn sie es schafft, sich zu entspannen. Immer. „Aber wenn ich hinterherwetze, verschwindet es am Horizont.“ Sie hätte große Lust, ein Buch zu schreiben. Geschichten aus Herdecke bei Hagen, von Mädchen voller Musik, die sich aus der Provinz aufmachen. Dazu die zeittypischen Songs bis ins Jahr 2000. „Ich habe sie alle mit den Geschichten in meinen Knochen gespeichert“ Dazu Figuren, die den Rahmen sprengen. „Wfeil ich mich auch über die Sprache definiere.“ Die deutsche. „Sonst wäre ich lieber Italienerin.“ Daher der Wunsch nach der größeren Familie?, Ja, ich will noch was lernen,“ sagt sie eher trotzig, „kein gemütliches Altenteil. Oder?“

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