Im Namen des Vaters

16 Jahre nach dem Debüt seiner Band The Wallflowers verzichtet Jakob Dylan erstmals auf jede Mimikry und veröffentlicht ein Soloalbum

Wenn man ihn mit Altersgenossen vergleicht, die mit ähnlich schwerer Bürde beladen waren, hat Jakob Dylan seine Musikerkarriere bis jetzt eigentlich ganz gut gemeistert. Und dabei wollte er eigentlich gar nicht unbedingt ein Songwriter werden wie sein Vater. Aber er war halt der Einzige in seinem Freundeskreis, der ziemlich genau wusste, wie ein Song zu klingen hat. „Ich wusste immer, dass ich sowas schreiben kann“, meint der 38-Jährige. „Und es hat mich erstaunt, dass ich Leute traf, die einfach rein melodisch nicht wussten, wie ein Song sich bewegen sollte.“

Er war da natürlich privilegiert, hatte er doch vermutlich schon vor seinem ersten Schultag mehr über den amerikanischen Song vergessen, als die meisten Leute jemals wissen werden. Doch ein solches Wissen kann natürlich auch einschüchtern. „Selbst als mir klar war, dass ich ein ernsthafter Songwriter werden wollte, habe ich es lange vor mir hergeschoben, wirklich damit anzufangen“, pflichtet er bei. „Einfach weil ich wusste, dass ich mit den Songs von Hank Williams, Jimmie Rodgers und all der anderen Leuten, die ich durch meinen Vater kannte, niemals würde mithalten können.“

Ein Song, den er über einen Penner schrieb, der den Hauseingang auf der gegenüberliegenden Straßenseite seines ersten Zimmers in New York bewohnte, war schließlich für ihn der kreative Durchbruch: „6th Avenue Heartache“. Der Plattenfirma gefiel der Song allerdings nicht, als er ihn bei den Aufnahmen zum Debüt seiner Band The Wallflowers vorspielte. So landete er dann fünf Jahre später auf dem zweiten Album der Band: „Bringing Down The Horse“, das durch Singles wie „One Headlight“ und eben „6th Avenue Heartache“ schließlich zum Welterfolg wurde. Produziert hat das Album ein Freund der Familie: T Bone Burnett, der damals gerade erst anfing, sich einen Ruf als Produzent zu erwerben. „T Bone hat mir sicherlich geholfen, mich als Songwriter zu emanzipieren“, meint Dylan rückblickend. „Ich habe ihm einfach meine Songs vorgespielt und auf seine Reaktion geachtet. Wenn seine Augen zu leuchten begannen, wusste ich: Das ist ein gutes Stück. Es kam nie so sehr darauf an, worüber wir sprachen und was er mir alles an interessanten Dingen über Musik erzählen konnte. Es waren einzig seine Augen, die zählten.“

Fast ein Jahrzehnt und einige eher mittelmäßige Wallflowers-Alben später war es wieder Burnett, der den jungen Dylan zu einem neuen Karrieresprung motivierte. „Er bat mich, ihn auf einer Tour im Vorprogramm zu begleiten“, erzählt Dylan. „Solo. Nur mit einer Gitarre. Ich hatte das noch nie gemacht. Aber da er ein guter Freund ist, habe ich zugesagt.“ Diese Auftritte führten Dylan zu neuen Einsichten. „Einige meiner Songs lösten sich einfach in Luft auf, wenn sie nicht von einer lauten Band begleitet wurden‘, so Dylan. Er sei nicht besonders frustriert gewesen über diese Einsicht, doch sie habe seinen Ehrgeiz befördert. ,Jeder, der ernsthaft Songs schreibt, wird irgendwann an den Punkt kommen, an dem er sich dieser Herausforderung stellen muss: Kann ich einen vierminütigen Song schreiben, der kein Schlagzeug und keine lauten Gitarren braucht?‘ Dass ihn diese Methode — zumal als Columbia recording artist und ohne den Decknamen einer Band – in die Nähe seines Vaters rückt, ist ihm natürlich klar. „Wenn du mich fragst, ob ich mir der Tradition bewusst bin, in die ich mich stelle — natürlich. Wenn du meine Songs allerdings mit denen meines Vaters vergleichen willst — das ist reine Zeitverschwendung. Dem Vergleich halten sie nicht stand. Aber das gilt auch für die Songs von, sagen wir: Bruce Springsteen.“

Um die Qualität seines Solodebüts zu gewährleisten, ist Dylan auf Nummer sicher gegangen: Er fragte den Schöpfer des neuen Song- und Soundpurismus, Rick Rubin, um Rat. „Der hat sich meine neuen Sachen angehört und gesagt: ,Du machst das genau richtig. Mach weiter so.'“

Wer erwartet hat, durch die intime Songwriter-Pose mehr über den jungen Dylan zu erfahren, dürfte allerdings enttäuscht sein von „Seeing Things“, denn wie der Titel schon nahe legt, geht es hier eher um Beobachtungen als um Introspektion. Es verwundert allerdings schon, dass Dylan, der seit seinem 19. Lebensjahr ohne elterliche Zuschüsse von der Musik lebt, sich für seine Rollenprosa ausgerechnet Farmer und einfache Arbeiter suchte, die eher einem Buch von John Steinbeck oder einem Springsteen-Song entnommen zu sein scheinen als der Gegenwart. „Es interessiert mich nicht, ob meine Songs zeitgemäß sind. Ich schreibe über die Bedingungen des Menschseins – das ist immer relevant. Ich glaube, ein guter Song ist auch in 200 Jahren noch ein guter Song.“ Ein Revolutionär wird aus Jakob Dylan ganz sicher nicht mehr werden.

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