Im Studio mit dem Einstein des Sounds

Bei den Pixies machte er seine Meisterprüfung, dann schuf der Berliner Toningenieur MOSES SCHNEIDER den Klangraum von Seeed, den Beatsteaks – und Tocotronic

Moses Schneider sitzt am Schreibtisch und ist schwer zu erreichen. Zwischen 9.30 und 11.30 Uhr morgens darf das Telefon klingeln, danach liegt der Hörer neben dem Apparat. E-Mails? Eher sporadisch. Ein Handy? Nur für familiäre Notfälle; die Telefonnummer kennt kaum jemand. Der Produzent des aktuellen Tocotronic-Albums „Wie wir leben wollen“ ist dabei weder gestresst noch wirkt er aufgeregt. Im Gegenteil. Er bewegt sich ruhig und gemächlich durch den „Transporterraum“. Eine Art Tonstudio mit Kollektivcharakter an der Schlesischen Straße in Berlin-Kreuzberg.

Größtmögliche Superlative fallen immer wieder im Zusammenhang mit Schneider., ,Spiegel Online“ attestierte ihm bereits 2008 einen „legendären Ruf“. Dabei basiert der Erfolg seiner Arbeit auf einfachen Dingen wie Zusammenspiel und Direktheit. Im Übungsraum der NDW-Band Ideal spielt der Sohn eines Kirchenmusikers mit seiner Punkband Nachdruck 1982 eine erste Split-Single ein. Damals ist er erst 16 – diese Erfahrung muss Eindruck hinterlassen haben. Denn auch heute noch beruht seine Aufnahmetechnik auf dem elementaren Prinzip Proberaum. Und als er Assistent in den legendären Berliner Hansa-Studios ist, beschreibt das Mittendrinsein, der volle Kontakt mit Künstlern Moses‘ Weg ins gelobte Land der Rockmusik. Seine kleine Wohnung in den Studios ist der Grund dafür, dass er fast 24 Stunden am Tag im Einsatz ist. Spät nachts Besorgungen erledigen, Heroinspritzen auf der Toilette wegreinigen: Der Assistent ist für die Drecksarbeit zuständig.

Bis 1988 plötzlich die Pixies mit ihrem Produzenten Gil Norton vor der Tür stehen und kein anderer das Studio bewacht. Schneider bekommt seinen ersten Credit als Engineer des Albums „Bossanova“ für den Song „Blown Away“ und beendet kurze Zeit später seine Ausbildung bei der Hansa. Er arbeitet als Produzent für Bands wie die Shanghai d‘ Guts (Sleaze-Rock aus Hamburg), bis er in finanzielle Nöte gerät und kurze Ausflüge in den Nebenverdienst unternehmen muss.

Das währt aber nicht lange. Schneider macht auf sich aufmerksam durch eine – grob ausgedrückt – leidenschaftliche Herangehensweise., ,Meine Arbeit besteht vor allem aus Psychologie“, sagt Schneider. Über Kontakte und Freunde kann er kostenlos Studiozeit buchen. Wenn eine Band ihre ganze Kohle für eine Produktion verpulvert hat, leider aber noch nicht alle Songs fertig sind, greift man zum roten Telefon und wählt Moses‘ Nummer. So entstehen erste Singles für Major-Labels, Charts-Platzierungen werden erreicht, und kontinuierlich folgen weitere Angebote.

Doch Schneider ist nicht zufrieden. Es fehlen größere Alleinstellungsmerkmale und unabhängigere Arbeitsbedingungen. Zusammen mit Ben Lauber, den er bereits zu Hansa-Zeiten kennenlernt, wird 1996 der „Transporterraum“ gegründet. Heute würde man dieses Konzept flippig als, ,Co-Working Space“ bezeichnen: ein stetig zu einer Familie wachsender Zusammenschluss verschiedener, im Umfeld der Musikproduktion beschäftigter Künstler.

Wie eine große Studenten-WG sieht das aus: Bier, Boxen, unaufgeräumte Schreibtische, kultiviertes Chaos, Tassen, letzte Reste des ungefähr stärksten Kaffees der Stadt und natürlich Zigaretten. Nur Betten fehlen. Die Idee ist, finanziell unabhängig Produzenten und Künstlern, ohne Druck, Raum für Ideen zu geben. Während für die Aufnahmen selbst fremde Studios gebucht werden, finden im „Transporterraum“ Vor- und Nachbereitung statt. Das erspart teure Studiomieten, weil der kreative Prozess verlagert wird. Spezialgebiet der Formation ist roher Sound: Ihre spezielle Art, live zu produzieren, wird mit den Jahren immer weiter verfeinert. Zugunsten des Unerwarteten, um wilden Klängen eine Chance zu geben, muss totale Kontrolle aufgegeben werden. Weniger Zauberei, dafür ein größerer Fokus auf individuelle Verrücktheiten der Musiker.

Das Wichtige ist letztlich das Zusammenspiel. Schneider fängt schon im Proberaum mit seiner Betreuungsarbeit an. Es wird gefeilt und geübt, bis alle Arrangements sitzen. Wo normalerweise jedes Instrument, jede Tonspur einzeln aufgenommen wird, baut Schneider im Studio dann die Ausgangssituation aus dem Proberaum nach. Jeder fühlt sich so wohler. Man hat direkten Kontakt zu seinen Kollegen und schafft eine unvergleichliche, sonst nur live zu spürende Dynamik und Natürlichkeit. Während eine Band zusammen spielt, das Band läuft, wirbelt Moses wie ein Dirigent mit den Armen im Kreis der Musiker., ,Dabei entstehen oft Freundschaften“, erzählte Schneider schon vor fünf Jahren dem ROLLING STONE., ,Man muss auch menschlich harmonieren.“ Dennoch:, ,Die Band hat immer das letzte Wort. Ich überfrachte sie mit Ideen, aber sie muss entscheiden, was sie daraus macht.“

Die Beatsteaks erreichten unter seiner Hand Platin, Seeed schossen durch die Decke, den alten Haudegen von Fehlfarben half er beim letzten Album „Xenophobie“, Ja, Panik! eroberten jedes Kritikers Herz, und Tocotronic vollendeten unter seiner Regie ihre Berlin-Trilogie. Das legendäre Strokes-Album „Is This It“ wurde im „Transporterraum NYC“ aufgenommen. Produzent Gordon Raphael, heute auch Berliner, übernahm das Studiokonzept für Amerika. Er nennt Schneider den „Einstein des Sounds“.

Die Liste ist lang, denn der Idealismus ist groß. Schräge Mythen ranken sich um den Produzenten aus Kreuzberg. Weil er kein Telefon hat, muss man notfalls zu seiner inoffiziellen Sprechstunde erscheinen: In der Kneipe Wiener Blut werden Geschäfte gemacht. Und: Beim Vorhören des neuen Rohmaterials einer Band, deren Qualität und Coolness noch taxiert werden muss, legt sich Moses Schneider in die Mitte des Proberaums und lässt vorspielen. Dabei qualmen Zigaretten und Röhren. Knallen muss es. Tut es das nicht, steht er auf und geht.

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