Interpol live in Berlin: Sklaven des eigenen Back-Katalogs

Bei ihrem Auftritt im Berliner Postbahnhof erinnern Interpol mit vielen Songs aus früheren Tagen daran, dass sie mal eine bessere Band waren – und momentan noch im Festival-Modus feststecken.

Eigentlich kann man einer Band nichts weniger wünschen, als mit einem Debüt-Album den Nerv der Zeit zu treffen. Interpol hatten 2002 mit „Turn On The Bright Lights“ genau das geschafft. Mit Anklängen an den New-Wave-Sound der 1980er-Jahre und geprägt von The Cure und Joy Division hatten Paul Banks, Daniel Kessler, Samuel Fogarino und seinerzeit Carlos Dengler eine düster funkelnde, in depressiver Stimmung verhangene Platte zusammengezimmert, die unter dem Wehklagen des Sängers schneidende Gitarren aufeinander hetzte. Gesungen wurde über Existenzängste und Liebeskummer, Drogenerfahrungen und Einsamkeit – aufgestachelt von einem Klangfetischismus, der sich bis heute als Fluch der New Yorker erweist. Kein Nachfolgewerk der Band konnte an den Erfolg ihres Debüts anknüpfen.

Interpol hatten bereits vor einigen Woche angekündigt, mit „El Pintor“ bald ein neues Album veröffentlichen zu wollen. Dabei war nach dem Abgang von Bassist Carlos „D“ Dengler vor vier Jahren noch nicht einmal klar, ob es jemals wieder eine weitere Platte geben würde. Der Solo-Trip von Sänger Banks unter dem markanten Namen „Julian Plenti“ bestärkte diese Vorstellung sicher noch. Aber was für eine hübsche Anekdote ist das: Aus den Buchstaben des Bandnamens kann man sogleich einen hochgradig künstlerischen Anspruch herleiten, weil sie sich zu einem so bedeutungsschwangeren Anagramm verbiegen lassen. Das spielt aber bei ihrem Live-Auftritt im Berliner Postbahnhof erst einmal keine Rolle. Zwar prangt hinter den Instrumenten als Plakat das Cover von „El Pintor“, doch Interpol beginnen nicht mit einem neuen Song, sondern fangen – zunächst sanft – mit „Say Hello To The Angels“ von ihrer Debüt-LP an, um sogleich „Evil“ von ihrem (formidablen) Zweitwerk „Antics“ hinterherzuschicken.

Das funktioniert prächtig, die Indie-Crowd, im Durchschnitt auch schonweit über dreißig Jahre alt, mitgealtert, tanzt freudig erregt mit, man spielt ja die alten Sachen. Und so geht es auch weiter: „ Hands Away“, „NYC“, „PDA“ von ihrem Erstling und „Narc“, „Take You On A Cruise“ oder „C’Mere“ von ihrer zweiten LP, insgesamt 12 Songs von den ersten beiden Alben. Da drängt sich der Verdacht auf, dass Interpol Sklaven ihres eigenen frühen Back-Katalogs sein könnten, schließlich gibt es aus „ Our Love To Admire“ gar nichts und von ihrer selbstbetitelten vierten Platte nur das allerdings ätherisch eingespielte „Lights“ zu hören.

Und wenn man ehrlich ist, dann wird auch an einem solchen Abend deutlich, dass den New Yorkern nicht viel Besseres mehr einfallen will, die Texte werden zunehmend sentimentaler.

Interpol scheinen nach diversen Open-Air Auftritten zusätzlich noch im Festival-Modus festzustecken, es gelingt ihnen jedenfalls kaum, die Intimität ihrer Songs auch in den kleinen Konzertsaal zurückzuholen. Insgesamt ist der Sound an diesem Abend zuweilen etwas breiig und auch zu laut, das nuancierte Klanginventar kann so kaum ausgespielt werden. Das ist schade, denn Subtilität ist eigentlich die Stärke dieser Gitarren-Virtuosen. Stattdessen schmettern sie „Slow Hands“ und „Not Even Jail“ druckvoll und mit Schweinerock-Attitüde in den Bühnenraum und reichen etwas motivationslos drei Songs von „El Pintor“ hinzu („My Desire,“ „ Anywhere“, „All The Rage Back Home“). Die fallen unter der fiepsenden Feedbackverzerrung ihrer älteren Sachen kaum auf, werden auch nicht eigens angekündigt und vom Publikum eher ignoriert. Banks bedankt sich dafür stets mit einem höflichen „Dankeschön“ und genießt sichtbar, dass seine Texte immer noch fleißig mitgesungen werden können. Ansonsten stellt er seine Bandkollegen mindestens einmal zu oft vor und bleibt meistens ziemlich schweigsam.

Großartig ist diese Band immer dann, wenn es ihr gelingt, die komplexen Soundstrukturen ihrer Alben auch auf die Bühne zu bringen. Vor allem dann, wenn Kessler wie in „Take You On A Cruise“ oder „ PDA“ Räume kriegt, sein präzises Gitarrenspiel mit kurzen Soloeinlagen zu präsentieren oder auch die dringlichen Bass-Salven, die früher Carlos Dengler so unnachahmlich auf die Bühne gebracht hat, der Lead-Gitarre den Weg vorgeben. Aber warum riskieren sie nicht mal einen Ausflug in einen improvisierten Gitarren-Jam? Alles bleibt stets so, wie es gewohnt und auf den Studioalben verewigt ist.

Hübsch flimmert das rot-blau-pupurne Bühnenlicht über die Gesichter der Musiker hinweg, die sich, wie immer in Schwarz gekleidet, angestrengt dazu bewegen. Paul Banks singt zwar nicht mehr so introvertiert in sich hinein wie früher, schaut aber immer noch vor allem auf seine Gitarre.  Als Zusatz gibt es noch einmal Songs von „Turn On The Bright Lights“: „Stella Was A Diver And She Was Always Down“ markiert noch einmal die ganze fiebrige Ernsthaftigkeit dieser Musik, ehe sie von „Obstacle 1“ brechend-laut geschluckt wird.

Setlist

Say Hello to the Angels

Evil

C’mere

My Desire

Hands Away

Not Even Jail

Anywhere

NYC

Narc

Take You on a Cruise

All the Rage Back Home

PDA

Slow Hands

Zugabe:

Lights

Stella Was a Diver and She Was Always Down

Obstacle 1

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