It’s just a jump to the left: „The Rocky Horror Picture Show“ wird 40

Sex, Gewalt, viel Quatsch und noch mehr gute Songs: Warum Richard O'Briens wilde Fantasie seit Jahrzehnten die Zuschauer fasziniert.

Musicals werden eher selten von Menschen besucht, die sich wirklich für Musik interessieren. Oder für interessante Handlungsstränge. Oder für gute Schauspieler. Der Pathos von „Cats“ oder dem „Phantom der Oper“, der Unsinn von „Starlight Express“: nichts für schwache Nerven. Natürlich gibt es Ausnahmen: die „West Side Story“, wenn man es altmodisch mag. Hair“, wenn man Hippies mag. Und dieses eine Musical, das fast jeder wenigstens einmal gesehen hat – und das viele dutzendfach gesehen haben: Richard O’Briens „The Rocky Horror Picture Show“.

Der rote Mund, der einen eingangs zur „late night double feature picture show“ einlädt, verspricht schon Faszinierendes: „Science fiction … Dr. X will build a creature … see androids fighting … Brad and Janet …“ Man weiß nicht, was soll es bedeuten, aber es klingt interessant. Und so geht es einem eigentlich während der gesamten eineinhalb Stunden: alles Quatsch, aber unwiderstehlich.

„Enter at your own risk!“

Susan Sarandon und Barry Bostwick spielen das Spießerpaar, das in einem Schloss landet, in dem seltsame Leute wild feiern. Der bucklige Butler Riff Raff lässt Böses erahnen, und wenn Magenta mit ihrem irren Augenaufschlag „Fantasy, free me“ singt, ist das mehr als das Motto des Films – es ist ein Versprechen. Es war die Zeit der beginnenden Geschlechter-Verwirrung (David Bowie! Alice Cooper! Kiss!), und Tim Curry trumpfte als „Sweet Transvestite“ Frank N Furter auf: exaltiert, eingebildet, empfindlich – ein Lustmolch, der gottgleich sein will, aber auch wie eine herrlich beleidigte Leberwurst gucken kann. Es folgen Gewalt, Sex, Menschenversuche, Streit, schwuler Sex, Züchtigung, Wut, Gruppensex, viel Verwirrung und noch mehr Blödsinn. Völlig unmotiviert rauscht Meat Loaf auf dem Motorrad an und gibt Rock’n’Roll zum Besten, Saxofon-Solo inklusive. Susan Sarandon ist sehr lange in Unterwäsche zu sehen. Alle schmettern sich ständig die Seele aus dem Leib (nur der Rocky-Darsteller durfte nicht selbst singen, das übernahm Trevor Horn für ihn), am Ende erreicht der psychedelische Schwulst fast Pink-Floyd-Format, und alle heben ab (bis auf die, die tot sind).

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Die „Rocky Horror Picture Show“ feierte am 14. August 1975 in London Premiere. Als Theaterstück war die überkandidelte Horror-Science-Fiction-Persiflage ein Erfolg gewesen, im Kino lief sie schleppend an – und wurde dann wundersamerweise ein einzigartiger Dauerbrenner. Im Münchner Programmkino „Museum Lichtspiele“ läuft der Film seit dem September 1977 ununterbrochen. Es gibt sogar „Mitmach-Päckchen“, denn die Zuschauerbeteiligung hat sich im Laufe der Jahre als beliebtes Spektakel erwiesen.

Ja, ich gebe es zu: Auch ich habe als Teenager in dem kleinen Kinosaal Reis geworfen, eine Zeitung über den Kopf gehalten und all das. Den „Time Warp“ konnte ich im Schlaf, er wurde bei jeder Schulparty gespielt. Dann verlor ich Frank N. Furter, Brad und Janet aus den Augen. Mindestens 15 Jahre hatte ich die „Rocky Horror Picture Show“ nicht mehr gesehen, doch als ich neulich überprüfen wollte, wie sie sich bis heute gehalten hat, passierte etwas Unheimliches: Ich konnte die meisten Dialoge Wort für Wort mitsprechen („Hey, Janet“ – „Yes, Brad“ und so weiter), die Lieder allesamt mitsingen. Verdammt, ich hätte sogar den monologisierenden Erzähler (der Kubricks „Dr. Strangelove“ nachahmt) geben können.

„It’s just a jump to the left!“

Der Film wirkt 40 Jahre nach seiner Uraufführung nicht komischer als früher. Das Gewitter, die Sexszenen und die Experimente sahen in den 80er-Jahren bereits albern aus, und es war schon damals egal. Die skurrilen Figuren, die zwingenden Stücke, der dekadente Wahnsinn haben nichts von ihrer Wucht verloren. Die „Rocky Horror Picture Show“ ist ein einziger überdrehter Spaß, ein schwindelerregendes Karrussell aus Travestie, Parodie, Mythos, Vaudeville, Jugendkultur, B-Movie-Trivialität – ein Fanal der Devianz. Das unterscheidet sie von allen anderen Musicals. Don’t dream it, be it!

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