Jackson Browne – „Late For The Sky“

Es gibt Platten, die dokumentieren ganz präzise den Moment ihrer Entstehung und zugleich eine Weltsekunde. Travis Bickle, der Taxifahrer, sitzt in seiner Wohnung vor dem alten Schwarzweißfernseher, der wackelig auf einem Schemel steht und albern tanzende Menschen zeigt.

Später tritt Bickle in einem Ausbruch von Ekel gegen den Apparat. Was die Szene zuvor aber richtig brutal macht, ist die Musik: Nur für diesen einen Augenblick läuft „Late For The Sky“, der Inbegriff des Sensiblen, der strahlenden frühen Siebziger in den blauen Augen des strahlenden jungen Jackson Browne.

Martin Scorsese zerstört das alles in „Taxi Driver“, und man kann nur spekulieren darüber, weshalb er nicht ein Stück von Dylan oder seinem Freund Robbie Robertson für die Einstellung gewählt hat. Andererseits ist dieser Moment ebenso großartig wie die großartige Filmmusik von Bernhard Hermann, der Bickles Schlaflosigkeit und die somnambule Fahrt durch die schwülen, dampfenden Straßen begleitet. „Late For The Sky“ ist ganz Melancholie und Zartheit, das Antidot zu Gottes einsamstem Mann, der die begehrte Frau arglos in ein Pornokino führt und noch nie von Kris Kristofferson gehört hat. Jackson Brownes Kalifornien ist der Ort, der am weitesten von Martin Scorseses New York entfernt scheint.

„Late For The Sky“, das Album, ist Brownes drittes und bestes. Songs wie flüssiges Gold. David Lindley, der damals überall seine Fiddle und seine Slide Guitar auspackte, harmoniert hier mit Jai Windings Piano und Orgel, Browne singt wie ein Gott. „Late For The Sky“, „Fountain Of Sorrow“, „The Road And The Sky“ und „Before The Deluge“ spielte er bis in die 90er Jahre bei Konzerten, als seine Karriere schon tot war und jede Platte noch esoterischer und trauriger wurde. Bei seinen ersten Platten hatte Browne eine natürliche Schönheit, eine wunderbare Naivität. Ich meine: Er war der Mann, der Nico bei ihren Konzerten in New York begleitete, nachdem Lou Reed sie verlassen hatte. Das muss man sich vorstellen: wie der kaum volljährige kalifornische Schönling die drogensüchtige deutsche Walküre tröstete. „Saturate Before Using“ und „For Everyman“ konnten dann vor lauter Innerlichkeit und Poesie kaum gehen.

„How long have I been sleeping/ How long have I been drifting alone through the night/ And I know I¹m alone/ And close to the end“: Vielleicht war Jackson Browne damals Gottes einsamster Mann. Dass er viel später Darrryl Hannah geschlagen haben soll, werden wir aber niemals glauben.

Asylum/WEA, 1974

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