Jan Böhmermann: Jetzt fliegt ihm die Schwangere Auster um die Ohren

Böhmermanns HKW-Show „Die Möglichkeit der Unvernunft“ gerät durch Chefket-Absage und Künstlerproteste zum Streitfall. Scherbenhaufen Deluxe

ROLLING STONE Badge
Empfehlungen der Redaktion

Möglicherweise ist das ja nur eine einzige große Inszenierung. Eine Fortsetzung der „Theater Theorie“ von Regisseur und „Enfant Terrible“ Christoph Schlingensief. Als da wären: „Gesamtkünstlerischer Ansatz“ plus „Provokation und Kontroverse“ plus „Gesellschaftspolitische Relevanz“ plus „Zerstörung von Konventionen“ und nicht zuletzt der „Fokus auf das Rituell-Menschliche“.

All das und noch viel mehr findet sich in dem Gesamtpaket, das der Kölner Ulk- und Fernsehmacher Jan Böhmermann aktuell und fein ausgestattet mit „Staatsknete“ derzeit im Haus der Kulturen der Welt (HKW) schnürt.

Neben einer egomanischen Bauchnabel-Umsegelung (die so genannte „Ausstellung“) in der Kulturstätte, die normalerweise für Außereuropäisches und Abseitiges vorgesehen ist, soll(te) es auch ein Musikprogramm für junge Diskurs-Leute geben.

Chefket-Absage und Proteste

Bekanntlich hätte am Dienstag, den 7. Oktober in der Schwangeren Auster ein Konzert von Rapper Chefket stattfinden sollen. Doch wegen Antisemitismusvorwürfen und Querschlägern von Kulturstaats-Minister Wolfram Weimer zog Böhmermann dem HipHop-Aktivisten den Stecker. Darauf befand weithin das deutsche Feuilleton, er sei „eingeknickt“.

Erste Folge: Nicht nur Stille am besagten Abend, sondern auch ein „anschwellender Bocksgesang“ (frei nach Botho Strauß) anderer Künstler und Künstlerinnen gegenüber der gesamten Reihe mit dem kongenialen Titel „Die Möglichkeit der Unvernunft“. Vermeintliche „linke“ Stimmen strubbeln sich mit einem vermeintlichem „linken“ Showmaster.

Nicht nur das HipHop-Forum „Raptastisch“ sammelt Absagen aufgrund der Absage des Chefket-Konzerts. Sowohl Domiziana, als auch Wa22ermann haben aus Solidarität mit Chefket und der Protestbewegung gegen den Krieg in Gaza abgesagt. Sängerin Domiziana verzichtet auf ihre Gage am 2. Oktober und erklärt in ihrer Insta-Story, das Böhmi-Statement zur ursprünglichen Absage sei „ernüchternd“. Sie solidarisiere sich mit Gaza und positioniere sich gegen jede Form von Diskriminierung – Antisemitismus eingeschlossen.

Zerfall der Reihe und neue Programmpunkte

Längst pfeifen es die Spatzen von den Dächern der Hauptstadt, dass Böhmermann die ganze Chose bereits um die Ohren geflogen ist. Außer Klamauk für die gebildeten Ständen bleibt da nicht viel.

Ein Blick auf das Programm nach dem „Deutsche Einheit-Wochenende“ verspricht durchaus Zunder. Massen-Kreischen vor der Halle wie bei den Beatles auf ihrer ersten Amerika-Tour nicht auszuschließen.

Am Montag, den 6. Oktober kommt schließlich Star-Anwalt und Lindemann-Rausboxer Prof. Dr. Christian Schertz in den Tiergarten. Thema: „Was darf Satire?“ WOW!!

Inszenierung mit ungewissem Nutzen

Das Gesamtmotto „Die Möglichkeit der Unvernunft“ erweist sich als sonderbar seherisch.

WEM mit diesem eitlen Budenzauber allerdings gedient ist, oder was wir davon lernen, bleibt im Ungewissen. Außer dass Herr Böhmi einmal mehr ein all zu großes Fass aufzumachen versucht hat. Schade, aber toll.

Ralf Niemczyk schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.