Jarvis Cocker – Hamburg, große Freiheit

Der große Pulp-Pop muss draußen bleiben. Jarvis Cocker gibt stattdessen einen intimen, in kühles Licht getauchten Liederabend

Worüber alle aufgeregt plauderten: dass Jarvis Cocker auf seiner MySpace-Seite verkündete, er suche lokale Support-Bands. Kein Plattenfirmengemauschel, sondern echte Basisdemokratie. In Hamburg machten Gabriela Martina das Rennen – zwei kauzige Berliner Mädchen ohne Plattenvertrag, in bester Coco Rosie-Manier.

Sie hätten ihre Sache gut gemacht, behauptet ein Freund, doch um viertel vor acht ist ihr Auftritt in der gut gefüllten Großen Freiheit schon wieder vorbei. Und bereits um halb neun folgt das Hauptprogramm: It’s Jarvis time! Zum ersten Mal seit acht Jahren.

Groß wie ein Leuchtturm, dünn wie Karl Valentin kommt er auf die Bühne gerannt. Die Band schleudert ihm den krachenden Beat und die schrammelnden Gitarren von „Fat Children“ entgegen. „Last night I had a little altercation“, kontert der Pulp-Sänger im Ruhestand. Und auch wenn der Sound nicht ganz so überwältigend ist wie auf dem Album, leuchten die Gesichter der älter gewordenen Britpop-Fans im Saal. „Don’t Let Him Waste Your Time“, der für Nancy Sinatra geschriebene und auf „Jarvis“ zweitverwertete Song über mütterliche Weisheit, folgt – perfekt swingend, im Stil der Minirock-Sechziger.

Von Anfang an sucht Jarvis die Kommunikation mit dem Publikum, spricht übers Wetter, möchte seine Probleme mit einem außer Kontrolle geratenen Schnürsenkel teilen. Doch der Hamburger ist nicht nur dem überlieferten Stereotyp nach ein an sich ist ein eher schweigsamer Zeitgenosse, der sich gerne zurückhält. Auch in freier Wildbahn – etwa bei Popkonzerten – trifft man ihn so an. Dennoch spürt man die gespannte, erwartungsfreudige Konzentration der Zuschauer. In einem kleineren Club wäre dies ein elektrisierend intimer Abend.

Der am wenigsten bekannte Song ist vermutlich die Single-B-Seite „One Man Show“ – eine Art inoffizielles Motto der Tour: Pulp müssen draußen bleiben, kein einziger Song von Cockers ehemaliger Band wird gespielt. Man muss es hinnehmen. Dabei steht Pulp-Bassist Steve Mackey mit auf der Bühne, Richard Hawley leider nicht. Doch die Band macht ihre Sache gut, spielt die Songs schnörkellos und legt so die schlichte Schönheit der Stücke frei. Unter den Freunden etwas umstritten, für mich der atmosphärische Höhepunkt des Abends, war das in kaltes blaues Licht getauchte „Disney Time“. Eine großartige dunkle Metapher für eine Welt voller Lügen. Einen Moment hatte man das Gefühl, Scott Walker wäre im Raum. „Black Magic“, zu dem Jarvis seine langen Glieder schwingt und noch mehr herumzappelt als bei den anderen Stücken, wird erwartet euphorisch aufgenommen, bevor es in die Zugaben geht. Den heimlichen Hit „Running The World“ singen selbst in Hamburg alle mit, aber leise, ganz leise, mit hanseatischer Noblesse – und Bowies „Space Oddity“ auch, bei dem die hübsche, von der Ästhetik der Achtziger inspirierte Lichtshow noch einmal richtig aufdreht.

Eine Stunde hat der ganze Spaß schließlich gedauert, man hätte sich mehr gewünscht, aber auch deshalb, weil es so gut und persönlich war.

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