Jimmy Gnecco: Balladen statt BMX

Jörn Schlüter traf Jimmy Gnecco und sah in ihm ein Paradebeispiel für den integren Mainstream-Künstler.

Rick Rubin, Steve Lillywhite, Ethan Johns: drei Starproduzenten, die in den vergangen Jahren mit Jimmy Gnecco zusammengearbeitet haben. Sie sahen etwas Besonderes in dem Sänger und Gitarristen aus New Jersey – Gnecco hat das Antlitz einer amerikanischen Ikone und erinnert gleichzeitig an Trent Reznor, Jeff Buckley (mit dem er befreundet war) und Jim Morisson, weil sich in ihm große Leidenschaft mit etwas Leidvollem paart. Mit seiner Band Ours veröffentlichte Gnecco (nach einem Fehlstart in den Neunzigern) bislang drei gute Alben mit US-Indie-Rock, der dunkel und sakral ist, aber nicht übertrieben plakativ. Gnecco ist eigenwillig, bleibt seiner Vorstellung von Musik immer treu und gilt daher als Paradebeispiel für den integren Mainstream-Künstler.

Das neue Werk, „The Heart“, erscheint unter Gneccos eigenem Namen, weil es sehr leise und meist akustisch ist. Gnecco widmet es seiner unlängst verstorbenen Mutter und nimmt die Trauer zum Anlass für musikalisch wie lyrisch nackte Songs. „Meine Mutter ist im Heim aufgewachsen, sie hat sich nie geliebt gefühlt“, erklärt Gnecco. „Als sie im Sterben lag, waren da plötzlich so viele Menschen, die ihr zeigten, dass sie sie liebten – das war ein Moment der Heilung, auch für mich. Ich habe einfach den Mund aufgemacht und gesungen, was mir gerade einfiel.“ Das Bekenntnishafte, Therapeutische und fast Spirituelle kommt auf „The Heart“ sehr nah. Die Platte ist manchmal heilige Messe, manchmal anstrengende Entblößung. Gnecco gab auch früher schon den Schmerzensmann, doch nie waren die Gefühle so unmittelbar und die Lyrik so unzweideutig. „Bei Ours geht es um Stimmungen, ich will hinein in die Landschaft in den Köpfen der Zuhörer und ihnen etwas geben, in das sie etwas hinein interpretieren können. Auf der neuen Platte geht es dagegen nur um mich, um meine Ehrlichkeit. Früher war ich immer schüchtern, wenn es um meine Musik ging. Meine Produzenten hingen immer mit diesen Superstars ab und spielten ihnen meine Platten vor, das war für mich ein schrecklich peinlicher Gedanke. Jetzt macht es mir komischerweise überhaupt nichts mehr aus, ich will dieses Album sogar jedem vorspielen. Ich kann das erste Mal uneingeschränkt zu meiner Musik stehen.“ Die rückhaltlose Leidenschaft beim Singen – Gnecco hat ein ausgeprägtes Falsett, kann aber auch schreien wie am Spieß – wirft ein Licht auf den ganzen Mann. Schon als Kind war Gnecco ein Alles-oder-nichts-Typ und mit 15 drauf und dran, ein BMX-Profi zu werden. „Ich weigere mich, am Boden zu bleiben, wenn ich niedergeschlagen werde“, sagt er mit gebrochenem, nicht heldenhaftem Tonfall. „Ich habe von meinen Eltern gelernt, dass ich etwas wert bin und dass ich etwas schaffen kann, mit Liebe und mit Disziplin. Das ist mein Motor.“

Jörn Schlüter

 

>>>> Hier geht’s zu einer Live-Session von Jimmy Gnecco.

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