Joni Mitchell

Auf ihrem neuen Album „Both Sides Now“ erforscht Mitchell das, was Paul Simon einmal den „arc of a love affair“ genannt hat, begleitet von einem kompletten Orchester und mit einer Kollektion amerikanischer Song-Klassiker im Gepäck, die man sonst eher mit Billie Holiday oder Frank Sinatra in Verbindung bringen würde. Außerdem gibt es eine Neuauflage von zwei ihrer eigenen Standards: „A Case of You“ und „Both Sides Now“. Ein romantischer, sehr geschmackvoller Tempowechsel – aber wer nun befürchtet, Mitchells gewohnte Schärfe sei einer Überdosis Saccharin zum Opfer gefallen, der sollte um Gottes willen weiterlesen…

Du hast das neue Abum ausgerechnet von deinem Ex-Ehemann Larry Klein produzieren lassen. Ist das nicht eher hinderlich, wenn man sich durch eine Kollektion schmachtender Lovesongs singt?

Nein, im Gegenteil, es hilft. Als wir uns seinerzeit trennten, haben wir trotz aller Tränen weiter Musik gemacht und mit „Turbulent Indigo“ sogar einen Grammy gewonnen. Leicht ist so was natürlich nicht, denn obwohl wir nicht als Feinde auseinander gingen, herrschte eine Zeit lang kalter Krieg. Ich kann mir zum Beispiel nie die Namen dieser ganzen Studio-Gerätschaften merken; ich gebe ihnen deshalb Spitznamen oder nenne sie „das Dingsbums“ oder zeige einfach nur drauf. Früher wusste Larry sofort, was ich meinte. Diesmal war dieses blinde Verständnis einfach nicht mehr da, und das machte die Sache etwas komplizierter. Außerdem fand er, ich sei negativ, weil ich überall Probleme sehe. Wenn er wollte, dass ich ihn für etwas lobe, was er gut hingekriegt hatte, sagte ich statt dessen: „That’s a little premature, you know.“

Das Wort „premature“ hören Männer eh nicht gern. Das ist ein hochsensibles Wort.

Hm, darüber hab ich noch nie nachgedacht. Das trifft wohl auf das Wort „little“ noch mehr zu.

Wohl wahr. Aber wir haben darüber geredet, und das hat unserer Freundschaft letztlich gut getan. Wir wollen noch zwei Alben machen – dies soll der erste Teil einer Trilogie sein. Und das dritte wird dann meine ganz persönliche, morbide, kleine Weihnachtsplatte.

Warum diesmal so sentimental?

Warum nicht? Wir standen am Ende eines Jahrhunderts. Es war Zeit für eine Rückschau. Richtige Melodien und echtes Talent haben heutzutage ja Seltenheitswert. Mittelmaß und Dilettantismus, wohin man sieht Weil allen alles egal ist, so lange nur die Verkaufszahlen stimmen.

Wenn man vor einer ganzen Armada von Streichern singt, hat man dann nicht mal Lust, zwischen „Stormy Weather“ und „At Last“ etwas richtig Albernes einzustreuen – „Louie Louie“ zum Beispiel?

Für Späßchen war keine Zeit; ich zahle schließlich die Rechnungen. Die Studiouhr tickt, also muss man schauen, dass man das Projekt möglichst zügig durchzieht.

Wie unterscheiden sich gesetzte Orchestermusiker von den üblichen Rock’n’Roll-Rabauken?

Um ehrlich zu sein, mir fehlen da die Erfahrungswerte. Ich hing meistens mit Leuten wie Herbie Hancock oder Wayne Shorter rum, ging fast nur in Jazzclubs, und mit Rockmusik hatte ich noch nie besonders viel am Hut. Ich mochte Chuck Berry und Louis Jordan, aber das war ja noch in der Steinzeit, bevor irgendjemand von Rock’n’Roll sprach. Weißer Rock hat mir nie sonderlich zugesagt. Selbst in meiner Jugend nicht Diese Burschen mit ihren Posen sind irgendwie so medioker, so unbedeutend.

Die meisten Musiker behaupten, ihre Songs seien ihre Kinder, sie würden alle gleichermaßen lieben. Gibt es bei dir ein Album, das dir mehr am Herzen liegt als die anderen?

Das neue Album ist das einzige, das ich mir nach den Aufnahmen überhaupt noch mal angehört habe. Wirklich das einzige.

Hast du die Krawalle beim letzten Woodstock im Fernsehen gesehen?

Nur ganz am Rande. Aber es passt. Die Welt ist eine einzige Müllhalde geworden. Woran die Leute glauben, ist Müll. Wofür sie ihr Geld ausgeben, ist Müll. Was sie tun, um dieses Geld zu kriegen, ist Müll. Sie müllen unseren Planeten zu.

Aber davon abgesehen bist du ein optimistischer Mensch? Ja. Ja, das bin ich wirklich. Ich versuche, mein Chi zu entwickeln und Kräfte zu tanken, damit ich in diesem dunklen Strom nicht untergehe.

Anfang der 90er Jahre haben wir mal telefoniert, und du sagtest damals, du würdest dem Musikbusiness nun endgültig den Rücken kehren.

Ach, das sage ich, seitdem ich drin bin. Ich rief die Firma an und bat sie händeringend, mich zu feuern. Als Rickie Lee Jones das Label (Warner Brothers) verließ, rief ich an und sagte: „Schmeißt mich raus. Wenn ihr schon am Ausmisten seid, dann schmeißt mich gleich mit raus.“ – „Aber Joni, das geht doch nicht!“ Das Musikgeschäft macht mich krank. Es ist ein Witz. Kannst du es ertragen, dir eine dieser Musiksendungen oder Preisverleihungen anzuschauen? Wo sind die Erwachsenen? Wo ist die Qualität? Nichts als nölende, kreischende, quietschende Kleinkinder, und alle sind davon überzeugt, sie seien das Größte, was die Schöpfung jemals hervorgebracht hat Genau wie dieser Abschaum, der heutzutage das Musikbusiness kontrolliert Ich schäme mich dazuzugehören. Ich hasse sie aus tiefstem Herzen. Das Einzige, was mir seit langem mal wieder gefallen hat, ist der Song von den New Radicals, dieses „You Got The Music In You“. Den finde ich toll. Wenn der im Radio läuft, drehe ich das Ding gleich lauter. Und das hab ich seit meiner Teenagerzeit nicht mehr gemacht Ich mag die Harmonien, die Leidenschaft in seiner Stimme und auch diese Rotzigkeit Wenn schon jung und weiß und rotzig, dann so.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates