Joy Denalane im Interview: „Die Bühne ist für mich ein Ort der absoluten Geborgenheit“

Nachdem Joy Denalane ihre Platte „Gleisdreieck“ 2017 veröffentlichte, meldete sie sich im September 2020 mit ihrem fünften Studioalbum „Let Yourself Be Loved“ zurück. Im Interview sprachen wir mit der Soul-Sängerin über ihre Neugier in der Musik, die Bedeutung von Live-Auftritten und ihre am 3. September erscheinende Deluxe-Version von „Let Yourself Be Loved“

Im Laufe ihrer Musikkarriere bewies die 48-Jährige oft ihre Klasse. Nun veröffentlichte Joy Denalane als erste deutsche Soul-Sängerin unter dem US-amerikanischen Label Motown Records ihr Album „Let Yourself Be Loved“. Für das Werk griff sie dabei auf klassischen Soul zurück, der an die späten 60er-Jahre erinnert und landete damit in den Top Fünf der deutschen Albumcharts. Im retroesken Stil besingt Denalane die Liebe zu sich selbst – und zu anderen. Seitdem wurde es nicht ruhiger um die gebürtige Berlinerin. So veröffentlichte die Sängerin die drei Single-Auskopplungen: „The Show“; „Forever“ und „Use Me“ aus ihrer Deluxe-Version, die „Let Yourself Be Loved“ um fünf weitere Tracks ergänzt und am 3. September erscheinen wird. 

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ROLLING STONE: Im Laufe deiner Karriere hast Du viele Musikstile zusammengebracht. Nun hast du dich mit „Let Yourself Be Loved“ für klassischen Soul entschieden. Wie kam es dazu?

Joy Denalane: Ich sehe das etwas anders, aber ich verstehe deine Perspektive total. Für mich ist es insofern anders, weil ich immer nur ich selber bin. Alles, was ich produziere, ist ein Dokument des jeweiligen Moments, in dem ich die Konstante bin. Es ist wie eine Momentaufnahme meines Lebens und meines Ur-Interesses an der Musik. Alles, was ich mache, ist in gewisser Weise Soul, aber es gibt eben diese Ausflüge. So ist „Gleisdreieck“ in Teilen HipHop-orientierter oder R&B-orientierter. Und dieses Album ist eher klassisches Songwriting mit einer Instrumentierung, die ein Gewand hat, das nicht aus dem Hier und Jetzt stammt – also einen retroesken Ansatz hat. Die Variationen in meiner Musik sind Ausdruck meiner Neugier, da ich mich als Musikerin nicht abgeschlossen fühle oder das Gefühl habe alles erreicht zu haben. Ich bin immer auf der Suche, bleibe neugierig und versuche mich immer ein Stück weit selber herauszufordern. 

Wie erhältst du dir diese Neugier?

Joy Denalane: Das ist nichts, was ich mir auferlege, sondern eher eine angeborene Neugier, ein Antrieb. Es gibt einfach so viele interessante Dinge und Menschen auf der Welt, mit unglaublichen Entwicklungen: seien es drastische, furchtbare oder wunderschöne. Die Welt ist ständig am Wabern und bildet sich neu und das ist doch spannend! (lacht) 

Du sagtest mal, die Songs von „Let Yourself Be Loved“ helfen Dir, „mich selbst zu spüren und das Ganze ein bisschen zum Leuchten zu bringen.“ Was bedeutet es für dich, Live-Songs zu performen?

Joy Denalane: Es ist ein Gefühl der Sicherheit, das ich nur auf der Bühne entwickle und wodurch ich mich ganz bei mir fühle. Dabei ist es gar kein Drang der Selbstdarstellung, sondern einfach ein absoluter Wohlfühlmoment, in dem ich ganz im Einklang mit mir selbst bin. Ich mag diese Offenheit und die Verletzlichkeit, die man hat, wenn man auf der Bühne steht. Schließlich schauen alle einen an und können jeden Fehler simultan miterleben. Es ist eine Art Risiko, aber ein Risiko, in dem man sich wohl fühlt, weil man sich selbst, seinem Körper, seiner Stimme und seiner Band vertraut. Und auch wenn es natürlich mal bessere und mal schlechtere Tage gibt, ist die Bühne für mich ein Ort der absoluten Geborgenheit. 

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Hast du dieses Gefühl bereits von Anfang an verspürt oder kam es erst im Laufe deiner Karriere?

Joy Denalane: Das hat sich erst entwickelt (lacht). Am Anfang war ich mir meiner selbst noch nicht so sicher. Die ersten Konzerte waren auch die ersten Gehversuche, bei denen ich noch auf viele Dinge achten musste, die erstrangig nichts mit der Musik zu tun haben. Wie bewegt man sich auf der Bühne, wie halte ich das Mikrofon, höre ich alles gut, wie gehe ich mit einzelnen Blicken und Energien des Publikums um. Ich habe schon eine Weile gebraucht, um mich sicher zu fühlen und dabei war es hilfreich, dass ich bereits relativ früh auf einen Freundeskreis gestoßen bin, der mir eine Art Kokon gab, in dem ich mich ausprobieren konnte. Beim FK Allstars-Kollektiv waren wir relativ viele und jeder war sein eigener Chef und musste ein Stück Verantwortung übernehmen, gleichzeitig durfte sich jeder gleichermaßen ausprobieren. Man konnte sich vor allem in einem Wohlwollen wähnen, dass die Kolleg*innen einfach die Kunst mochten, die man machte und das hat mit Sicherheit das Hineinwachsen in dieses Gefühl des Wohlfühlens beschleunigt. 

Im September kommt eine Deluxe-Version von „Let Yourself Be Loved“ heraus. Weshalb hast du dich dazu entschieden, die fünf Tracks nochmal separat zur Platte zu veröffentlichen?

Joy Denalane: Alle Songs waren bereits zur Veröffentlichung von „Let Yourself Be Loved“ fertig. Das einzige Lied, das es zu dem Zeitpunkt noch nicht gab, war „Use Me“ von Bill Withers, da ich dieses auf eine Anfrage einer Filmproduktion hin aufgenommen habe und es dann anschließend den anderen Songs hinzugefügt habe. Ich habe die fünf Tracks nur nicht rausgebracht, weil ich finde, dass man als Hörer bei einer quantitativen Überproduktion ein wenig den Faden verliert – so geht es mir zumindest. Ich mag Alben, die 17/18 Songs haben nicht so gerne, weil sie mich überfordern. Wir leben in einer Zeit, in der wir unsere Hörgewohnheiten verändert haben, da wir Streamer geworden sind. Das Streaming führte dazu, dass man eine weniger große Aufmerksamkeitsspanne für ganze Alben entwickelt hat. Es ist eher zu einem Track-Track-Business geworden, in dem man sich einen Song anhört, und wenn er einem gefällt, in einen weiteren reinhört. Und erst, wenn diese interessant genug sind, geht man weiter und hört sich das Album an oder skippt durch. Und wenn ich dann auf eine Platte mit 18 Tracks stoße, kann es mich schnell überfordern. Ich finde, das braucht ein Album auch nicht. Bei einem Werk mit neun bis elf Songs ist für mich gleich eine Essenz spürbar.

Video: Joy Denalane – „Use Me“

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Die erste Single-Auskopplung „The Show“ thematisiert das Aufwachsen von Kindern und wie diese in der Pubertät erkennen, dass die Eltern keine unfehlbaren Helden mehr sind. Was hat dich zu diesem Track inspiriert?

Joy Denalane: (Lacht) Der Track spiegelt natürlich mein Leben wider. Ich bin schon lange Mutter, das eine Kind ist 20 und das andere 18 Jahre alt. Als ich die Platte geschrieben habe, waren sie im Beginn ihrer Teenagerzeit, in der sie anfingen, sich langsam von uns zu entwachsen. Sie haben uns Eltern neu betrachtet und angefangen mit uns zu debattieren und uns teilweise auszuhebeln. Es war eine neue Beziehungssituation zwischen uns Eltern und den Kindern, in der sie anfingen uns zu berichtigen und zu erklären, dass man viele Dinge auch von einer anderen Perspektive betrachten könne. Und das fand ich irgendwie cool! Es war nach einem Telefonat mit einem meiner Söhne, als ich in New York war, bei dem ich mir eingestehen musste, dass das, was mein Sohn mir erläuterte, durchaus eine Sichtweise ist, die akzeptabel ist und dadurch entstand die Idee zu diesem Song. Dass man seine Eltern auch in Frage stellt, ist richtig und wichtig, um sich von diesen langsam abzukapseln, aber es kann auch schmerzlich sein zu realisieren, dass die Eltern gar keine Helden sind. 

In „The Show“ singst du: „When you’re walking through the circus / and realize there’s no perfect“ und beschreibst damit, dass diese Realisierung mit einem Schock-Moment verknüpft ist. Findest du, es ist ein relevanter Prozess für Kinder, diesen zu durchleben?

Joy Denalane: Es gibt verschiedene Stufen der Abnablung und ich denke, dass dieser ein wichtiger Teil des Prozesses ist. Gleichzeitig habe ich auch beobachten können, dass nicht alle diesen Moment erleben. Manche gehen immer konform mit ihren Eltern und stellen sie gar nicht in Frage, was ich auch interessant finde. Und trotzdem kommt dann irgendwann einmal der Bruch, da dieser Schock-Moment auch zeitversetzt eintreten kann. Ich kenne durchaus Leute, die erst mit 40 angefangen haben, das, was ihre Eltern postulieren in Frage zu stellen. Ich finde je früher, desto besser, weil: Je länger man braucht, desto schwieriger ist es auch für die Eltern mit der Kritik umzugehen. Aber ich glaube es ist für Eltern immer schwer anzuerkennen, dass ihre Zeit auf gewisse Weise vorbei ist (lacht). Im besten Falle wandelt es sich trotzdem in etwas, in dem das Vertrauensverhältnis aufrecht erhalten bleibt und man sich sozusagen neu begegnet. 

Video: Joy Denalane – „The Show“

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Wie würdest du die Liebesbeziehung in deiner zweiten Single-Auskopplung „Forever“ beschreiben?

Joy Denalane: Es ist keine Beschreibung einer perfekten Liebe, sondern einer Liebe, die durch viele Feuer gegangen ist. Sie hat sozusagen schon unglaublich viel gesehen und befand sich bereits an allen Punkten, um sich dann wieder zur Liebe zu formieren. Es ist keine traumhafte Geschichte, im Sinne von „Ich kam, sah und liebte“, sondern es thematisiert eine gewachsene Liebe, die viele Blessuren abbekommen hat und trotzdem aus irgendeinem Grund dasteht. Stabil genug, dass es gut ist und man dableiben will – einfach eine „Foreverness“. 

Was ist denn deine Definition von „Für immer“?

Joy Denalane: Naja, für immer ist ja etwas Relatives. Es ist immer eine Momentaufnahme, was wissen wir schon von „Für immer“. In dem Song sage ich, dass ich für immer mit dieser Person sein möchte, und das ist ein Gefühl bzw. ein Wunsch (lacht). Das ist die absolute Hoffnung: Dass es funktioniert, aber man weiß es nicht – und das ist es auch, was interessant ist. Es gibt natürlich keine Garantie für gar nichts, es gibt so viele Dinge, die passieren können. Jeden Tag kann ein kleiner Umstand das gesamte Gerüst umwerfen. Das kann etwas Kleines oder Großes sein, dass einen total aus dem Tritt bringt, aber das macht es auch spannend. Es ist ein ewiges Hoffen, dass die eigene Vorstellung sich bestätigen könnte. Und das gibt einem ein gutes Gefühl.

Video: Joy Denalane – „Forever“

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Streamen Sie hier „Let Yourself Be Loved“ von Joy Denalane:

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