Jubiläum: Vor 25 Jahren fand das größte „Anti-WAAhnsinns“!-Festival von Wackersdorf statt

BAP, Herbert Grönemeyer, Wolf Maahn, Udo Lindenberg, Haindling, die Toten Hosen - das waren die Protagonisten des heute legendären Konzerts gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll in Wackersdorf.

Es wundert ein bisschen, dass die Wutbürger und Demonstranten in Stuttgart noch nicht auf diese Idee gekommen sind: Warum nicht einfach ein Festival am alten Kopfbahnhof? Es spielen: Herbert Grönemeyer, die Toten Hosen, Udo Lindenberg, BAP, dazu für etwas Lokalkolorit vielleicht noch die Fantastischen Vier und Freundeskreis. Es kommen Hunderttausende, jung und alt, links und nicht ganz so links, und rocken die Bagger und Laster, die Stresstests und Schlichtungsversuche, den Grube und auch den Geißler einfach aus der Stadt. So müsste doch der einzig wahre Volksentscheid laufen, oder nicht?

Über dem fünften „Anti-WAAhnsinns“-Festival von Wackersdorf, das vor 25 Jahren am 26. und 27. Juli 1986 stattfand, liegt mittlerweile auch der dicke Schleier der Geschichte. Dabei ist es im Vergleich zu „Stuttgart 21“ nicht nur der wahre Höhepunkt einer deutschen Protestkultur, sondern mit 120.000 Besuchern bis heute noch weit vor Auflagen von Rock am Ring oder dem Hurricane das zweitgrößte Rock-Festival, das es je in Deutschland gegeben hat. Nur das „Werner-Rennen“ von 1988 war mit 200.000 Besuchern noch einmal eine Nummer größer. Rückblickend also ein Riesenerfolg für die gewaltige Bürgerbewegung gegen den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage für atomare Brennstäbe in der oberpfälzischen Provinz. Denn haben die zuständige Betreibergesellschaft und die bayerische Staatsregierung nicht nach monatelangen bürgerkriegsähnlichen Zuständen von dem Bauvorhaben abgelassen?

Zugegeben, eine Bono-sche Kraft der Musik hat damals nicht von allein ausgereicht, um 1989 den Baustopp für die Wiederaufbereitungsanlage zu erzwingen. Sie hätte 1986, als der Widerstand schon vier Jahre alt war, auch nicht so viele Menschen nach Wackersdorf bewegt, wären die politischen Fronten im atomaren Glaubenskrieg wegen der Sturheit von Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß und des Selbstbewusstseins einer deutschen Anti-AKW-Bewegung nicht so verhärtet gewesen. Dafür hatte auch der Schreck von Tschernobyl drei Monate zuvor noch viel zu tief in den Gliedern gesessen. „Wäre Tschernobyl nicht passiert, hätte das Wackersdorf-Festival nie diese Größenordnung erreicht“, sagte auch BAP-Sänger Wolfgang Niedecken später dem Magazin Der Spiegel. Denn zwischen der linken Szene, hitzköpfigen bayerischen Dorfbewohnern, gemütlicheren Demo-Touristen und unpolitischen Rockfans war im Juli 1986 keine Grenze mehr zu ziehen – das machte das Signal aus der Zivilgesellschaft auch so stark. Denn an hunderttausend „Verhaltensgestörte“ glaubte zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch FJS.

Überraschenderweise war das Festival im Vorfeld vom Stadtrat von Burglengenfeld genehmigt worden, weil ein junger Stadtrat aus der CSU-Fraktion zum Widerstand übergelaufen war. Im Anschluss hatte der Bürgermeister von Burglengenfeld nichts unversucht gelassen, bei der bayerischen Staatsregierung noch ein Verbot der Veranstaltung. Schließlich hatte man auch in der bayerischen Provinz die kulturellen Schockwellen von Woodstock gespürt. Erst vier Tage vor dem Festival bekamen die Veranstalter vom Verwaltungsgericht München nach zähem Ringen und unter strengen Auflagen grünes Licht, 60.000 Tickets hatten sie zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft.

An zwei Tagen traten insgesamt 21 Bands aus der heutigen Ahnengalerie deutscher Popmusik auf. Viele davon noch auf dem Karriereweg nach oben und in Anbetracht der Gemengenlage des Zeitgeschehens zumindest nicht um verallgemeinernde politische Gesten verlegen: BAP, Herbert Grönemeyer, Wolf Maahn, Udo Lindenberg, Haindling, die Toten Hosen – damals als scharfe „Opel-Gang“ noch eine echte Kontroverse. Am Ende sang Rio Reiser „Somewhere Over The Rainbow“ für die friedfertigen Festivalgänger und 6.000 Polizisten. Auf allzu viele politische Redner und einen Marsch zum Baugelände der Wiederaufbereitungsanlage hatte man dabei verzichtet. Die Bands spielten allesamt ohne Gage und mit einer Unschuld, die es später bei keinem Großereignis mit politischem Hintergrund je mehr geben sollte. „Schon beim dritten, vierten Festival hieß es dann: Aha, jetzt wollen die Musiker wieder was Gutes tun“, sagte Toten-Hosen-Sänger Campino dem Magazin Der Spiegel. „Da haben die Musiker natürlich gesagt: Bevor wir uns so eine Scheiß-Kritik zuziehen, lassen wir’s lieber sein.“

Drei Jahre nach dem fünften „Anti-WAAhnsinns-Festival“ war er dann da, der Baustopp. Strauß war 1988 gestorben, die Kosten für das Projekt waren explodiert. Und die Grünen hatten längst begonnen, ihren Gründungsmythos aus den aufreibenden Tagen von Wackersdorf zu stricken. Am Lanzenanger im Städtchen Burglengenfeld erinnert noch heute ein Gedenkstein an die Tage vor 25 Jahren: „Zur Erinnerung an den Widerstand gegen die WAA in Wackersdorf und das friedvolle Musikfestival im Jahr 1986“.

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