Jugend in der Großstadt

Der gefeierte Jungautor Benedict Wells legt sein zweites Buch vor, das bereits vor seinem Debüt entstand.

Ich bin der größte Lügner, den man sich denken kann“, posaunte dereinst J. D. Salingers Holden Caulfield schnodderig heraus. Dass wir den angeblichen Lügen dieses 16-Jährigen dennoch wie gebannt lauschten, hatte damit zu tun, dass seine Lügen auch die unseren waren. Caulfield, 1954 von seinem Schöpfer aus der Taufe gehoben, wurde zu einer der Schlüsselfiguren der modernen Literatur überhaupt – und ganze Generationen nachrückender Autoren reiben sich bis heute an dem Charme und der ansteckenden Widerborstigkeit des Streuners. So auch der 1984 in München geborene Benedict Wells, der uns mit seinem 2008 erschienenen und zurecht viel gepriesenen Debütroman „Becks letzter Sommer“ eines der erfrischendsten Debüts der letzten Jahre bescherte. Denn Wells zweiter, im zarten Alter von 19 zu Papier gebrachter Roman „Spinner“ (Diogenes, 19,80) besitzt stellenweise einen ähnlich tragikomischen Reiz wie dereinst „Der Fänger im Roggen“.

„Ich wollte ein Buch für jüngere Leser schreiben, die das erste Mal mit Verlust Bekanntschaft machen müssen“, sagt der Autor mit Blick auf die Geschichte seines juvenilen Helden Jesper Lier, für den die riesige Stadt Berlin zum Ort seiner Begegnung mit einer neuen Wirklichkeit wird. Eine Woche lang verfolgen wir Wells‘ kleinen Spinner auf seinem Weg durch die Großstadtschluchten, beobachten ihn dabei, wie er sich verliebt, einem Freund beim Coming-Out hilft und ruhelos von Ort zu Ort flattert wie ein Falter über die Blüten. Wie Wells versteht, sein Alter Ego in seiner ganzen Unbefangenheit dem Leben gegenüber darzustellen, das geht weit über ein an ein jugendliches Lesepublikum zugeschnittenes Generationenbuch hinaus. Wells‘ Sprache ist roh und unfrisiert und seine Geschichte grundiert von einem bisweilen bitter-poetischen Humor. „Natürlich hätte ich das Ganze aus heutiger Sicht und im Abstand der Jahre nachbearbeiten können“, sagt Wells abschließend. „Doch es wäre nicht mehr dasselbe gewesen und hätte nicht mehr denselben jugendlichen Charme besessen.“ Recht hat er: Denn gerade so erhalten Jespers beschriebene Erlebnisse und Erfahrungen Dichte und Aussagekraft – beglaubigt durch den unzensierten Furor eines jugendlichen Himmelsstürmers.

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