Kampf um die Netzmusik

Die Online-Communities buhlen um Hörer: Mit My Space Music ging gerade ein neues Portal ans Netz, doch die Konkurrenz steht bereits in den Startblöcken.

DER ONLINE-MUSIKMARKT IST IN Bewegung: Apple drohte damit, iTunes zu schließen, Finetunes zerrte Last.fm vor den Kadi, und My-Space will mit einem universellen Musikkanal den Großangriff wagen. Es waren imposante Worte, die MySpace-Chef Chris DeWolfe unlängst für sein neues Musik-Portal wählte. Den „größten Internetmusik-Katalog der Welt“ habe man jetzt. Und die „New York Times“ assistierte: „Ajukebox on MySpace that takes aim at Apple“. Seit Ende September ist „MySpace Music“ in den USA im Netz, in den kommenden Wochen soll auch My-Space Deutschland nachziehen. Deren Chef, Joel Berger, sagt: „In der Tat: Es ist eine persönliche, globale Jukebox.“

Mit MySpace Music will man offensichtlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Einerseits soll in eine neue Dimension der digitalen Musikvermarktung vorgestoßen werden, andererseits könnte damit die Konkurrenz, speziell Facebook, auf Abstand gehalten werden. Schließlich hat MySpace im Vergleich zu 2007 rund zehn Millionen Nutzer eingebüßt.

Tatsächlich lesen sich die Fakten zum neuen Portal eindrucksvoll. Rund fünf Millionen Künstler bieten hier so viele Songs an, wie sie wollen. Fü r den Nutzer sind die Streams kostenlos, er muss sich nur etwas Werbung gefallen lassen. Obendrein kann man Konzertkarten und Merchandising erwerben. Downloads von Songs und Alben sowie Klingeltöne werden per „Buy MP3“-Button zu flexiblen Preisen angeboten. Hier kooperiert My-Space mit dem Einkaufsportal Amazon.

Es soll sogar kostenlose, werbefinanzierte Downloads geben, so wie z.B. den „Toyota Tuesday“. Laut Joel Berger hätten an diesem Modell auch in Deutschland schon Werbekunden Interesse angemeldet. Um in den Genuss des gesamten Angebots zu kommen, muss man sich allerdings auf MySpace registrieren lassen.

MySpace Musics Clou: Erstmals ist es gelungen, die Majors (Universal, SonyBMG, Warner und EMI) für ein Musik-Portal in einem Joint Venture unter einen Hut zu bringen. Alle vier stellen hierihre kompletten Katalogezur Verfügung. Im Gegenzug werden die Labels an MySpace Music direkt beteiligt.

Für diesen Schritt hat bei der Industrie offensichtlich ein Umdenken stattgefunden. Noch vor fünf Jahren verklagten die großen Label erfolgreich mp3.c0m, weil dort Songs per Stream kostenlos angeboten wurden. So weit weg von diesem Modell ist das neue Portal nicht. „My-Space Music bildet das komplette Repertoire ab“, sagt Joel Berger.

Der Traum von der universalen Musikplattform ist damit aber noch keine Wirklichkeit. Denn viele Indie-Anbieter sind ausgeschlossen. Oke Göttlich, Vorstandsmitglied des deutschen Verbandes unabhängiger Tonträgerunternehmen (VUT), sagt: „Weltweit spiegelt die Musik der Independents den gleichen Anteil wie ein Major wider. Ob MySpace ohne diese Inhalte seine Nutzer überzeugen kann, darf bezweifelt werden.“ Göttlich fordert, dass beispielsweise derunabhängige Rechteverwalter Merlin eingebunden wird. Merlin vertritt 12 000 Labels und repräsentiert damit neun Prozent des US-Marktes. Etwa soviel wie EMI. Dazu Joel Berger: „Wir haben bereits The Orchard mit ins Boot geholt, den führenden Anbieter zur digitalen Verbreitungverschiedener Independent-Labels und tausender Künstler wie Bloc Party, Wu-Tang Clan oder The Raveonettes.“ Eine Vereinbarung, die Göttlich aber nur als Feigenblatt sieht, „um nicht komplett nackt dazustehen“.

Was ist schlecht WEITERE AKTUELLE NEWS UND STORIES FINDEN SIE UNTER WWW.ROLLINGSTONE.DE Rock & Roll «fiüsic facebook lost-fm ONLINE MUSIC: DER KAMPF UM DIE STREAMER : Was ist gut Grose Community, sehr ausgefeilte [ Empfehlunpmechanismen, Obersichtliche Gestaltung, umfangreiches Video-Angebot, innovative User-Tools i Millionen von Songs kostenlos Wegen Lizenzstreitereien nur wenige i streambar (inklusive des kompletten ; Indie-Künstler verfügbar, bewährt ! Dylan-Katalogsl), hohe User-Reichweij unübersichtliche Seitengestaltung, I te, Kauf von Merchandise und Tickets Werbeeinblendungen in den Streams i Weltweit größtes Social Network, j viel zu steriles Layout, keine eigenen einige kostenlose Downloads i redaktionellen Inhalte, oftmals nur j verfügbar, Musik kann auf Userpages [ Samples streambar, noch zu kleines i eingebunden werden. KOnstler-WIgets j Angebot an Künstlern Kaum eigene redaktionelle Inhalte. Songs teilweise nur als kurzer Ausschnitt streambar, Abwesenheit vieler Independent-Künstler

Mit seiner Kritik steht der VUT nicht allein. Martin Mills, Chef der Beggars Group (u.a. Radioheadund M.I.A.) sagt:

„Solange es kein Fairplay gibt, werden wir MySpace Music nicht unterstützen.“

DasproblematischeVerhältniszuden Independents ist vor allem deshalb verwunderlich, weil es gerade die kleinen, unabhängigen Bands und Labels waren, die MySpace in seiner Anfangszeit zu Popularität verhalfen. „Da muss man sich schon fragen, wo die Prioritäten liegen“, sagt Simon Wheeler, der die digitalen Rechte für die Beggars Group vertritt.

Zudem sollte man sich klar machen, dass nach aktuellem Stand Bands der Kategorie Oasis, Arcade Fire oder Franz Ferdinand ihre neuen Werke nicht auf My-Space Music präsentieren werden. Und auch umsatzstarke Alt-Helden wie die Beatles oder AC/DC haben (noch) nicht zu erkennen gegeben, mit MySpace Music kooperieren zu wollen.

Noch problematischer: Ob der mangelnden Perspektiven drohen jetzt viele Bands, ausgerechnet zur Social-Network-Konkurrenz Facebook abzuwandern. Für Joel Berger ist das „nicht wirklich“ ein Grund zur Beunruhigung. Zumal die Fronten nicht so verhärtet sind, wie manche Statements es vermuten lassen. Es geht offenbar schlicht ums Geld. Beide Seiten sind nach wie vor gesprächsbereit.

Nur könnten die Verhandlungen ziemlich zäh werden. Göttlich sagt: „Es ist für viele VUT-Mitglieder schwer verdaulich, dass man sich im Falle eines Vertragsabschlusses mit MySpace Music. an dem die Majors beteiligt sind, zum Kunden seiner Wettbewerber macht.“ Und überhaupt wolle der VUT Plattformen wie MySpace oder Last.fm klarmachen, „dass wir kein minderwertiger Partner sind“.

Göttlich ist zudem der Gründer und Geschäftsführer der Download-Plattform Finetunes, die auch die Nutzungsrechte für die Internet-Vermarktung vieler Labels und Künstler wie Die Ärzte oder Tomte vertritt. Und er bewies unlängst, dass mit ihm nicht zu spaßen ist.

Anfang September schickte Göttlich dem Konkurrenten Last.fm eine Abmahnung ins Haus. Grund: Last.fm bietet Musikstücke als Live-Stream auch von Finetunes-Künstlern an. Freilich ohne die Lizenzen zu besitzen. Die Verhandlungen darüber waren immer wieder gescheitert. Göttlich: „Generell ist es schwerverständlich, dass eine neue Geschäftsidee durch die Nutzung unabhängiger Musik zu einem Millionengeschäft wird, an dem die Musiker, die ihre Waren feilbieten, nicht partizipieren.“ Das Gegenargument, dass hier kaum Geld verdient würde, lässt Göttlich nicht gelten. Schließlich war Last.fm im Mai 2007 für über 200 Millionen Euro an CBS gegangen.

Ähnliche Sorgen wie Last.fm plagten Anfang Oktober auch den Branchenprimus Apple und seinen iTunes Music Store.

Denn die National Music Publishers Association wollte in den USA mehr Geld für ihre Mitglieder einklagen. Die Copyright-Inhaber verlangten 15 statt 9 Prozent der Umsätze. Umgehend drohte Apple im Fall einer Niederlage, seinen iTunes-Laden dicht zu machen. Aber Jobs fe?Co siegten vor Gericht. Zumindest die nächsten fünf Jahre werden die Künstler von den 99 Cent pro Song genau 9,1 Cent bekommen.

Das letzte Wort zur Stärkung der Musikerrechte wird das mit Sicherheit noch nicht gewesen sein. Gerade erst gründete sich in Großbritannien der Interessenverband Featured Artist s Coalition (FAC), dem unter anderem Schwergewichte wie Robbie Williams, David Gilmour und Radiohead angehören. Gemeinsam wollen sie mehr Kontrolle über ihre Werke gegenüber den Plattenfirmen durchsetzen bzw. einen größeren Anteil an den Erlösen erhalten.

Es wird also kompliziert bleiben für Chris DeWolfe &“ Co, zumal ihr Kanal im Moment auch technisch noch nicht perfekt funktioniert. Auf Neil Youngs Seite etwa erscheint eine arg zufällige Auswahl an Alben. „Everyone Knoivs This h J^otvhere“ ist zu sehen, aber „Harvest“ und „Rust T^ever Sleeps“ nicht. Ein Manko, so die MySpace-Verantwortlichen, das schon bald behoben werde.

Zumindest ein wenig Skepsis ist bei MySpace Music also angebracht. Schon MySpace’jüngstes Großprojekt My-Space TV sollte YouTube als Filmkanal Konkurrenz machen. Außer der Erinnerung an ein paar unterirdische „Candy Girls“-Folgen, ist davon nicht viel geblieben.

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