Katze, Hund, im Schlaf gemalt

Mal schnell zehn Bilder für eBay und ein Open-air mit Pappfiguren - das irre Universum des Jim Avignon und seiner One-Man-Band Neoangin

Andere wären vor Stolz geplatzt, ihm war es peinlich. Zur Wiedereröffung des Berliner Olympiastadions im letzten Sommer entwarf Jim Avignon ein Gemälde, so groß wie ein Fußballfeld. Der komplette Rasen verschwand unter bizarr bunten, auf riesige Planen gemalten Comic-Torsos, Kinder aller Hautfärben zogen die entsprechenden Köpfe von einem Körper zum nächsten. Ein von Kerner moderierter Staatsakt, komplett mit Feuerwerk und Nena, Multikulti-Parade und Pink. „Ich war heilfroh, als ich am nächsten Tag bei einem kostenlosen Open-air-Festival im Brandenburger Hinterland spielen konnte. Das hat die Balance wieder hergestellt“, sagt Avignon. Musik macht er als Ein-Mann-Band namens Neoangin und als Maler hat der Berliner inzwischen mehr Erfolg, als ihm lieb ist: Aus den unaufgeräumten Hinterzimmern schmuddeliger Szene-Cafes über die Flugzeuge der Deutschen BA ins Bundeskanzleramt – es gibt kaum Plätze, wo man nicht auf die Bilder trifft, die aussehen, als hätten Moritz R (Der Plan), Max Beckmann und Keidi Haring ihre Talente zusammengeworfen.

Doch der ehemalige Schulbusfahrer sieht in seinen Werken noch immer das künstlerische Äquivalent zur 7-Inch-Single: schnell, intensiv und catchy. Für Avignon gehört Kunst in den Alltag, nicht in die musealen Gruften des Kulturbetriebs. Kein Wunder also, dass der Maler irgendwann auch zum Musiker wurde. Die wunderbar zitierfähigen und politisch gemeinten Slogans seiner Bilder finden sich nun in den Texten von Neoangin wieder: „We don’t want a solution because we like the problem“.

Seinen Plattenvertrag hat er vor kurzem in aller Freundschaft gekündigt. Das neue Neoangin-Album „Unhappy House“ erscheint radikal im Eigenvertrieb: „Dazu kommt, dass ich bei Konzerten ohnehin schon mehr CDs verkauft habe als im Laden – manchmal 60 Stück pro Auftritt.“ Und was für ein produktiver Künstler er ist: zehn Bilder in einer Nacht malen, weil am nächsten Tag auf eBay eine Auktion starten soll? Kein Problem, da setzt er sich eben von Mitternacht bis in die Morgenstunden hin und gibt den Leuten, was sie wollen: Bilder, die lustig und melancholisch zugleich sind.

„Unhappy House“ ist Avignons bisheriges musikalisches Meisterwerk. Eine kraftvoll rumpelnde, eigenwillige Form der Lo-Fi-Elektronik, die sich bei The Fall ebenso bedient wie bei Aphex Twin, Drum’n’Bass und dem obskuren Pop, den Jim bis zuletzt aus John-Peel-Sendungen aufgenommen und von einem Tape aufs nächste kopiert hat.

Was Avignon antreibt, erklärt er an einem schönen Beispiel: „Ich langweile mich einfach unglaublich schnell Ich langweile mich, wenn ich zum dritten mal dasselbe Konzert gebe. Ich habe da eine Idee: Ich möchte gern ein Konzert geben, bei dem ich selber einschlafe, als Konzept. Ich würde die Nacht vorher durchmachen und unglaublich langatmige Nummern vorbereiten, zehn-Minuten-Stücke mit minimalen Tonverschiebungen. Generell finde ich, dass jede eingefahrene Bahn eine Sache furchtbar unattraktiv macht.“

Deshalb wird Jim Avignon im Februar Deutschland verlassen und in New York sein Glück suchen. „Ich war erst einmal da und mochte die Stadt überhaupt nicht.“ Die New Yorker werden sich noch wundern.

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