Kevin Shields: „City Girl“

Endlich war es mal nicht das mittlerweile spannungslose Kribbeln im Bauch, sondern das Kribbeln in den Zehen. Das dumpfe, wohlige Gefühl, das am Morgen nach einer durchwachten Nacht von den Füßen aus in den Kopf kriecht. Das heraufdämmernde 2004 gab uns „Lost In Translation“, den Jet-Lag-Film. Bill Murrays Taxifahrt durch Tokio, während der er ungläubig und übernächtigt die Lichtreklamen von unten nach oben liest. Scarlett Johansson, die am Karaoke-Abend mit pinker Perücke „Brass In Pocket“ singt und Murray anschaut, dessen schmachtender Blick in dieser Szene zweierlei heißen konnte: Liebe und Müdigkeit. Die Leute hätten ihm den Oscar dafür gegeben, die Academy tat es nicht. Obwohl das ein Kuschelfilm war, der angesichts des großen Konsens in vielen Experten-Charts weiter hinten stehen wird – das Motiv des Fremdseins, der Clash und die weiche Überlappung zwischen parallelen Welten (andere Länder, andere Ehen, andere Systeme der Zeitmessung) beschäftigten uns irgendwie das ganze Jahr. Keine Musik passte besser als die körperlosen, schlaftrunkenen Lieder der schottischen Band My Bloody Valentine, die Anfang der 90er wie ein Ozeanriese ins Nichts versunken war. Und tatsächlich hatte Soundtrack-Macher Brian Reitzell den abwesenden Valentine-Meister Kevin Shields zurück in die Welt geholt, hatte ihm nach 13 Jahren die ersten Töne entlockt, drei Score-Instrumentals und das von Shields wie durch eine Wasseroberfläche gesungene „City Girl“. „City girl, I love you, I do“ – die Vermutung, dies könnten die Worte gewesen sein, die Murray vor dem Abschied in Scarlett Johanssons Ohr flüstert, war einer der schönsten Streiche, die die Fantasie einem 2004 spielen konnte.

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