Kindergarten Kicks

Die schrägen Helden des dritten Britpop-Sommers sind zurück: Art Brut haben zwar endlich ihre Instrumente gelernt, wollen ansonsten aber nicht erwachsen werden. Aus Faulheit? Aus Prinzip!

Ein bisschen trauert er ihr ja immer noch hinterher. Nicht der inzwischen berühmten Emily Kane, die ihm mit 15 den Kopf verdreht hat. Nein, der TV-Sendung „Top Of The Pops“, die im Sommer 2006 abgesetzt wurde. „Unser Ziel war es ja immer, berühmt zu werden und mal bei Top Of The Pops‘ auftreten zu dürfen“, sagt Eddie Argos betrübt. Mit dem knuffigen Song „Emily Kane“ hatten der Ex-Postbote und seine Band Art Brut die Top 40 und die Teenie-Show vor zwei Jahren allerdings knapp verpasst. Mit dem neuenAlbum“It’sABitComj5licated“will Argos nun nicht nur den Pop retten, sondern auch eine der doofsten Institutionen der britischen Popkultur zurückholen: „Wir werden so lange so gute Popsongs liefern“, verspricht er, „dass denen gar nichts anders übrig bleibt, als wegen uns ,Top Of The Pops 1 wieder ins Programm zu nehmen.“

Und damit die Schnarchnasen von der BBC das ja auch kapieren, tragen einige der Songs auf der Platte erfolgserprobte Titel: Glaubt man doch Hitsingles von MARRS („Pump Up The Volume“), Gloria Gaynor („I Will Survive“) und John Lennon (,Jealous Guy“) auf dem Album zu entdecken. Was natürlich wieder nur einer der Witze der lustig-listigen Pop-Anarchisten aus London ist: „Warum sollte John Lennon der einzige Menschauf der Welt sein, der einen Song Jealous Guy‘ nennen darf?“, fragt Argos arglos, erklärt empört, dass die Nummer „Pump Up The Volume“ nur deshalb so heiße, weil ihm einfach kein besserer Titel für ein Stück einfallen wollte, in dem es darum geht, die Musik lauter zu drehen. „Und bei ,1 Will Survive‘ hatte ich ganz vergessen, dass es schon einen Song mit diesem Titel gibt“, flunkert er: „Ich habe das erst geschnallt, als mein Manager ganz aufgeregt angerufen und gefragt hat, ob wir da etwa irgendwelche Samples verwenden.“

Der kindliche Spieltrieb, der einem 2005 vom Art Brut-Debüt „Bang Bang Roc^Ö* Roll“ bei jedem Song entgegenpolterte, wurde der Band also nicht etwa ausgetrieben. Wie auch? Argos ist zwar inzwischen 27, aber fest davon überzeugt, dass sich kaum mehr etwas getan hat, seit er die Pubertät mehr oder weniger erfolgreich hinter sich gebracht hat. „Wenn die Leute erst mal 17 sind, ändern sie sich eigentlich nicht mehr- sie tun oft bloß so“, behauptet er und hat mit dem bescheuert-cleveren „Nag Nag Nag Nag“ gleich den passenden Song dazu abgeliefert: „I’m grown up now but I refuse to learn.“

Naja, ein paar Dinge habe er inzwischen trotzdem gelernt, gibt er dann zu. Zum Beispiel, dass es ziemlich surreal werden kann, bei einer Show gemeinsam mit Ghostface Killah vom Wu-Tang Clan aufzutreten, oder Liam Gallagher von Oasis zuzusehen, wie er zu einer Art Brut-Nummer tanzt. Und dass er die Sache mit Emily Kane wohl endgültig knicken kann, nachdem er sie jetzt tatsächlich wiedergesehen hat: „Ich glaube, sie hielt mich anfangs für einen Spinner, aber wenigstens mochte sie den Song“, erzählt er: „Wir haben dann ausgemacht, dass wir zusammen was trinken gehen, aber als sie in den Pub kam, hatte sie ihren Freund dabei. Das war mir dann doch ziemlich peinlich.“

Zum Glück konnte sich Argos von sol‘ chen Pleiten wunderbar durch die Hysterie ablenken lassen, die seine Band mit ihren spleenigen Uminterpretationen von NewWave und Indie-Pop vor zweiJahren ausgelöst haben. War der Jonathan-Richman-Fan vor seiner Karriere als Sänger von Art Brut noch nie im Ausland gewesen, so ist er jetzt nur noch ganz selten zu Hause in London, hat unterwegs in den USA die Mountain Goats und The Hold Steady entdeckt und zu seinen neuen Lieblingsbands ernannt und sich in Hamburg zu dem Song „St. Pauli“ inspirieren lassen. Der mündet nicht nur in einem Bekenntnis zum Diskurspop („We are Hamburg School!“), sondern ist auch mit einem niedlichen deutschen Refrain garniert: „Punkrock ist nicht tot.“ „Das war der einzige deutschen Satz, den ich damals sagen konnte“, verrät Argos, „weil ich mich aber trotzdem an Gesprächen beteil igen wollte, habe ich, wenn ich zum Beispiel in der Bäckerei war, um ein Stück Kuchen zu kaufen, einfach zur Verkäuferin ,Punkrock ist nicht tot!‘ gesagt, um wenigstens etwas gesagt zu haben.“ Während die Band unterwegs zwar so die Sozialkontakte pflegte („Ich will, dass alle Leute, die ein Konzert von uns besuchen, meine Freunde werden“), haben Argos und Co. das Liederschreiben ein wenig vernachlässigt. Erst als der Veröffentlichungstermin des zweiten Albums langsam näherrückte, machte sich die Band an die Arbeit. Außer „Nag Nag Nag Nag“ wurden die Songs für „It’s A Bit Complicated“ innerhalb von drei Monaten geschrieben und aufgenommen. „Das Album klingt genauso wie das erste – nur besser“, sagt Argos. Was daran liege, dass die Mitglieder der Band jetzt gelernt hätten, ihre Instrumente zu spielen. „Was wir immer noch nicht gelernt haben“, gibt er zu, „ist, wie man reich wird.“ Deswegen war Art Brut irgendwann auch der Gitarrist Chris Chinchilla abhanden gekommen, der lieber wieder als Computerspezialist richtig Geld verdienen wollte und durch Jasper Future ersetzt wurde.

Weil die besten Popsongs meistens davon handeln, dass sich ein Junge und ein Mädchen erst treffen und dann trennen, wie Argos erklärt, ist „It’s A Bit Complicated“ nun vollgepackt mit Nummern, die zu hübschen Melodien Beziehungsängste und -katastrophen zerpflücken – oder der Popmusik eine Liebeserklärung machen. „Wenn ich mit einem Mädchen rummache, geht es mir oft so, dass ich plötzlich sage: ,Hörst du das, das ist brillant!‘ Und dann stehe ich auf, um die Musik lauter zu machen.“

In solchen Situationen sei es enorm hilfreich, wenn das Mädchen, das er küsst, die gleiche Musik mag wie er. Das und vielleicht doch noch einen Auftritt bei „Top Of The Pops“ – mehr brauche es wirklich nicht, um ihn restlos glücklich zu machen.

Von Gunther Reinhardt

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