King Cool im Berliner Zoo

Ein seltsames Phänomen: Wenn sich der Papst ankündigt, nehmen die Politiker des Gastgeberlandes ab. Die Anzüge schlottern, die Fettpolster schwinden – denn mit dem Papst kommen auch TV-Kameras aus aller Welt. Als Klaus Wowereit im Sommer 2011 im Berliner Fitness-Studio „Aspria“ mit dem Training begann, war die erste Reaktion der politischen Beobachter: Aha! Der Politiker in Wowereit – sonst nicht gerade für spirituelle Neigungen bekannt – bereitet sich auf den Besuch von Benedikt im September vor. Denn so viel schien klar: Es konnte nicht die anstehende Wahl sein, für die sich der Regierende Bürgermeister in Form bringen wollte. Das mögen andere tun. Die zukünftigen Verlierer zum Beispiel.

Aber vielleicht ist Wowereit gar nicht so siegessicher, wie er vorzugeben scheint. Die Meinungsumfragen zeigen zwar, dass es der einzig ernst zu nehmenden Gegenkandidatin – Renate Künast – (noch) nicht gelungen ist, die Herzen der Berliner zu gewinnen. Sie wollen keine grüne Hauptstadt, bisher jedenfalls nicht. Schließlich ist Berlin eine Stadt, in der die Hundehaufen zum lieb gewonnenen Stadtbild gehören – ein ständiges Mahnmal, dass Berliner ihre Tiere lieben (im Zweifelsfall mehr als ihre Kinder) und vor allem ihre Freiheit. Mehr Regulierung, höhere Steuern, autofeindliche Verordnungen, Verzögerungen beim Ausbau des neuen Flughafens: Echte Berliner haben auf so etwas keinen Bock. Geschickterweise legte Wowi seinen einzigen Wahlkampfauftritt des frühen Sommers in den Tierpark, wo er sich neben Elefanten und schnuckligen Tierchen fotografieren ließ. Kein grüner Spitzenpolitiker würde dagegen je auf den kranken Gedanken kommen, sich mit gefangenen Tieren fotografieren zu lassen.

Also: eins zu null für Wowi.

Ein unbestrittenes Talent hat der Bürgermeis-ter, möglicherweise sein einziges: Er schafft es immer wieder, seine Kontrahenten mittelmäßiger aussehen zu lassen als sich selbst. Als Resultat tendieren die Berliner dazu, sich lieber weiterhin von dem „Tempelhofer Jungen“ und seiner politischen Klientel-Maschinerie regieren zu lassen, als nebulöse Experimente einzugehen. Aber sie ignorieren die beängstigende Tatsache, dass er seit dem Satz „… und das ist auch gut so“ eigentlich kein politisches Rückgrat mehr bewiesen hat. Zugegeben: Er musste sich lange Zeit mit dem kranken Berliner Haushalt herumschlagen (und machte in diesem Zusammenhang Thilo Sarrazin zu einem überraschenden Helden), aber das politische Verhaltensmuster von Teflon-Wowi kristallisierte sich schnell heraus: Wann immer ernsthaftes Ungemach im Anmarsch war, tauchte der Bürgermeister unter. Als im vergangenen Winter das Berliner S-Bahn-Chaos herrschte – wo war der Bürgermeister zu dem Zeitpunkt? Selbst das Bahn-Management warnt, dass sich die Katastrophe wiederholen könne. Aber die Berliner weigern sich, zwischen chronischer Führungsschwäche und dem desolaten Zustand öffentlicher Einrichtungen eine direkte Verbindung herzustellen.

Solange die Touristen die Stadt als cool empfinden, sind die Berliner bereit, Wowereit als „King Cool“ zu akzeptieren. Die Abhängigkeit vom Tourismus hat allerdings nur dazu beigetragen, aus Berlin ein preußisches San Marino zu machen. Es hat unter Wowereit nie eine ernsthafte Industriepolitik gegeben. Die vielleicht größte Chance bestünde darin, mit dem neuen Flughafen in Schönefeld ein strategisches Dreieck zwischen Berlin, Posen und Breslau aufzubauen. Die beiden polnischen Städte erleben zurzeit einen Boom, von dem Wowereit nur träumen kann. Aber man hat sich in Berlin eigentlich nie mit dem Nachbarn im Osten beschäftigt – woraus Wowi wohl folgert, dass mit diesem Thema auch keine Wählerstimmen zu gewinnen sind.

Doch wie will Wowereit die politische Geografie der kommenden Jahre gestalten? Er hat sich nie die Mühe gemacht, es uns zu erzählen – und die Berliner machen sich nicht die Mühe, ihn danach zu fragen. All die Jahre, in denen die Stadt wie eine Gans mit Subventionen gestopft wurde, haben zu Trägheit und Unbeweglichkeit geführt. Für diesen Zustand haben die Berliner den perfekten Bürgermeister gefunden – und finden, wer weiß, in ihm eines Tages vielleicht auch den deutschen Kanzler. Angesichts dieser Vorstellung kann man wahrlich nur beten, wenn Benedikt im September in die Stadt kommt.Jahrgang 1952.

Roger Boyes, Jahrgang 1952, kam 1993 als Korres-pondent der britischen „Times“ nach Bonn, dann nach Berlin. Im Juli 2011 ist er zurück nach London gezogen.

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