King Lear auf Latschen

In Lawrence Grobeis Interview-Buch erscheint Al Pacino als ein Schauspieler, der Shakespeare liebt, notgedrungen Filme dreht und auf der Straße erkannt wird

Dem Interview-Künstler Lawrence Grobel (und seiner außerordentlichen Hartnäckigkeit) verdanken wir die ebenso eloquenten wie maliziösen Selbstauskünfte von Truman Capote. „Ich bin schwul. Ich bin süchtig. Ich bin ein Genie“, vor mehr als 20 Jahren erschienen, ist das Vermächtnis des egozentrischen Klatsch-Virtuosen, der sich nach „Kaltblütig“ nur noch feiern ließ, während er an seiner Mythologisierung arbeitete. Grobel ließ, ganz in Watergate-Manier, niemals locker, sah Capote beim Betrunkenwerden zu und hörte bereitwillig und langmütig von Zipperlein und Altersschwäche.

Zu der Fernseh-Dokumentation, mit der Grobel stets gelockt hatte, kam es dann nicht mehr. Capotes Stimme am Telefon wurde immer leiser, bis sie 1984 verstummte. In den Gesprächen steigerte sich Capote in einen wahren Blutrausch, erledigte zwei Schriftstellergenerationen und die Kennedys gleich mit. Ein Mordsspaß.

Das erste Gespräch mit Al Pacino kam zustande, nachdem der Schauspieler ein Interview Grobeis mit Marion Brandt gelesen hatte. 1979 war Pacino einer der größten Stars des amerikanischen Kinos – nach „Der Pate“ und dem zweiten Teil, in dessen Mittelpunkt er stand, hatte er einen Lauf mit „Serpico“ und „Hundstage“. Nach der Enttäuschung mit Sydney Pollacks „Bobbv Deerfield“, für den er erstmals verrissen wurde, drehte Pacino „Cruising“ unter der Regie von William Friedkin, der dringend einen Erfolg brauchte. Während der Dreharbeiten traf Grobel den scheuen Mann in dessen New Yorker Apartment, das – nicht überraschend – klein, unordentlich und verschmutzt war.

Schon bei diesen ersten Gesprächen zeichnete der Journalist mehr als 40 Stunden auf. Pacino hatte gar keine Erfahrung mit Zeitschriften-Interviews, und erzählte sehr vorsichtig von seiner Kindheit, dem Vater, der die Familie früh verlassen hatte, der Mutter, die starb, als er 22 war. Neben der Schauspielschule (das Actors Studio akzeptierte ihn zunächst nicht) arbeitete er als Möbelpacker und als Hausmeister, hatte nie Geld, trat erst mit 25 in Off-Broadway-Produktionen auf und zog mit Comedy-Revuen durchs Greenwich Village. Pacino war 32 Jahre alt, als er als Michael Corleone besetzt wurde – angeblich hatte Francis Coppola ihn stets vor Augen gehabt. Nach den ersten Szenen (darunter die bei der Corleone-Hochzeit) wollten die Studio-Oberen Pacino feuern, und es war Brando, der den jungen Kollegen unterstützte. Pacino gibt zu, dass er nicht wusste, was er eigentlich machte – eben das gibt dem Zuschauer das Gefühl, einer Erweckung beizuwohnen, von der Vorstellung Luca Brasis bis zur Lüge gegenüber seiner Frau am Ende des Films. Das Brütende, Lauernde wurde zu Pacinos Aura. Nach der Szene mit der in der Toilette versteckten Pistole und dem Mord an dem Polizeipräfekten dämmerte den Verantwortlichen, dass sie vielleicht doch den richtigen Michael Corleone beschäftigt hatten.

Schon 1979 fragt Grobel, ob Pacino sich in einer Komödie vorstellen könne. Der antwortet, es werde Grobel überraschen, aber genau das habe er vor 1968 regelmäßig getan – Sketche geschrieben, Regie geführt. Doch es kam weiterhin – mit zwei Ausnahmen, eine davon in Warren Beattys „Dick Tracy“ – keine Komödien-Rolle im Kino. 1990 spricht Grobel anlässlich des bevorstehenden „Paten III“ noch einmal mit Pacino, der mittlerweile die schlechte Aufnahme von „Scarface“ und das Desaster mit „Revolution“ hinter sich hatte, der wieder Theater spielte und bei der Film-Version von „American Buffalo“ selbst Regie geführt hatte. Immer stärker ist Pacino fasziniert von den Shakespeare-Stücken; er spielt Richard III. und dreht schließlich einen Dokumentarfilm über die Figur, „Looking For Richard“. Jahrelang arbeitet er an dem Film „The Local Stigmatic“, den er selbst finanziert – um ihn dann nicht zu veröffentlichen. Als Pacino wieder Geld verdienen muss, tritt er in „Sea Of Love“ auf – neben John Goodman, den er für einen der besten Kinoschauspieler hält. Nach sieben Nominierungen bekommt Pacino 1992 endlich den Oscar für Martin Brests „Duft der Frauen“, in dem er schamlos überzieht und grimassiert. Auch bei „Im Auftrag des Teufels“ (1997) fallen ihm fast die Augen aus den Höhlen, so irrwitzig legt er den Teufel an (nach dem Vorbild Walter Hustons in einem Film aus den Vierzigern übrigens).

Über die Jahre ist der notorische Verführer zum Familienvater geworden; auch sitzt er mittlerweile in Los Angeles am Swimming Pool, obwohl er sich früher nichts als New York vorstellen konnte. Er ist ein Außenseiter geblieben, näher befreundet nur mit Robert De Niro. Als größte Schauspieler der Generation nach ihm nennt er Scan Penn, Johnny Depp und Russell Crowe, neben dem er in dem großartigen „Insider“ (2000) spielte. In den späten Gesprächen reflektiert er über Shylock, den er im „Kaufmann von Venedig“ spielte, und spot‘ tet über die Auffassung des Literaturwissenschaftlers Harold Bloom, der Shylock als komische Figur sieht: „Vielleicht sollte Bloom den Shylock spielen.“ Oft kehrt das Gespräch zurück zum „Paten III“, dessen Scheitern Pacino noch immer beschäftigt. Was würde er anders machen? „Zunächst einmal hätte ich eine andere Frisur. Diane Keaton flehte: Al, tu es nicht, tu es nicht!“ Und: „Niemand wollte sehen, wie Michael Schuldgefühle hat. Das war einfach nicht er.“

Am Ende besucht der schüchterne Pacino, der bei der Oscar-Verleihung entgeistert stammelte und weinte, ein Seminar von Lawrence Grobel an der Universität und stellt sich dort den Fragen der Journalistenschüler. Mit 66 ist der Faun, der getriebene Gestalten so unnachahmlich darstellte, doch beinahe alt geworden. Nun kann der König Lear kommen, die Altersrolle, die er noch aus der Distanz studiert. Al Pacino erzählt sogar eine Anekdote: „Du kennst doch den Witz, in dem John Wayne den Hamlet spielt. Nachdem das Stück zu Ende ist, stellt er sich ins Rampenlicht, weil alle Leute ihn ausbuhen. Er sieht ins Publikum und sagt: „Was wollt ihr denn? Ich habe diesen Mist nicht geschrieben!'“

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