Klischee-Reinigung

Auf seinem Album "Margins" variiert Paul Smith virtuos den Songwriter-Pop der 80er-Jahre - und emanzipiert sich von Maxïmo Park.

Als Sänger von Maxïmo Park wirkt er stets wie der musikalische Widergänger von Alexander DeLarge in Stanley Kubricks Verfilmung von „Clockwork Orange“. Mit Melone und starrem Blick spielt er den manischen Geck. Immer ein bisschen Horrorshow eben. Wie sein psychopathischer Bruder im Stil hat auch Paul Smith eine introvertierte Seite, deren kreative Auswüchse bisher schwer abzuschätzen waren. Auf „Margins“ hat er sich jetzt als Songschreiber ersten Ranges entpuppt.

Vier Jahre habe er über den Songs und Arrangements gebrütet, berichtet Smith. Ein Freund aus der Nachbarschaft, Andrew Hodson von The Matinee Orchestra, hat ihm dabei geholfen, das Schlagzeug gespielt oder sich einfach nur die Ideen angehört, die an manchen Tagen aus dem Smithschen Kopf heraus quollen. „Ich bin glücklich, alle Entscheidungen auf diesem Album selbst getroffen zu haben“, sagt Smith.

Mit dem Schritt, sich musikalisch vom Schema Popgruppe zu emanzipieren, steht er im Jahr 2010 alles andere als allein. „Viele Bands der letzten zehn Jahre konnten ihren anfänglichen Erfolg nicht fortsetzen. Andererseits ist es einfacher geworden, ein Soloalbum zu machen. Für mich ist es auf jeden Fall der richtige Weg“, bekennt Smith. Tatsächlich hat hier ein Sänger das seltene Kunststück vollbracht und ein Werk geschaffen, das über die Alben seiner Hauptband hinaus weist.

Keinen prätentiösen Allerwelts-Pop, keine blassen Singer-Songwriter-Reflexionen wird man auf „Margins“ finden. Die 13 Stücke sind auf wunderbar unsentimentale Art der Innenschau verpflichtet, der Musik von Aztec Camera, The Smiths und The Jesus And Mary Chain, wobei Smith den Versuch unternimmt, die von der Musikjournaille zum Kanon erhobenen Vorbilder von sämtlichen Klischees zu befreien. Die sublimen Melodien, die sparsame Instrumentierung und der räumliche Klang – das alles gelingt Smith traumwandlerisch. „The Crush And The Shatter“ ist mit seinen verhallten Lo-Fi-Gitarren ein schönes Beispiel.

Smith ist ein Kunstliebhaber. Wenn er über Literatur und Filme schwadroniert, wird sein Tonfall schlagartig ernst. Das kann manchmal etwas angestrengt intellektuell wirken, manchmal fast schon naiv: „Poesie ist ein wichtiger Bestandteil meiner Kunst. Was mich fasziniert, ist die Art, wie man mit geschriebenen Worten die Fantasie anregen kann.“

Aber zum Glück gibt es ja noch Smith, den Forscher, den glühenden Bewunderer der Popmusik der 60er- und 80er-Jahre. „Mein größter Respekt gilt dem Songwriting der Go-Betweens. Sie haben es geschafft, aus einfachen Ideen großartige Songs zu generieren.“ Das hat ihm den Mut gegeben, weiter an seinen eigenen Stücken zu feilen, obschon er oft ins Grübeln über die Qualität seiner Arbeit kam. „Manchmal glaubt man, etwas völlig Neues aufgenommen zu haben – und am nächsten Tag klingt es wie eine Kopie der Cocteau Twins. Doch dann fällt Andrew eine Bassmelodie dazu ein, die nach Sly & The Family Stone klingt. Aus solchen Zufällen entstehen die besten Songs.“ Andrew Moore ist einer von drei Musikern der Band Field Music, die an Smiths Album mitgewirkt haben. Später stießen die Gebrüder David und Peter Brewis dazu und ergänzten die fehlenden Gitarren- und Bassparts, Andrew Hodson bediente das Schlagwerk und produzierte.

„Margins“ bedeutet unter anderem Spielräume. Die hat Smith auf seinem Debüt konsequent erweitert. Er braucht Grenzen, an die er stoßen kann, um sich lebendig zu fühlen. „Ich will nicht bequem werden“, sagt er. Und er braucht den Job bei Maxïmo Park, die klaren Regeln innerhalb einer Bandformation als Gegenpol zur neu gewonnenen Freiheit. Die Melone tauscht Smith jetzt immer öfter gegen Strohhüte. Die punkigen Zwischentöne von Maxïmo Park sind einem sehnsüchtigen Barmen gewichen. Smith sucht die unverbrauchte Schönheit und findet sie im Verborgenen, nicht etwa in selbstmitleidiger Nabelschau. „Free me from self-expression“, heißt es in dem Song „Pinball“. Righty right!

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