Komplett ohne Strom

ES KLINGT WIE EINE Geschichte aus dem Wirtschaftswunder. Ein Elektronik-Bastler hat eine Idee und realisiert diese in monatelanger Detailarbeit bis zum Endprodukt. Eine Story, die man heute in Kalifornien oder Korea verorten würden, mit Fertigung irgendwo in China. Doch wir bewegen uns zwischen Ravensburg und einem Ladenlokal an der Berliner U-Bahnstation Eberswalder Straße. Genau diese Lebensroute nahm der gelernte Radio-und Fernsehtechniker Christian Komm. Auf langen Autofahrten nach Amsterdam hatte er einst Musikwünsche seiner Mitfahrer zu regeln, die ihre Smartphones oder iPads in die Anlage einstöpseln wollten. Wenn jetzt ein kleines Mischpult an Bord wäre, dachte er sich, hätte man Spaß statt Sound-Streitereien. „Es gab aber nichts dergleichen. Weder ein Batterie-Teil noch sonst etwas in dieser Richtung“, erzählt Komm von seiner vergeblichen Recherche. Ganz Daniel Düsentrieb machte er sich selbst daran, einen Mini-Mixer zu konstruieren. Er stieß an physikalische Grenzen – „ohne Saft keine Chance“ – und setzte neu an.

Am Ende stand die Urform des Pokketmixers -eine stromlose Metallschachtel von 145 Gramm Gewicht. „Das Gerät funktioniert wie ein aufgemotztes Stück Kabel, das die Signalverarbeitung zwischen Soundquelle und Abspieler entsprechend leisten kann“, erklärt er. „Ein normales Mischpult arbeitet mit Line-oder Plattenspieler-Signalen, die ohne Stromzufuhr viel zu wenig Wumms haben. Wir dagegen nutzen die jeweiligen Kopfhörerausgänge, um drei essenzielle Funktionen betreiben zu können: Crossfader, Vorhören und Dreiband-Equilizer. Dafür musste ich Elemente selbst bauen, die natürlich auch patentiert sind.“

Schon während der Entwicklung kam Kumpel Robert Thomalla ins Spiel, der zwar als Ex-Werkzeugmacher einige Schablonen für die Herstellung beisteuern konnte, aber ansonsten keinerlei technische Vorbildung besaß. „Alles schön und gut, dachte ich, aber im Profi-und Hobbysegment gibt es bereits Mixer wie Sand am Meer. Da braucht man als One-man-Show gar nicht erst anzutreten“, erinnert sich Thomalla an seine anfängliche Skepsis. Letztlich überzeugte ihn die Haptik des Prototypen. Er orderte Seriennummer 0001 mit goldenem Gehäuse – und war bereits mitten im Vermarktungsprozess. „Uns wurde klar, dass der DJ-Fachhandel nicht unser Ziel sein konnte. Wir hatten stattdessen ein solides Einsteiger-Modell, dass auch für Leute interessant ist, die mit Musikmischen noch nie etwas zu tun hatten.“

Den Pokketmixern spielt dabei eine Entwicklung in die Karten, die mit der Erfindung des DJs als Popstar der Jetztzeit, wie sie seit Ende der Achtziger ausgerufen wurde, nur noch wenig zu tun hat. Profis und Möchtegern-Profis sind längst aufgespalten in eiserne Vinylritter und clevere Digitalisten. Letztere nutzen Werkzeuge wie Traktor oder Final Scratch, mit denen man nach außen den traditionellen Turntablerocker an (simulierten) Plattentellern geben kann, während das Soundmaterial bequem vom Laptop kommt. Dazu entstanden App-Anwendungen, die virtuelle Minikonsolen auf i-und andere Smartphones zaubern. Damit kann die mobile Soundbibliothek auf dem Display gemixt werden.

Der DJ-Mythos treibt also eine digitale Nischentechnologie voran, die Elektroniknerds und Musiksammler gleichermaßen anzieht. Mischen wird zum Volkssport.

Der Pokketmixer bedient diese Gelüste auf eine handfeste Art. Christian Komm montiert seine Erfindung mit einigen Helfern schubweise in 500er-Partien auf der Spandauer Industrie-Insel Eiswerder. „Eine Fertigung in Ostasien wäre billiger, ist aber für uns uninteressant. Wir verzichten lieber auf Gewinnmargen und können dafür flexibel bauen und die Qualität kontrollieren“, sagt er. Der Absatz läuft nach zweieinhalb Jahren über eine gewachsene Struktur, auch international: Online-Direktvertrieb, einige Zwischenhändler, der eigene Laden und schließlich der angestammte (Floh-)Marktstand im Mauerpark, wo man selbst hinterm Tresen steht. Eine Kundennähe, die gerade in dieser Branche ausgestorben schien. „Ich halte oft 30-Sekunden-Seminare, was man mit unserem Teil machen kann“, berichtet Komm. „Profi-DJs nutzen es als Drittgerät für die After Hour. Ein älterer Herr hat seinen Fernseher via Kopfhörer-Ausgang angeschlossen und freut sich über die Klangregelung. Musiker stöpseln ihr Keyboard zusammen mit einem MP3-Player, wo ein Drum-Rhythmus drauf ist. Unser Ding ist die Alternative.“

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