Konkurrenz oder Kasperle-Theater? Deutsche Platten-Bosse über Richard Bransons zweiten Versuch im Musikgeschäft

In Deutschlands Plattenbranche wird derzeit heftig gemunkelt: Sollte Bransons neue Firma, die zum Einstand nicht gerade mit Schlagzeilen glänzte, schon bald den ersten kapitalen Hecht an Land ziehen? Aus „gut unterrichteten Kreisen“ ist bereits seit Wochen zu vernehmen, daß Herbert Grönemeyer mit dem Gedanken spiele, bei V2 zu unterzeichnen. Was Bransons Statthalter in Berlin weder dementieren noch bestätigen. Wie dem auch sei: Die Kapitäne der deutschen Musikindustrie haben sich von dem neuerlichen Engagement des geschäftigen Briten bislang nicht aus der Ruhe bringen lassen. Für die Geschäftsführer von EMI, Sony Music, Universal, Polydor sowie von Bransons erster Firma, Virgin Records, ist der Engländer zwar ein „schillernder Entrepreneur“, der bei der Besetzung seiner deutschen V2-Dependance Mut zu einem jungen, unkonventionellen Team demonstriert habe. Dennoch werde es angesichts stagnierender Umsätze im Musikmarkt auch ein Wunderkind schwer haben.

Helmut Fest, Geschäftsführer EM

„Mir schlottern nicht gleich die Knie, nur weil Branson wieder in den Ring steigt. Branson ist kein Zauberer, auch kein geborener Musik-Mogul. Er hat von Musik so viel Ahnung wie von Cola. Es wird schwer sein, ohne großen Künstlerkatalog wieder Fuß zu fassen. Das Business ist so viel härter geworden. Vor dem Hintergrund der minimalen Zuwächse gab es in den letzten zehn Jahren jedenfalls günstigere Momente, wieder in den Markt einzusteigen, als heute. Ich sehe ihn vor allem als Geldgeber im Hintergrund; statt Branson könnte allerdings auch die Deutsche Bank der Investor sein. Bransons Name allein wird jedenfalls keinen Star anziehen: Die Superstars wird auch er nur zu exorbitanten Preisen verpflichten können. Und Bransons Taschenrechner funktioniert auch nicht anders als meiner. Es wird davon abhängen, wie lange er durchhalten wird: Mag sein, daß V2 schon morgen einen Hit landen wird – vielleicht aber auch erst in drei Jahren.“

Jochen Leuschner, Sony Music

„Bransons Chancen auf dem Popmarkt sind durchaus gut. Sicher, der Wettbewerb ist inzwischen erheblich härter geworden, aber er hat auch mehr Erfahrung als damals bei der Gründung von Virgin Records. Er ist weltweit als Unternehmerpersönlichkeit bekannt, und er ist vor allem ein Mann mit großem Charisma. Die Frage ist allerdings, ob er angesichts seiner zahlreichen anderen Verpflichtungen in seinem Firmen-Imperium überhaupt die Zeit hat, sich intensiv um V2 zu kümmern. Sollte er das Label nicht nur mit PR-Auftntten unterstützen, sondern sich wirklich für seine Firma engagieren wollen, wird seine viereinhalbjährige Business-Pause nicht ins Gewicht fallen. Ich glaube allerdings, daß sein Interesse heute ohnehin mehr den jungen Talenten, den ungeschliffenen Diamanten gilt Und ob V2 in diesem Bereich Erfolg hat, wird in Deutschland – wie anderswo auch – weniger von Branson als vom Einfluß des lokalen Geschäftsführers abhängen.“

Heinz Canibol, Geschäftsführer Universal

„Branson ist ein extrem begabtes Glückskind mit äußerst gutem Geschäftsinstinkt – egal auf welchem Feld er sich bewegt. Insofern halte ich es für möglich, daß er zufallig wieder eine situative Günstigkeit erwischt, die ihm ein beachtliches Comeback im Musikmarkt beschert. Andererseits haben andere ehemalige Branchen-Zampanos bewiesen, daß sich der Trick nicht beliebig wiederholen läßt und außerordentliches Talent nur in einer bestimmten Zeit und einem speziellen Umfeld funktioniert Ich vermute, daß Richard primär sein positives Image einbringen wird, die Entscheidung über Erfolg oder Mißerfolg aber von den Leuten abhängt, die V2 im Tagesgeschäft repräsentieren.“

Udo Lange, Geschäftsführer Virgin

„Ein ‚global player‘ kann V2 sicherlich so schnell nicht werden; ich vermute daher, daß Richard die Firma Land für Land aufbauen wird. Der Erfolg wird folglich abhängig sein vom ‚Artist & Repertoire‘ der Firma. Nur mit ausgezeichnetem A & R oder aber mit der Übernahme etablierter Künstler hat V2 eine Chance. Mit dem Signing etablierter Künstler aber wird sich V2 schwer tun, da es in meinen Augen für einen Künstler keinen ersichtlichen Grund gibt, zu einer Firma zu wechseln, die nicht die weltweite Struktur besitzt, die Major-Firmen für solche Acts bieten. Bleibt also A & R.“

Jörg Hellwig, Geschäftsführer Polydor

„Die Gründung von Virgin Records war seinerzeit eine Pioniertat, aber seitdem hat sich der Markt stark verändert. Mit V2 wird Branson zweifellos kleinere Brötchen backen müssen. Ich weiß nicht, ob er heute noch große Künstler abwerben und revitalisieren kann, zumal die Majors ihre Top-Acts nicht mehr so schnell ziehen lassen. Da er aber nach wie vor gute Kontakte zu den großen Bands haben wird, traue ich ihm durchaus zu, den einen oder anderen Coup zu landen. In Deutschland hat er ein gutes Team, dessen Chancen ich aber eher in den Nischen sehe – und selbst da werden sie sich gewaltig anstrengen müssen.“

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