Kuttner On Ice – Berlin, Columbiahalle

Zum Ende des Popjahres 2005 versammelten sich bei Kuttner On Ice noch einmal einige der Bands, über die man in den letzten Monaten so sprach

Wollte man die letzten Monate im Pop noch einmal zusammenfassen, reichten vermutlich drei, vier Stichworte: Saddle Creek, Neo-Hippies, Camp und Pullunder-New Wave. Wollte man diese leeren Formeln mit Musik füllen, dächte man wohl an Bright Eyes, Arcade Fire, Antony & The Johnsons und Franz Ferdinand. An einem der letzten bitterkalten Abende des Popjahres 2005 kamen stellvertretend: The Good Life, The Coral, Art Brut und Maximo Park. Das wirkt wie eine eher konservative Lesart des Ganzen. Vielleicht die Konsequenz, nachdem man Charlotte Röche als Gallionsfigur des virtuell existierenden Indietums gegen Sarah Kuttner eintauschen mußte. College-Folk statt eklektischem Songwriting-Wunderkind, Liverpool statt Montreal, Post-Ironie statt Post-Gay und „A Certain Trigger“ statt „You Could Have It So Mach Better“.

Die Traumfrau aller männlichen Ringelpulliträger als auch Gastgeberin des Abends tritt nur zwischen den Sets in Erscheinung und sieht von weitem eher aus wie eine weibliche Version vom jungen Gerd Müller (vielleicht schüttelte mich bei dieser Einschätzung schon das WM-Fieber). „On Ice“ ist nur der Sound. Die vor der Show schon ganz aufgeregten, weil selten vor so vielen Leuten spielenden The Good Life gehen im unterkühlten, konturlosen Mix fast völlig unter. Einzig „Album Of The Year“, das sie Sarah Kuttner widmen, weil sie die kleine Band in das große Line-up ließ, macht ein bißchen Spaß. Und Sänger Tim Kasher verbreitet eine schöne verweihnachtliche „happy holiday“-Campus-Stimmung.

Das Konzept von The Coral, die schönsten Momente des Jahres 1968 noch einmal nachzuspielen, ergibt wenig Sinn, wenn’s nicht vernünftig klingt, und strapaziert die Nerven der Uneingeweihten. Einzig der hohe Wiedererkennungswert von „Don’t Think You’re The First“ und „Pass It On“ hält viele davon ab, den Raum zu verlassen.

Erst bei Art Brut kommt wirklich Stimmung auf. Ziemlich textsicher zeigt die Gemeinde, daß man auch zu Hörbüchern tanzen kann und warum Eddie Argos – wieder im Anzug mit lustigem Hut und Schnauzer – die Nachfolge von David Hasselhoff und Adam Green als Kraut-pleaser angetreten hat. Bizarr.

Den größten Auftritt hat Argos allerdings, als schon längst die zackigen Maximo Park (deren Schlagzeug wie bei Konzerten im Jugendzentrum im Mix völlig verschwindet) auf der Bühne stehen. Amüsiert studiert er Paul Smiths nervöse Posen, lacht sich bei einem Gitarrensolo von Paul Duncan schief, klatscht und schüttelt den Kopf – man weiß nicht, ob ungläubig über so viel Pathos oder doch eher fasziniert vom Druck, den Maximo Park trotz aller Probleme an diesem Abend erzeugen.

Als „Graffiti“, der wohl beste Song des Abends, ertönt, hat Argos sich schon von der Bühne ab- und zwei Mädchen, die ihn ehrfürchtig um ein Autogramm bitten, zugewandt. Erst kratzt er sich noch leicht verlegen am unter seinem verschwitzten rosafarbenen Hemd hervorschimmernden erhabenen Bierbauch, doch dann scheint ihm die Rolle des Popstars zu gefallen – auch wenn er sich ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen kann. Hatte er nicht zuvor gesungen: „It’s not irony/ And it’s not Rock and Roll/ Im just talking to the kids“

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