Leonard Cohen: Der stille Erotiker

Das "Buch der Sehnsüchte" von Leonard Cohen feiert in der klösterlichen Askese die Wunder des Profanen und des Weiblichen

Während seine Managerin sein Geld veruntreute, saß Leonard Cohen droben auf dem kalifornischen Mount Baldy und dachte über sein Leben nach. „Hab mir den Schädel rasiert/ Die Gewänder angezogen/ In der Ecke einer Hütte geschlafen/ Zweitausend Meter hoch in den Bergen/ Ganz schön abgelegen/ Das Einzige, was ich hier nicht brauche/ Ist ein Kamm.“ Das schrieb er, unter dem Titel „Der liebeskranke Mönch“, im Jahr 1997. Vor zwei Jahren erschien das „Buch der Sehnsüchte“ in Kanada, jetzt liegt es in der deutschen Übersetzung im Blumenbar-Verlag vor. Die Gedichte, Prosa-Skizzen, Notate und Aphorismen wurden von Wolf Wondratschek, Jens Friebe, Carl Weissner, Wolfgang Farkas und anderen übertragen; Cohen selbst lieferte die Zeichnungen, darunter obsessive und selten schmeichelnde Selbstporträts.

Den Datierungen ist zu entnehmen, dass Cohen noch 2003, in Montreal, an dem Kompendium arbeitete; manche der Texte reichen in die 70er Jahre zurück. Cohens Gedichtbände fanden nicht immer ungeteilten Beifall, und sein Roman „Beautiful Losers“ (der demnächst in neuer deutscher Übersetzung veröffentlicht werden soll) gilt sogar Cohen selbst als Misserfolg, der schließlich das Songschreiben zu seinem Metier werden ließ, obwohl er sich auch mit den Liedern stets quälte. Ein, zwei Verse von Leonard Cohen hat fast jeder im Marschgepäck, gern auch als Sinnspruch in der E-Mail. Cohen glaubt, dass es nur ein paar wahre Dichter gibt und alle anderen Blender sind. Von seiner Songlyrik wissen wir freilich, dass Cohen zu den Erwählten gehört.

Was er hier schreibt, das schwankt zwischen Heiligem und Profanem, spontanen Gedanken und zerquälten Beichten, aufreizender Offenheit und hermetischer Privatsprache, stets gestreift vom Religiösen, vom Allegorischen, von der Erinnerung. Und das Mysterium der Weiblichkeit umtreibt den lad ies man wie je. „Indien ist voller/ Außergewöhnlich schöner Frauen/ Die nichts von mir wollen/ Ich muss nur durch Bombay gehen/Was ich jeden Tag tue/In welches Gesicht ich auch schaue/ Ich habe mich noch nie/ Getäuscht.“ („Noch nie“) Selbstironie ist dem großen Charmeur nicht fremd; er hat sie Selbstzweifeln und Phasen schwärzester Depression abgerungen. „Wegen ein paar Liedern,/ In denen ich von ihrem Geheimnis sprach/ Waren Frauen immer/ Außerordentlich nett zu mir./ Bis in mein hohes Alter./ Sie schaffen einen geheimen Ort/ In ihrem vollgepackten Leben/ Und nehmen mich dorthin mit./ Sie ziehen sich vor mir aus,/ Jede auf ihre Weise,/ Und sagen:/ .Sieh mich an, Leonard/ Sieh mich ein letztes Mal an’/ Dann beugen sie sich übers Bett/ Und decken mich zu/ Wie ein Baby, das zittert.“ („Wegen ein paar Liedern“) Der Vater kommt nicht vor in Cohens Lyrik (er starb, als der Sohn neun Jahre alt war), wohl aber die Mutter. An ein Konzert von Mikis Theodorakis in Athen, Mitte der 7oerjahre, erinnert er sich, und daran, dass die Mutter einschlief und die herrliche Musik nicht hören konnte.

Wolf Wondratschek freute sich bestimmt darüber, dass Cohen auch mal den harten Macker gibt (und er das übersetzen durfte): „Ich bin ein Scheißkerl im Bett/ Sie steht auf so was/ Sie zeigt mir Sachen/ Die man nur mit Typen/ Wie mir macht.“ Jikan, der Stille, wurde Cohen im Kloster genannt. „Das kann ich mittlerweile/ Zwanzig Stunden durchschlafen/ Die restlichen vier/Verbringe ich am Telefon/ Um Leuten, die wichtig sind/ Gute Nacht zu sagen// Jikan, geboren, um Menschen zum Lachen zu bringen/Verbeugt sich.“

Cohens Lieder waren selten zum Lachen, doch mit „I’m Tour Man“ bekamen sie plötzlich einen listigen, altersweisen Tonfall – nun, da er tatsächlich alt wurde, konnte er sich beinahe auf eine Liebe einlassen, und noch die Platte „The Futttre“ mit dem großartigen hoffnungslosen Ausblick profitierte 1992 von dem fröhlichen Fatalismus.

„Ich schlenderte ins ,Automat’/ Mit einer religiösen Kopfbedeckung/Die Klopse waren rund/ Und die Pfannkuchen platt/ Ich bat den lieben Gott:/Lass alles so, wie’s ist.“ („Das alte Automatenrestaurant in der 23. Straße“) Das schrieb er 1970. Und viel später: „Darling, ich hab jetzt eine Butterdose/ In Form einer Kuh.“ („Butterdose“) Muh!

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