LESEN IN LOS ANGELES, STERBEN IN NEW YORK
David Fricke hat P.F. Sloan in einer Buchhandlung in L. A. getroffen und ein Konzert der Band X gesehen
Der Brief aus New York kommt diesmal aus Los Angeles, wo ich endlich eine Antwort auf die Frage nach dem geheimnisvollen „P. F. Sloan“ fand, dem Jimmy Webb schon vor langer Zeit mit seiner so eleganten wie bittersüßen Hommage ein Denkmal gesetzt hatte. „I have been seeking P. F. Sloan/But no one knows where he has gone“, singt Webb über die Folkrock-Legende aus der Mitte der 60er-Jahre. Damals, 1970, als Webb seine Solo-LP „Words And Music“ aufnahm, war P. F. Sloan tatsächlich unsichtbar geworden, und das nach einer geradezu manisch anmutenden, goldenen Ära als Komponist, Gitarrist und Produzent in den Studios von L. A., in der er Hits für Künstler wie die Turtles schrieb, für die Grass Roots, Jan and Dean, Barry McGuire und Johnny Rivers. Nach einem Zusammenbruch begab sich Sloan in Behandlung und zog sich aus dem Musikbusiness zurück. „Last time I saw P. F. Sloan/He was summer burned and winter blown“, singt Webb. „He turned the corner all alone/But he continued singing.“
Und tatsächlich ist Sloan nicht nur noch am Leben, sondern es geht ihm auch sichtlich gut, wie er da Ende Juli in der Buchhandlung Book Soup am Sunset Boulevard sitzt und aus seinen Erinnerungen vorlesen soll, die den Titel tragen „What’s Exactly The Matter With Me?“(Jawbone Press). Sloan, inzwischen 68, las jedoch wenig. Stattdessen erzählte er zwei Stunden fesselnde Geschichten: davon, wie er seinen ersten Gitarrenunterricht erhielt – von Elvis Presley; wie er das Gitarrenintro zu „California Dreamin'“ von The Mamas And The Papas schrieb; wie er für einen Tag aus dem Krankenhaus durfte, um den Vertrag für sein 1972 erschienenes Album „Raised On Records“ auszuhandeln. Außerdem gab er einige Songs zum Besten.
Aber auch New York spielte eine Rolle. Denn dort wurde Sloan als Philip Schlein geboren. Ein jüdischer Junge aus Queens war er, groß geworden unter anderem in New Hyde Park, Long Island, gar nicht weit von Forest Hills, wo der ungarischstämmige Thomas Erdelyi aufwuchs, bevor aus ihm Tommy Ramone wurde. Die Nachricht vom Tod des Schlagzeugers und Punk-Helden am 11. Juli erwartete mich, als ich in L. A. aus dem Flugzeug stieg, genauso aber der passende Trost: Am gleichen Abend sah ich im Roxy die Hardcore-Legenden von X. Gerade als der letzte noch verbliebene Ramone uns verlässt, exhumiert die Urbesetzung von X -Sängerin Exene Cervenka, Sänger und Bassist John Doe, Gitarrist Billy Zoom und Schlagzeuger DJ Bonebrake – eines ihrer großartigsten Alben. In dem Moment, als das Leben der einen Band für immer erlöscht, ersteht eine andere wieder auf, in voller Blüte und mit unerwarteter Wucht.
Später stieß ich in Sloans Buch auf folgende Passage: „Wie soll ein empfindsamer Junge mit künstlerischem Talent all die Aggression loswerden, die in ihm durch Missbrauch, Vorurteile und Einsamkeit gewachsen ist? Er erschafft etwas. Er findet Verbündete in den Außenseitern. Und wenn man dadurch herausfindet, dass man gar nicht allein ist – das verändert das Leben für immer.“ Tommy wusste das. Sloan und X leben noch immer nach dieser Weisheit. Und das versuche ich auch.
Unser Autor David Fricke ist Redakteur beim amerikanischen ROLLING STONE. Im nächsten Monat schreibt dann wieder Robert Rotifer aus London an dieser Stelle.